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Kritik an Deutschlands Ukraine-Engagement

3. Februar 2022

Die erste außenpolitische Krise der neuen Bundesregierung wird zu einem Imagedesaster für Deutschland. Verbündete zweifeln an der Verlässlichkeit Berlins im Konflikt mit Russland.

Ein ukrainischer Soldat steht neben einem gepanzerten Mannschaftstransportwagen in der Nähe der Frontlinie in der Oblast Luhansk in der Ostukraine.
Ein ukrainischer Soldat mit Panzer in der Nähe der Frontlinie in der OstukraineBild: Vadim Ghirda/dpa/AP/picture alliance

Kay-Achim Schönbach war einmal der höchste Militär der deutschen Marine. Bis er kürzlich in Uniform bei einem indischen Think-Tank vor laufender Kamera seine persönlichen Überzeugungen zum Konflikt zwischen Russland und der Ukraine zum Besten gab. Schönbach sprach vom Respekt auf Augenhöhe, den Wladimir Putin wolle und "wahrscheinlich verdient"; er sprach davon, dass die von Russland besetzte Krim für die Ukraine wohl auf Dauer verloren sei; den befürchteten Einmarsch russischer Truppen in die Ukraine bezeichnete er als "Nonsens".

Ein Sturm der Entrüstung brach los. Besonders in der Ukraine, wo die deutsche Botschafterin in Kiew einbestellt wurde. Vizeadmiral Schönbach war innerhalb von 24 Stunden seinen Job als Marineinspekteur los. Was aber bei vielen Verbündeten blieb, waren Zweifel: Ob Schönbachs Überzeugungen nicht von einem bedeutenden Teil der politischen und militärischen Elite in Deutschland geteilt werden.

Vize-Admiral Kay-Achim Schönbach ging, doch die Zweifel an Deutschland bliebenBild: Bernd Wüstneck/ZB/dpa/picture alliance

Deutschland erntet Kritik - und Spott

Zwar hat der langjährige Sicherheitsberater der früheren Kanzlerin Angela Merkel, Christoph Heusgen, gegenüber der Deutschen Welle die schnelle Entlassung des Marine-Inspekteurs als Beweis für die Einigkeit in der deutschen Regierung dargestellt. Doch besonders in den USA und in einigen osteuropäischen Staaten hat das Bild Deutschlands als verlässlicher Verbündeter Risse bekommen. Es ergießt sich eine Woge der Kritik über Berlin - in die sich gelegentlich auch bitterer Spott mischt.

Vor allem, nachdem Deutschland auf das Drängen Kiews und anderer Verbündeter nach Waffenlieferungen an die Ukraine lediglich mit der Zusage geantwortet hatte, 5000 Schutzhelme zu liefern. Karten mit der Flugroute britischer Transportflugzeuge mit Waffen für die Ukraine taten ein Übriges - deutlich war zu sehen, dass sie einen Bogen um den deutschen Luftraum machen mussten.

Ukrainische Truppen üben mit US-Waffen. Aus Deutschland kamen 5000 HelmeBild: Ukrainian Defense Ministry Press Service/AP Photo/picture alliance

In ihrer ersten großen außenpolitischen Krise steht die noch junge Ampel-Regierung auch vor einer Image-Krise. Piotr Buras, der Leiter des Warschauer Büro des Thinktanks European Council on Foreign Relations, spricht von "Verblüffung" über die chaotische Kommunikation in Berlin: "Die Bundesregierung hat sehr lange nicht mit einer Stimme gesprochen. Man hat viele Meinungen gehört, aber keine klare Linie gesehen." Im Ergebnis fragten in den letzten Tagen Zeitungen von der "New York Times" bis zum "Deccan Herald" aus dem südindischen Bangalore: "Wo steht Deutschland im Ukraine-Konflikt?"

Keine Waffen für die Ukraine, aber Gas aus Russland?

Dass etwa Spanien eine Fregatte ins Schwarze Meer schickt, dass Dänemark Kampfjets nach Litauen verlegt und eine Fregatte in die östliche Ostsee, dass die USA Truppen in Bereitschaft versetzen - all das wird kontrastiert mit der Weigerung Deutschlands, Waffen an die Ukraine zu liefern. Besonders negativ wird international ein konkreter Fall wahrgenommen: Da verweigert Deutschland bislang Estland, neun Haubitzen noch aus DDR-Beständen an die Ukraine weiterzugeben. Berlin begründet das mit einer traditionell zurückhaltenden Rüstungsexportpolitik in Krisengebiete.

Alexander Graf Lambsdorff, stellvertretender Vorsitzende der FDP-Fraktion im deutschen Bundestag, nennt gegenüber der DW einen weiteren Grund: "Wir haben eine Situation, in der die ukrainischen Streitkräfte den russischen Streitkräften militärisch um einen Faktor unterlegen sind, der durch Waffenlieferungen niemals aufgeholt werden könnte."

Auch die wirtschaftlichen Interessen Deutschlands werden kritisch beäugt, insbesondere die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen. Aus Russland kommen über 40 Prozent des nach Deutschland importierten Rohöls und 56 Prozent des Erdgases. Diese Menge könnte sich durch die letzten Sommer fertig gestellte, aber noch nicht in Betrieb genommene Gasleitung Nord Stream 2 noch erhöhen.

