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Politik

Kroatien: Das Erbe der Partisanen

Cvetković-Sander Ksenija | Sander Martin
21. Juni 2021

Am 22. Juni begeht Kroatien das 80. Jubiläum des Beginns des Kampfes gegen die Besatzung durch die Achsenmächte. Seit der Unabhängigkeit 1991 wurde die Hälfte aller Partisanendenkmäler im Land zerstört oder beschädigt.

Denkmal im dalmatinischen Gradac Antun Augustincics (Antun Augustinčić)
Wurde vor 30 Jahren vom Sockel gestürzt: Schwer beschädigte Statue eines Partisanen im kroatischen GradacBild: Martin Sander

Wo die Neretva in die Adria mündet, liegt Ploče. Seit 1976 gibt es in der kleinen dalmatinischen Hafenstadt einen "Gedenkpark der Revolution". Dort erinnert man an die Opfer des Faschismus. Einigen von Titos Partisanen aus der Region hatte man in den 1970ern ein eigenes Denkmal gesetzt - Köpfe auf hohen Sockeln im Halbrund aus Felsstein. Die Sockel sind noch da, die Köpfe weg. Im Sommer 1991, zu Beginn des Kroatienkrieges, haben Leute, deren Namen niemand aus der Stadt nennen will, zwei Köpfe abgesprengt. Daraufhin nahmen die Nachfahren der übrigen Kämpfer "ihre" Köpfe ab und verstauten sie bei sich zu Hause, erzählt Vedran Sršen, Autor und Aktivist aus Ploče.

Sršen ist wütend über die Zerstörung des antifaschistischen Erbes und die Verherrlichung des Ustaša-Faschismus in seiner Heimat. Deshalb hat er im April dieses Jahres beim Verfassungsgericht der Republik Kroatien den Antrag gestellt, die Verfassungsmäßigkeit eines Gedenktages zu überprüfen.

Vedran Sršen neben den Resten des Partisanendenkmals in GradacBild: Martin Sander

Es geht um den "Tag für die kroatischen Opfer im Kampf für Freiheit und Unabhängigkeit" am 15. Mai. In Kroatien weiß man: Am 15. Mai 1945 hatten sich bis dahin auf der Seite Nazideutschlands kämpfende Ustaša-Faschisten nahe dem Kärntner Örtchen Bleiburg den siegreichen Tito-Partisanen ergeben. Die brachten tausende von ihnen um. "Aber", argumentiert Sršen, "die Ustaša sind doch nicht für die Freiheit und Unabhängigkeit Kroatiens gefallen. Sie waren Marionetten der deutschen Besatzer." Durch den Gedenktag relativiere man die Ustaša-Verbrechen gegenüber den Juden, Serben, Roma und den antifaschistischen Kroaten.

Sršen engagierte sich bereits 1989 für die Kroatische Demokratische Gemeinschaft (HDZ) von Franjo Tudjman (1922-1999), die mit allen möglichen Mitteln die Unabhängigkeit Kroatiens von Jugoslawien anstrebte. Tudjman, der 1990 zum Präsidenten Kroatiens gewählt wurde, hatte zwar selbst bei Titos Partisanen gekämpft und war später zum General der Armee des kommunistischen Jugoslawiens aufgestiegen. Doch einige maßgebliche Leute, mit denen er sich in den 1980ern und zu Beginn der 1990er Jahre in der HDZ zusammentat, hatten eine ganz andere Vergangenheit: Sie waren Anhänger des Ustaša-Regimes, kehrten nun, nach Jahrzehnten des Exils, in die Heimat zurück - und waren entschlossen, dem unabhängigen, neuen Kroatien ihren Stempel aufzudrücken.

Zwischen antifaschtischer Tradition und Ustaša-Gruß

Seither laviert das Land, immer wieder und auch derzeit von der HDZ regiert, zwischen Faschismus und Antifaschismus. Auf der einen Seite begeht man seit 2002 am 22. Juni den "Tag des antifaschistischen Kampfes". Auf der anderen Seite wurde von rund 7000 antifaschistischen Denkmälern aus der sozialistischen Ära seit 1991 die Hälfte zerstört oder beschädigt, darunter wertvolle Kunstwerke der Moderne. Niemand musste sich bisher für die Zerstörungen verantworten. Außerdem gibt es da noch die immer wieder aufflammende Diskussion um den faschistischen Ustaša-Gruß "Za dom spremni!" (Für die Heimat bereit!). An sich ist er verboten, bei bestimmten Anlässen aber wird er toleriert.

