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Politik

In Kroatien ist Nationalismus salonfähig

Thomas Brey
14. Juli 2020

Deutschlands Nationaltorwart Manuel Neuer hat im Adria-Urlaub ein nationalistisches Lied mitgesungen. Warum versteht die Öffentlichkeit im jüngsten EU-Mitgliedsstaat die Aufregung darum nicht?

Kroaten Nationamannschaft feiert mit ultranationalistischem Sänger Thompson
Zagreb, 16. Juli 2020: Kroatiens Nationalmannschaft feiert den 2. Platz bei der WM mit Sänger Marko Perković "Thompson"Bild: picture-alliance/PIXSELL/G. Stanzl

Skandale um rechtsextreme und nationalistische Sprüche und Gesten sind im jüngsten EU-Mitgliedsland Kroatien beinahe an der Tagesordnung. Für Aufregung in der Öffentlichkeit sorgt das selten. Auch jetzt, nachdem der deutsche Nationaltorwart und Bayernkeeper Manuel Neuer im Urlaub an der Adriaküste aus voller Brust mit kroatischen Freunden ein nationalistisches Lied gesungen hat, sind die Medien des jüngsten EU-Landes lediglich verwundert, warum das in der Bundesrepublik so hohe Wellen schlägt. "Deutsche Medien greifen Neuer brutal an", kritisieren zum Beispiel die prominente Webseite "tportal.hr" und die renommierte Zeitung "Večernji list" ("Abendzeitung").

Was war da los? Neuer urlaubte bei seinem langjährigen Trainer Toni Tapalović, der ein Anwesen im mitteldalmatischen Brela besitzt. Auf einem offensichtlich feucht-fröhlichen Ausflug auf die Insel Šipan grölten Neuer und Co. zu Akkordeonbegleitung den nationalistischen Gassenhauer "Lijepa li si" (Du bist schön). Darin werden Teile des Nachbarlandes Kroatiens, Bosnien-Herzegowina, als kroatisches Staatsgebiet vereinnahmt.

Es handelt sich klar um ein revisionistisches Lied. Als würden in Deutschland Lieder gesungen, die Ansprüche auf das französische Elsass oder die bis 1945 deutschen Gebiete in Polen erheben.

Neuer hat sich mittlerweile über sein Management entschuldigt: Er habe den Inhalt des Liedes nicht gekannt. "Die Textzeilen kennt Neuer offensichtlich auswendig", wundert sich dagegen die Lokalzeitung "Dubrovački Vjesnik": "Bekannt ist, dass Neuer die kroatische Sprache ziemlich gut versteht, aber etwas weniger spricht", weiß das Blatt. Schließlich spiele der Torwart schon lange mit kroatischen Spielern wie Ivan Rakitić, Ivica Olić, Mario Mandžukić und Ivan Perišić zusammen und sei regelmäßig in Kroatien zu Gast.

Religiöse, nationalistische und faschistische Anspielungen

"Lijepa li si" ist der Erfolgshit des kroatischen Sängers Marko Perković, der sich nach seiner Maschinenpistole aus dem Krieg in Kroatien (1991-1995) "Thompson" nennt. Spezialisiert ist Perković auf Songs mit religiösen, nationalistischen und auch faschistischen Anspielungen. Seit der Vizeweltmeisterschaft Kroatiens vor zwei Jahren ist sein Lied "Lijepa li si" die inoffizielle Hymne der kroatischen Fußballfans. Damals posierten Kroatiens Starfußballer stolz mit dem Autor und Sänger, der die Mannschaft beim Empfang in der Hauptstadt Zagreb musikalisch begleitete.

Neben der mächtigen und sehr konservativ ausgerichteten Katholischen Kirche sowie dem starken rechten politischen Flügel in Kroatien ist die Fußballszene bis heute ein Hort extremistischen und menschenverachtenden Gedankenguts.

