In Zeiten sinkender Zeitungsauflagen haben es Karikaturisten in Deutschland schwer. Im Netz gibt es kein lohnendes Geschäftsmodell. In Ländern wie Ägypten hingegen gewinnen Zeichner derzeit an Bedeutung.
Bild: Gerhard Mester/Rückblende 2012
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Der Euro ist krank. Krankenpfleger und Ärzte schleppen ihn auf einer Bahre die Treppe hoch. Die schwächelnde europäische Währung hängt dabei am Tropf. Mit dieser Karikatur hat der deutsche Zeichner Gerhard Mester die Rettungsbemühungen um den kriselnden Euro im vergangenen Jahr kommentiert. Eine politische Karikatur im besten Sinne, befand die Jury der "Rückblende 2012", eines der wichtigsten Preise für Karikaturisten in Deutschland. Gerhard Mesters Zeichnung gewann den ersten Preis. "Karikaturen sind immer Kommentare zum Zeitgeschehen. Sie nehmen Stellung und sie analysieren", sagt Jurymitglied Ulrich Op de Hipt, der die größte deutsche Sammlung politischer Karikaturen seit 1945 im "Haus der Geschichte" in Bonn kuratiert.
Schwächelnde Zeitungsbranche
Für den Karikaturisten Gerhard Mester bedeutet die Auszeichnung vor allem Rückenwind für seine tägliche Arbeit: "Das Standing in den Redaktionen ist besser." Denn die Zeiten seien unsicherer geworden. Zeitungen veröffentlichen die gezeichneten Kommentare zwar immer noch an prominenter Stelle - in der schwächelnden Branche aber sinken die Auflagen. Damit nimmt auch die Zahl der Blätter selbst ab. Im Netz gebe es bisher kein lohnendes Geschäftsmodell für Zeichner, sagt der mehrfach preisgekrönte deutsche Karikaturist Rainer Hachfeld. Auf den Online-Auftritten der Tageszeitungen finden politische Karikaturen so gut wie gar nicht statt, oder nehmen nur eine Randrolle ein.
Rainer Hachfeld nahm Angela Merkel und ihre Rede über das "Neuland" Internet in einer Karikatur aufs Korn, die in "Neues Deutschland" erschienBild: Rainer Hachfeld
Hinzu kommt: Es gibt Nachwuchsprobleme. Die etablierten deutschen Karikaturisten werden immer älter. Jüngere Zeichner suchen sich andere Einnahmequellen, zum Beispiel in der Werbung. Rainer Hachfelds Fazit: "Der Karikaturist, der politische Karikaturen für Tageszeitungen zeichnet, stirbt wohl aus." Das liegt auch an einer generellen Entwicklung: "Karikaturen wurden in Deutschland nie so ernst genommen wie in anderen Ländern", sagt Hachfeld. Die aktuelle Karikatur in der Tageszeitung sei erst durch die englischen Besatzer nach dem Zweiten Weltkrieg nach Deutschland gekommen. Im angelsächsischen Raum oder Frankreich habe die Karikatur traditionell einen sehr viel höheren Stellenwert als in Deutschland.
Demokratie in Bildern
Karikaturisten aus aller Welt illustrieren mit ein paar Strichen, wie es um die Demokratie in ihrer Heimat bestellt ist. Auch wenn die Lage oft bedrohlich scheint, ihren Humor haben sie sich bewahrt.
Bild: Antonio Mesamadero
Die Qual der Wahl
Verkehrte Welt, denkt sich der deutsche Karikaturist Roger Schmidt: Die Linken kürzen Sozialleistungen, die Konservativen setzen sich für die Energiewende ein. "Wen oder was wähle ich eigentlich? Keine Ecken, keine Kanten, kein Tabubruch. Und damit verbunden fehlt es den Parteien an Authentizität." Schmidt ist eigentlich Ingenieur, zeichnet aber für sein Leben gern.
Bild: Roger Schmidt
Auch Urnen haben Traumata
"Wenn nicht gerade die USA die Demokratie verkörpern würde, könnte man die Menschen im Nahen Osten vielleicht von dieser Staatsform überzeugen." Das meint zumindest der Ägypter JF Andeel, der schon mit 19 Jahren die Zustände in seiner Heimat treffsicher karikierte. Bei ihm jammert sogar die Wahlurne über Betrug. Seit 2011 zeichnet er auch für die renommierte Tageszeitung "Egypt Independent".