Ohne die Köpfe der Partisanen: der "Gedenkpark der Revolution" im kroatischen Ploče heuteBild: Martin Sander

Vedran Sršen hat sich früh von der HDZ verabschiedet. Seit vielen Jahren prangert er die Geschichtspolitik seiner Ex-Partei an. Im Küstenort Gradac, einige Kilometer nördlich von Ploče, führt er uns auf ein Aussichtsplateau über dem Meer. Dort stand ein Denkmal, das der berühmte kroatische Bildhauer Antun Augustinčić gestaltet hatte. Die kantige Säule mit Reliefbildern ist unversehrt. Die mächtige Figur des Partisanenkämpfers aber liegt seit knapp 30 Jahren schwer beschädigt am Boden. An einem helllichten Tag des Jahres 1992 kamen kroatische Militärs, die in der Nähe gegen Serben kämpften. Ungerührt vom Protest der Einheimischen ketteten sie die Partisanenstatue an ihren Militärlaster und gaben Gas. "Was haben denn die Partisanen diesen Leuten angetan?", fragt Sršen. Die große Mehrheit stand im Zweiten Weltkrieg in dieser Gegend auf der Seite der Partisanen.

Demokratie ohne Partisanendenkmäler

Unweit von Ploče, mitten im Neretva-Delta, liegt die Kleinstadt Opuzen. Dort fehlt jede Spur des Denkmals, das die Stadt 1978 ihrem berühmtesten Sohn widmete. Der Opuzener Stjepan Filipović kämpfte als Anführer eines Bataillons in der jugoslawischen Partisanenarmee. Auf Anordnung der deutschen Besatzer wurde er 1942 im serbischen Valjevo gehenkt. Die Schlinge um den Hals, reckte Filipović vor versammelter Menschenmenge die Fäuste zum Himmel und rief zum Widerstand auf. Eine Fotografin hat diesen Augenblick festgehalten. Das Bild wurde zur Ikone und ist heute im Holocaust Memorial in Washington zu betrachten.

Der Partisan Stjepan Filipović vor seiner Hinrichtung im serbischen Valjevo 1942Bild: United States Holocaust Memorial Museum/Courtesy of Muzej Revolucije Narodnosti Jugoslavije

Filipovićs Denkmal in Opuzen sprengten 1991 ein paar junge Männer. Mächtige HDZ-Leute hatten sie dafür bezahlt. Die Nachfahren des Partisanen, die in Opuzen leben und sich für den Wiederaufbau des Denkmals einsetzen, wollen die Namen der Täter nicht nennen. Dafür sei die Zeit noch nicht reif, sagen sie. Die jungen Männer am Markplatz interessiert Filipović nicht die Bohne. Man solle alle Partisanendenkmäler "wegmachen", das sei Demokratie, lachen sie. Die antifaschistische Tradition Kroatiens und Titos Jugoslawien überhaupt gingen ihnen "am Arsch vorbei".

Symbol des Widerstands und der Freiheit

Gleichwohl wächst die Empörung über die Zerstörung antifaschistischer Denkmäler im ganzen Land. Die Zagreber Kunsthistorikerin Davorka Perić hat die Initiative "Refreshing Memories" gestartet. Unter anderem setzt sie sich für den Wiederaufbau des Filipović-Denkmals in Opuzen ein. Es handele sich um ein universales Symbol des Widerstands und der Freiheit.

Die Kunsthistorikerin Davorka Perić vor einem übermalten faschistischen Grafitti in der kroatischen Hauptstadt ZagrebBild: nfoto.hr

Die Reste des zerstörten Monuments, das Anwohner retteten und versteckten, hat Perić gegen den Willen des langjährigen Opuzener Bürgermeisters in der kroatischen Hauptstadt Zagreb ausgestellt. Zudem hat sie ihre Initiative mit anderen Gruppen vernetzt. Dazu gehört VEDRA - eine Vereinigung von Veteranen des Kroatien-Krieges der 1990er Jahre aus Split, die sich vor einigen Jahren gründete, um den Antifaschismus als Grundlage des kroatischen Staates zu verteidigen.

In Opuzen dreht sich gerade der Wind. Zwar haben Lokalpolitiker der HDZ das Gelände des Filipović-Denkmals extra in eine Gewerbezone verwandelt, um den Wiederaufbau zu verhindern. Doch bei den Kommunalwahlen im Mai hat die kleine Stadt an der Neretva einen neuen, parteilosen Bürgermeister gewählt. Der zeigt sich in Sachen Filipović gesprächsbereit. Die Karten werden gerade neu gemischt.

Cvetković-Sander Ksenija Autorin HA Programms for Europe
Sander Martin Autor HA Programms for Europe