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Politik

Kroatien: Wer steckt hinter den Pushbacks?

8. Oktober 2021

Politiker und Menschenrechtler reagieren auf die Filmaufnahmen, die systematische gewaltsame Abschiebungen an der Grenze des EU-Mitgliedsstaates Kroatien zu Bosnien belegen. Dafür verantwortlich sein will aber niemand.

Screenshots aus Monitor-Sendung: Europas Schattenarmee: Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze
Screenshots aus de WDR-Beitrag "Europas Schattenarmee: Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze"Bild: Monitor/WDR

Sandra Bencic steht im kroatischen Parlament vor einem Dutzend TV-Kameras und stellt die Frage des Tages: "Wollen wir in einem Staat leben, in dem gesetzlose Gruppen herumlaufen und Menschen schlagen?" Die Chefin der links-grünen Oppositionspartei Mozemo (Wir könnnen) verlangt von Kroatiens Ministerpräsident Andrej Plenkovic, endlich Verantwortung zu übernehmen und zu erklären, was eigentlich an der Grenze zum Nachbarland Bosnien und Herzegowina passiere.

"Wir sehen auf Bildern Leute ohne polizeiliche Abzeichen, wir sehen irgendwelche Menschen, die Gewalt ausüben", so Bencic weiter. "Entweder sind das paramilitärische Einheiten oder kroatische Polizisten ohne Hoheitsabzeichen, die Pushbacks durchführen."

Die kroatische Parlamentsabgeordnete Sandra BencicBild: Nenad Ivanovic/DW

Wer sind die maskierten Männer? Von wem erhalten sie ihre Befehle? "Von uns nicht", betont der kroatische Innenminister Davor Bozinovic. Er weist jegliche Verantwortung für die sogenannte Korridor-Einheit, über die ein europäischer Rechercheverbund berichtet, zu dem unter anderem die WDR-Sendung Monitor gehört, von sich. Berichte darüber, dass kroatische Sicherheitskräfte verdeckt im Auftrag der Regierung handeln, gibt es seit Jahren.

"In Kroatien werden die Gesetze respektiert, ebenso die internationalen Verpflichtungen", betont Premier Plenkovic, "unser Staat will auf gar keinen Fall in Verbindung gebracht werden mit Handlungen, die unserer Rechtsordnung widersprechen." Er habe seinen Innenminister und alle zuständigen Stellen um eine "umfassende Aufklärung der Vorwürfe" gebeten, so Plenkovic weiter. Aber Kroatien müsse auch seine Grenze schützen und irreguläre Migration stoppen.

Widerliche Szenen

Die Szenen der Gewalt gegen Migranten auf der Balkanroute seien widerlich, man dürfe den Hass, der sich dort zeige, nicht verschweigen, meint die ehemalige kroatische Regierungschefin Jadranka Kosor. Auf Twitter verlangte sie, die für die gewaltsamen und illegalen Pushbacks zuständigen Personen unbedingt zur Rechenschaft gezogen werden.

Das ist allerdings einer der wenigen öffentlichen Statements in diesem Zusammenhang. Denn Pushbacks sind eigentlich kein allzu großes Thema im jüngsten EU-Mitgliedsland, sagt der DW die Journalistin Djurdjica Klancir. Für sie sind die neuesten Aufnahmen keine Überraschung. Sie hat bereits vor zwei Jahren herausgefunden, wie das System der illegalen Pushbacks an der kroatisch-bosnischen Grenze funktioniert.

"Illegale und inhumane" Praktiken

Klancirs Quelle war ein kroatischer Polizist - und Mitglied der "Korridor-Einheit". Er berichtete damals ausführlich über "illegale und inhumane" Praktiken der Einheit, die, wie er sagte, direkt der Leitung der kroatischen Polizei unterstellt war. "Er und seine Kollegen fühlten sich wie Beschützer Kroatiens und der EU, sie hatten stets das Gefühl, die Operation passiere mit dem Segen der kroatischen Regierung und der EU", so Klancir im Gespräch mit der DW. Die Brutalität, mit der die Polizisten vorgingen, sei gewünscht gewesen, so habe man neue Migranten abschrecken wollen bei ihrem Versuch, in die EU zu kommen.

Die Journalistin Djurdjica KlancirBild: N1

Seit Jahren werden Flüchtlinge und Migranten, die versuchen, aus Bosnien in den EU-Staat Kroatien einzureisen, geschlagen, beraubt, misshandelt und illegal zurück über die Grenze getrieben. Kroatien habe das Recht, seine Grenzen und seine Souveränität zu schützen, argumentieren Vertreter der rechten Parteien im Land. Hrvoje Zekanovic von den Hrvatski suverenisti (Kroatische Souveränisten) etwa verurteilte zwar jegliche Form von Gewalt - aber bedankte sich gleichzeitig nach den neuesten Enthüllungen ausdrücklich bei den kroatischen Polizisten, "weil sie uns schützen".

Die EU schaut weg

Die Regierung in Zagreb wehrt sich gegen Kritik an der Abschiebepraxis der kroatischen Behörden - und hebt als Schengen-Kandidat die Effizienz der Grenzposten hervor, die auch im Interesse der EU sei. Und diese schaut weg. So lobte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor einigen Jahren ausdrücklich die Arbeit der kroatischen Polizei. "Es handelt sich dabei um ein System, das schon seit Jahren praktiziert wird - mit stillschweigender Unterstützung der zuständigen EU-Institutionen", sagt die Investigativ-Journalistin Klancir der DW.

Kroatiens Ombudsfrau für Menschenrechte Tena Simonovic EinwalterBild: Robert Crc

Man müsse diese Ereignisse gründlich untersuchen, verlangte die kroatische Ombudsfrau für Menschenrechte, Tena Simonovic Einwalter: "Wenn es sich tatsächlich um kroatische Polizisten handelt, dann ist das eine klare Verletzung der kroatischen Gesetze - und ein Rechtsbruch der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte. Sollte es sich um keine Polizeibeamte handeln, dann haben wir potenziell ein Problem der nationalen Sicherheit mit maskierten Gruppen, die auf dem Gebiet der Republik Kroatien auf Menschen einprügeln", so Simonovic Einwalter gegenüber dem TV-Sender N1.

Ein bisschen Gewalt

Dass Kroatien Pushbacks betreibt, ist kein Geheimnis in dem EU-Land, sondern wurde von höchster Stelle bestätigt. Als die damalige kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarovic vor zwei Jahren mit Pushback-Vorwürfen konfrontiert wurde, bestritt sie die gewaltsamen Abschiebungen nicht grundsätzlich, sondern stellte in Frage, dass diese illegal seien: "Natürlich braucht es ein bisschen Gewalt, wenn man Leute abschiebt", so Grabar-Kitarovic 2019 gegenüber dem schweizerischen Sender SRF.

Diese Meinung teilen viele Kroatinnen und Kroaten. Ihr Argument: Die Migranten überquerten schließlich illegal die kroatische Grenze, daher müsse man keine Rücksicht auf ihre gesetzlich garantierten Rechte nehmen. "Rechtlosigkeit kann aber keine Antwort auf Rechtlosigkeit sein", ermahnte der Erzbischof von Rijeka, Mate Uzinic, seine Landsleute. In einem Post auf Facebook schrieb der angesehene Geistliche am 7.10.2021: "Ich bin als Bürger Kroatiens betrübt und beschämt über diese Aufnahmen, über das, was sie zeigen und zu welcher Gesellschaft wir werden. Ich schäme mich als Mensch."

Srecko Matic Redakteur, Autor, Reporter, vor allem für DW Bosnisch/Kroatisch/Serbisch
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