Bild: J.F. Andeel
Wo geht's lang?
"Amerika ist eine Demokratie mit vielen Stimmen, und alle schreien etwas anderes. Bieg links ab, Onkel Sam, bieg rechts ab – aber in der Wüste kann man nirgendwohin abbiegen…" So bemängelt der US-Amerikaner Mike Lester den Reformstillstand in seiner Heimat. Mit seinen treffenden Karikaturen hat er schon viele Preise und mehrmals den Award der Nationalen Cartoonisten-Vereinigung abgeräumt.
Bild: Mike Lester
Technische Probleme...
Gomaa Farahat aus Kairo ist ein alter Hase im Karikaturgeschäft. Seine bissigen Zeichnungen sind nicht nur in Ägypten beliebt; er arbeitet auch regelmäßig für US-amerikanische, europäische und asiatische Zeitungen. Während die Demokratie in Ägypten schon im Argen liege und man es bei Wahlen mit der Wahrheit nicht so genau nehme, sei die aktuelle Lage in Syrien geradezu katastrophal, meint er.
Bild: Gomaa Farahat
Ungarische Bastelstunde
Petér Temesi alias Hopsy hat schon Grafiken für Computerspiele und Werbeagenturen entworfen, jetzt nimmt er sich die Demokratie vor. Das sei Ungarn zwar nach wie vor, aber die Meinungsfreiheit sei ziemlich eingeschränkt, kritisiert er: "Die Gesetze werden derzeit von unserem Premierminister Orbán gemacht. So können sie für alles Mögliche verwendet werden." Sogar zum Heiligenscheinbasteln…
Bild: Petér Temesi/Hopsy
Alles im Griff
"Für eine russische Demokratie ist es zu spät. Putin hält das Land fest in seinen Zangen. Alle Russen mit Menschenverstand sollten sich in den Westen absetzen. Dann können der Geheimdienst und all die besoffenen Neureichen fröhlich weitermachen." Seit 2007 fallen Denis Lopatins bissige Karikaturen der Zensur zum Opfer, dieses Bild verschwand spurlos aus einem Museum. Heute malt er nur noch Blumen.
Bild: Denis Lopatin
Kräftemessen
"Griechenland war, ist und wird immer ein Synonym für Demokratie bleiben. Im Moment muss die Bevölkerung harte ökonomische Einschnitte ertragen; das könnte den sozialen Frieden gefährden. Wir hoffen, dass die Fahne der Demokratie trotzdem hochgehalten wird." Das meint der international renommierte griechische Zeichner Bas Mitropoulos, der mit 76 Jahren schon so manche Krise erlebt hat.
Bild: Basilis Mitropoulos
Notfalleinsatz
Antonio Mesamadero hat als Laufbursche bei einer Zeitung angefangen, jetzt ist er selbst anerkannter Journalist und Karikaturist. "Die meisten Politiker in Spanien wollen das größte Stück vom Kuchen; Korruption statt Bescheidenheit ist angesagt", kritisiert er. Ob Merkels Rezepte Ministerpräsident Rajoy retten können, sei fraglich; die Demokratie läge jedenfalls angeschlagen auf dem Krankenbett.
Bild: Antonio Mesamadero
Alle einer Meinung...
Der Ägypter Gomaa Farahat hält Demokratie in vielen arabischen Ländern für nicht mehr als eine schöne Fassade. "Die Realität hält für das Volk Diktaturen bereit, die entweder von Familienclans oder vom Staat ausgehen", sagt er. Religiöser Fanatismus ist für ihn einer der Hauptgründe, dass die Demokratie kaum eine Chance hat. Meinungsfreiheit? Fehlanzeige!
Machtspiele
Wer in der Ukraine an die Macht kommt und wer im Gefängnis landet, entscheidet sich im abgekarteten Spiel. Europa hält Julia Tymoshenko für ein politisches Opfer; Russland reklamiert, sie sei wegen der Gasverträge verurteilt worden. Die Demokratie bleibt bei solchen Streitereien auf der Strecke. So sieht es zumindest Oleg Smal: "Worte wie Demokratie nimmt die Regierung nicht mehr in den Mund."