Ob Mario Mandžukić 2012 im Stadion nach einem Tor symbolisch vor den Generälen Ante Gotovina und Mladen Markac salutierte, die damals in Den Haag vor dem Kriegsverbrechertribunal standen. Ob ein Jahr später Nationalspieler Josip Šimunić nach der WM-Qualifikation das Stadionmikrofon an sich riss und mit den Zuschauern im Wechsel den faschistischen Gruß "Za dom – spremni!" (Für's Vaterland – bereit!) skandierte.

Die meisten dieser Skandale wurden von Politik und Medien in Kroatien kleingeredet - und damit letztendlich akzeptiert. Gerade der Gruß "Za dom – spremni", den die Hitler-Verbündeten faschistischen Ustaša ("Aufständische") im Zweiten Weltkrieg nutzten, ist in Kroatien seit Jahrzehnten ein Streitpunkt. Die frühere Staatspräsidentin Kolinda Grabar-Kitarović ließ sich hinreißen, den Spruch als "ganz normalen kroatischen Gruß" zu bezeichnen – redete sich später aber mit einer schwurbeligen Entschuldigung heraus.

Kroatiens Ex-Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović bei der Fußball-WM 2018 mit Wladimir Putin und Emmanuel MarconBild: picture-alliance/Sven Simon

Ein faschistischer Gruß

Das kroatische Verfassungsgericht hat "Za dom – spremni" wiederholt als verfassungswidrig und damit verboten bezeichnet. Das höchste Gericht für Ordnungswidrigkeiten entschied dagegen erst im letzten Monat, der umstrittene Gruß am Beginn des Thomspon-Songs "Bojna Čavoglave" (Bataillon Cavoglave) sei nicht zu beanstanden.

Die Verklärung des Ustaša-Staates, der in Konzentrationslagern wie Jasenovac schätzungsweise 100.000 Serben, Juden, Sinti und Roma sowie politische Gegner ermordete, wird selbst in der politischen Mitte des EU-Landes geduldet. Dabei handelt es sich nicht etwa um eine akademische Diskussion - sondern um einen gesellschaftlichen Diskurs, der immer wieder zu gefährlichen politischen Situationen führt.

Erst im vergangenen Juni entrollten Fans des Vereins "Dinamo Zagreb", die "Bad Blue Boys", öffentlich ein Transparent, auf dem Vergewaltigungen serbischer Frauen und Kinder angekündigt wurden. Tage später erschien ebenfalls in der kroatischen Hauptstadt auf Englisch das Grafitto "Serbian Family Tree": An den Ästen dieses skandalösen "Stammbaums" hängen Menschen.

Der Spruch "Ubij Srbina!" (Töte den Serben) ertönt nicht selten von den Zuschauertribünen kroatischer Fußballstadien. Oder erscheint als Grafitto an Häuserwänden. Die Dauerrivalität mit den Serben, die zuletzt sogar in den Bürgerkrieg (1991-1995) mündete, ist neben der Verharmlosung der faschistischen Vergangenheit die Hauptantriebskraft von extremem Nationalismus und Faschismus.

Beschmiert mit Ustaša-Symbolen: Denkmal für im 2. Weltkrieg gefallene Partisanen in der kroatischen Hauptstadt ZagrebBild: picture-alliance/dpa/HINA/Z. Kuhtic

Die Grenzen des Sagbaren

Das immer neue Herausschieben von Grenzen des Sagbaren führt selbst in Teilen der politischen Mitte dazu, dass alte Feindbilder nicht abgebaut, sondern sogar noch verstärkt werden. Eine Analyse der aktuellen Lehrbücher in den Schulen Kroatiens und Serbiens hat ergeben, dass die Schüler immer noch mit denselben nationalistischen Stereotypen indoktriniert werden wie in den kriegerischen 1990er Jahren.

Dabei werden die eigenen nationalen Positionen kritiklos heroisiert - und der angeblich ewige Gegner dämonisiert. Genau diese nationalistische Dauerberieselung hatte in frühen 1990er Jahren die Kriege in Jugoslawien vorbereitet.