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"Kroatien braucht Stabilität und Reformen"

Srecko Matic12. September 2016

Die Kroaten haben zum zweiten Mal in zehn Monaten ein neues Parlament gewählt. Gunther Neubert von der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer in Zagreb erwartet, dass nun endlich Reformen umgesetzt werden.

Touristenzentrum Rovinj (in Kroatien (Foro: picture-alliance/dpa)
Der Tourismus ist Kroatiens wichtigster WirtschaftszweigBild: picture-alliance/dpa

DW: Nach sechs Jahren der Rezession verzeichnet Kroatien jetzt zum ersten Mal wieder ein leichtes Wachstum. Wie beurteilen Sie die derzeitige wirtschaftliche Lage - drei Jahre nach dem EU-Beitritt des Landes?

Gunther Neubert: Auf Vorwärtskurs! Das Land konnte 2015 bereits vom niedrigen Ölpreis, der guten Tourismussaison und der günstigeren Lage in den wichtigsten Partnerländern in der EU profitieren, wodurch die Auslandsnachfrage gestiegen ist und das Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf Jahresbasis ein Wachstum von 1,6 Prozent verzeichnen konnte. Zu erwarten ist, dass sich das Wirtschaftswachstum 2016 und in den folgenden Jahren noch beschleunigen wird, getrieben vor allem durch die Auslandsnachfrage, zunehmend aber auch vom privaten Verbrauch und den Investitionen.

Nun hat Kroatien zum zweiten Mal innerhalb von zehn Monaten ein neues Parlament gewählt. Auch diesmal wird die Bildung einer stabilen Regierung schwer sein. Was sollte die künftige Regierung tun? Welche konkreten Maßnahmen sind Ihrer Meinung nach nötig, damit es mit der wirtschaftlichen Entwicklung vorangeht?

In erster Linie erhoffen wir uns eine langfristig stabile Regierung und die zügige Umsetzung strategisch wichtiger Projekte und Reformen, beispielsweise im Bildungs-, Steuer- und Verwaltungssystem. Wichtig ist auch, das Investitionsklima zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen sowie die Staatsfinanzen zu konsolidieren. Als problematisch gestalten sich in der Tat das hohe Budgetdefizit, das dieses Jahr aber noch auf unter drei Prozent gesenkt werden soll, sowie der Zufluss von EU-Mitteln, der immer noch zu träge verläuft. Immerhin stehen Kroatien in der EU-Förderperiode 2014 bis 2020 rund 10,5 Milliarden Euro aus EU-Struktur- und Investitionsfonds zur Verfügung.

Was bemängeln die deutschen Investoren am meisten? Wir hören oft, die Strukturen in Kroatien seien noch zu schwach, man tue nicht viel bei der Bekämpfung der Korruption, die Rechtslage sei manchmal zu intransparent...

Vor allem die allerdings regional sehr unterschiedlichen langwierigen Verwaltungswege, die hohe Steuerbelastung und zu hohe Lohnnebenkosten, die Dauer von Gerichtsverfahren sowie öffentliche Ausschreibungen, die teilweise als intransparent und unfair wahrgenommen werden. Andererseits verfügt Kroatien über teilweise sehr gute Zuliefererstrukturen, wie in der Schuh- und Textilindustrie oder im metallverarbeitenden Gewerbe.

Gunther Neubert ist Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und HandelskammerBild: AHK Zagreb

Wie steht das Land da im Vergleich zu anderen neuen EU-Mitgliedsstaaten, wenn es um seine Attraktivität als Standort geht?

Klare Vorteile sind Kroatiens ausgezeichnete strategische Lage, da das Land aufgrund langjähriger wirtschaftlicher Verknüpfungen auch als "Tor zum westlichen Balkan" bezeichnet wird. Hinzu kommen eine sehr gut ausgebaute Verkehrsinfrastruktur sowie das Engagement und die Qualifikation der hiesigen Mitarbeiter. Als negativ wahrgenommen wird zum Teil der relativ kleine Absatzmarkt mit nur 4,2 Millionen Einwohnern, die hohe Steuerbelastung und der schwache Reformwille bei Politikern jeglicher Couleur.

Die bisher und möglicherweise auch künftig regierende konservative Partei HDZ hat angekündigt, den Fokus auf Energie und Infrastruktur zu legen, um die Wirtschaft anzukurbeln. Ist eine Konzentration auf große, aber nicht so zahlreiche Projekte denn sinnvoll? Erkennen Sie überhaupt eine klare Wirtschaftsstrategie in Kroatien?

Aus Sicht unserer Kammer wäre eine Fokussierung auf die Stärkung des industriellen Kerns von herausragender wirtschaftsstrategischer Bedeutung, da diese mittel- und langfristig auch dringend notwendige Investitionen in den Bereichen Forschung und Entwicklung mit sich bringen würde. Das wiederum wäre für eine Stärkung der Konkurrenzfähigkeit der hiesigen Wirtschaft von zentraler Bedeutung. Auch ein landesweiter Ausbau dualer Ausbildungsstrukturen nach deutschem Vorbild sollte ein integraler Bestandteil der kroatischen Wirtschaftsstrategie werden, da in Kroatien schon heute ein Fachkräftemangel die wirtschaftliche Entwicklung behindert - trotz der hohen Arbeitslosigkeit.

Einer der Vorwürfe lautet, dass Kroatien sich zu sehr auf den Tourismus verlasse. Die Saison 2016 wird aller Voraussicht nach sehr gut sein, doch trotzdem wächst der Umsatz kaum. Woran liegt das? Machen die Kroaten zu wenig aus dem, was sie haben?

Die Ursachen hängen auch mit einer jahrzehntelangen Fokussierung auf eine Art von Selbstversorgungstourismus zusammen. Hunderte Campingplätze und Tausende Ferienwohnungen tragen weniger zur touristischen Wertschöpfungskette bei als teure Tourismusangebote im Vier- und Fünf-Sterne-Bereich. Im Hotel- aber auch im Campingsektor ist jedoch schon jetzt eine Trendwende zu verzeichnen, die sich in zahlreichen Bauvorhaben und Modernisierungen widerspiegelt. Hinzu kommt der Aus- und Neubau von Marinas, einem touristischen Wirtschaftszweig mit stark zunehmender Bedeutung. In dem Sinne bewegt sich das Land in die richtige Richtung.

Gunther Neubert ist Geschäftsführer der Deutsch-Kroatischen Industrie- und Handelskammer in Zagreb sowie Leiter des Delegiertenbüros der Deutschen Wirtschaft in Bosnien-Herzegowina.

Das Gespräch führte Srecko Matic.

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