Bild: Oleg Smal
Auf dem Pulverfass
Mit dem türkischen Premierminster hat Erdogan Karayel nur den Namen gemeinsam, ansonsten solidarisiert sich der 57-jährige Karikaturist aus Istanbul mit der "Generation Gezi-Park". Die jetzige AKP-Regierung spalte die Bevölkerung und missachte Menschenrechte, findet er: "Die Proteste hingegen schweißen die Menschen trotz aller Unterschiede zusammen – für eine demokratischere Türkei."
Bild: Erdogan Karayel
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Ein Kulturimport aus Europa?
Das gilt auch für andere Länder außerhalb Europas. Rainer Hachfeld saß in der Jury des diesjährigen Karikaturenpreises des Dritte Welt Journalisten Netzes (DWJN) zum Thema "50 Jahre afrikanische Einheit". Im Gespräch mit afrikanischen Zeichnern fiel ihm auf: "Sie werden ernster genommen. Printmedien haben dort noch stärkeren Einfluss als hier." Auch Annette Hornung-Pickert vom DWJN bestätigt den großen Einfluss von Karikaturen auf die politische Debatte in Ländern wie Kenia, Tansania oder Südafrika. Doch für mutige Karikaturen brauche es in Afrika auch immer noch Verleger mit Rückgrat, die zu ihren Zeichnern stünden. Tabuthemen wie Religion werden in einigen Ländern gar nicht erst angepackt.
Annette Hornung-Pickert hat den Eindruck, dass die politischen Zeichnungen besonders in Ländern mit britischen Medien einen hohen Stellenwert besitzen. Ein Kulturimport aus Europa sei die politische Karikatur aber nur zum Teil, betont Mohamed Abla. Der ägyptische Künstler und Kunstsammler hat in der Oase Fayoum in der Nähe von Kairo ein außergewöhnliches Projekt aus der Taufe gehoben: das einzige Karikaturen-Museum in der arabischen Welt. "Karikaturen gab es in Ägypten schon seit der Zeit der Pharaonen", erzählt er. In ägyptischen Zeitungen spielen sie heute eine wichtige Rolle: "Über Karikaturen kann man eine Menge vermitteln. Viele Menschen verstehen dadurch mehr als durch das Lesen von Texten."
"Ich persönlich glaube an die Freiheit der Frau": Karikatur des ägyptischen Zeichners SamirBild: Samir/Fayoum Art Center and Museum
Viele junge Zeichner
In Ägypten wachse die Zahl der Karikaturisten zur Zeit an: "Es sind viele junge Männer und auch Frauen dabei. Für sie spielt auch das Internet eine wichtige Rolle, um Reaktionen hervorzurufen", so Abla. Der Ursprung dieser Entwicklung liegt in der ägyptischen Revolution. Das politische Klima hat sich verändert. So können Zeichner die Kritik in ihren Zeichnungen offener äußern als früher. "Freie Meinungsäußerung ist die wichtigste Voraussetzung für Karikaturen", sagt der deutsche Experte Ulrich Op de Hipt.
Der ägyptische Künstler und Sammler Mohamed Abla vor dem Karikaturenmuseum in der Oase FayoumBild: Mohamed Abla/Fayoum Art Center and Museum
Überall dort, wo die Meinungsfreiheit eingeschränkt ist, haben es Karikaturisten schwer. Denn sie legen sich mit den Mächtigen ihrer Länder an und riskieren Verleumdungsklagen – oder Schlimmeres. In Ländern mit starker politischer Zensur wie in China können Karikaturisten nur bedingt offen arbeiten, es drohen harte Strafen. In Syrien wurde 2011 der Karikaturist Ali Ferzat gefoltert – wegen angeblicher Beleidigung von Präsident Assad. Heute lebt er im Exil und zeichnet weiter. Das zeigt: Als kritische Kommentatoren politischer und gesellschaftlicher Prozesse bleiben Karikaturisten unverzichtbar.