Besonders die USA laufen schon lange Sturm gegen das Projekt. Angesichts des russischen Aufmarschs an der ukrainischen Grenze werden die Gasleitung und Deutschland Verlässlichkeit in US-Talkshows hoch- und runter diskutiert. Schließlich musste die deutsche Botschafterin in Washington, Emily Haber, per Twitter versichern, auch Nord Stream 2 stünde im Konfliktfall zur Disposition.

Dennoch veröffentlichten der ehemalige tschechische Außenminister Karl Fürst von Schwarzenberg und der frühere Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Europa-Parlament, Elmar Brok, zum Wochenbeginn einen offenen Brief und beklagten: "Es entsteht der Eindruck, dass Deutschland nicht aktiv an der Entwicklung einer klaren westlichen Politik mitwirkt, sondern mehr an eigene wirtschaftliche Interessen (Nord Stream 2, Sanktionen) denkt."

Neue deutsche Regierung ringt um einheitliche Position

Wahrgenommen werden gleich mehrere Bruchlinien in der deutschen Politik. Einmal zwischen den verschiedenen Partnern der Ampelkoalition: Grüne und Freie Demokraten stehen beide für eine härtere deutsche Politik gegenüber Russland. Die SPD auf der anderen Seite betont eher die Notwendigkeit einer fortgesetzten "Entspannung" und eines "Dialogs" in den Beziehungen.

Aber auch innerhalb der Kanzlerpartei SPD war eine solche Kakophonie unterschiedlicher Stimmen zu hören, so dass am Montag ein Treffen von SPD-Spitzen mit Vertretern aus Partei, Fraktion und Regierung eine einheitliche Position erarbeiten musste. Ergebnis: Im Falle eines Einmarsches liegen alle Sanktionsoptionen für eine harte Reaktion auf dem Tisch; alle diplomatischen Kanäle sollen für eine Entspannung genutzt werden, speziell im sogenannten Normandie-Format gemeinsam mit Frankreich; weiterhin keine Waffenlieferungen an die Ukraine - auch um die eigene Vermittlerposition nicht zu beschädigen.   

SPD-Chef Lars Klingbeil: "Aggression geht klar von Russland aus"Bild: Hannibal Hanschke/AFP/Getty Images

Was Waffenlieferungen an die Ukraine angeht, ist die Regierung auf einer Linie mit der Mehrheit der Bundesbürger. Einer neuen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGovs zufolge unterstützen 59 Prozent der Befragten die Haltung der Bundesregierung, dem Land keine Waffen zu schicken. Nur jeder Fünfte sprach sich für Waffenlieferungen aus. Deutschland gehört im Bereich der wirtschaftlichen und humanitären Hilfe immerhin zu den größten Geberländern für die Ukraine.

Angela Merkels direkter Draht fehlt

Ein weiterer Kritikpunkt: Der Abgang Angela Merkels habe in der europäischen Russlandpolitik eine Leerstelle hinterlassen, die Kanzler Olaf Scholz bislang anscheinend noch nicht zu füllen vermochte. Der britische "Economist" etwa beklagt, dass der ehemals intensiv genutzte Gesprächskanal zwischen Berlin und Moskau seit dem Regierungswechsel Anfang Dezember weitgehend brachliegt.

Blumen für die Kanzlerin: Der russische Präsident Wladimir Putin mit Angela Merkel am 20.August 2021 in MoskauBild: Sputnik/REUTERS

Wie eng der Kontakt war, bestätigt im DW-Gespräch Horst Teltschik. Der enge Vertraute des früheren Kanzlers Helmut Kohl war Augen- und Ohrenzeuge vieler Verhandlungen rund um die deutsche Einigung und anschließend lange Jahre Vorsitzender der Münchner Sicherheitskonferenz.

Gegenüber der DW erläutert der weiterhin gut vernetzte Politik-Veteran: "Der Vorteil von Bundeskanzlerin Merkel war: Sie konnte jederzeit Putin anrufen und ein Gespräch herbeiführen." Das, so schreibt der "Economist", habe Merkel auch in den letzten Monaten ihrer Amtszeit häufig getan. Olaf Scholz dagegen hätte bislang trotz der brisanten Lage nur einmal mit dem Kreml telefoniert. Das war Ende Dezember.

Immerhin: im Zweiten Deutschen Fernsehen (ZDF) kündigte Scholz an, bald nach Moskau reisen zu wollen. "Ich werde jetzt in die USA fahren. Ich werde auch in Kürze in Moskau weiter sprechen über die Fragen, die da notwendig sind", sagte Scholz. "Das ist geplant und wird auch bald stattfinden", fügte der Kanzler mit Blick auf ein Treffen mit Putin hinzu. Am kommenden Montag wird der SPD-Politiker Gespräche mit US-Präsident Joe Biden in Washington führen.

Auf die Frage hin, wann Scholz zuletzt mit Putin telefoniert habe, antwortete Scholz im ZDF ausweichend. Natürlich habe er mit Putin gesprochen. Ob das kürzlich passiert sei oder es sich um jenes bekannte Telefonat Ende Dezember handelte, ließ er offen.