Kronprinz Mohammed auf der Suche nach seiner Zukunft
20. November 2018Ja, erklärte der saudische König Salman, sein Land unterstütze die Bemühungen der Vereinten Nationen, den Krieg im Jemen zu beenden. Auch der Nahostkonflikt habe für das Königreich höchste Priorität. Für die Lösung des Syrienkrieges setze man sich in Riad ebenso ein, erklärte der König in seiner alljährlichen Schura-Rede, der Ansprache vor der höchsten beratenden Körperschaft des Landes.
Der König formulierte diese drei politischen Ziele, die alle in Einklang mit den Anliegen der Vereinten Nationen stehen. Dieses Jahr hätten sie vor allem einen Sinn, so der Politologe Marwan Kabalan auf der Internetseite des katarischen Senders Al-Jazeera: nämlich die saudische Politik wieder auf ihren traditionellen Kurs zu bringen. Die war nach dem mutmaßlichen Mord an dem saudischen Journalisten Jamal Khashoggi massiv in die Kritik geraten.
Bekenntnis des Königs zu seinem Sohn?
Allerdings fiel eines auf, so Kabalan: Auf den mutmaßlichen Mord an Khashoggi habe sich König Salman nur indirekt und sehr beiläufig bezogen, nämlich in jener Passage, in der er das Justizsystem des Landes lobte. Dieses "erfülle seine Pflicht im Dienste der Gerechtigkeit", hatte der König erklärt. Diese Aussage halte er für ein Bekenntnis des Königs zu Kronprinz Mohammed bin Salman, so Kabalan.
Träfe diese Einschätzung zu, so könnte sich in der Rede der weitere Kurs des Königshauses in der Affäre Khashoggi und der damit verbundenen Frage nach der künftigen Rolle von Kronprinz MBS, wie der Kronprinz kurz genannt wird, andeuten. Nach Ansicht des Königs wäre der Affäre Khashoggi dann mit der Verhaftung von 18 Beschuldigten - für fünf von ihnen fordert die Justiz die Todesstrafe - Genüge getan. Das hieße, der Kronprinz gälte in den Augen der saudischen Staatsführung als unschuldig und dürfte die Amtsgeschäfte weiter führen. Darauf deutet auch hin, dass der Kronprinz Ende des Monats sein Land beim G20-Gipfel in Argentinien vertreten soll.
Ob es allerdings tatsächlich so kommt, wie der König es sich in seiner Rede mutmaßlich vorstellt, ist offen. Das saudische Könighaus habe mit einer grundlegenden Schwierigkeit zu kämpfen, sagt der saudische, in Irland lebende Aktivist Abdul Aziz al-Moayyed im Gespräch mit der DW: Es sei innenpolitisch kaum legitimiert. "Das Königshaus erhält seine Legitimität nicht von der eigenen Bevölkerung, sondern aus dem Ausland. Mohammed bin Salman konnte in dem Moment nach oben klettern, in dem er aus den USA grünes Licht erhielt."
USA: Kritik am Kronprinz
Eben dieses grüne Licht ist nun aber zumindest ins Flackern gekommen. In den USA mehrt sich die Kritik an dem Kronprinzen - insbesondere nachdem die CIA erklärt hatte, ihrer Einschätzung nach sei der Kronprinz persönlich für den Mord an Khashoggi verantwortlich. Für kommenden Dienstag hat der amerikanische Geheimdienst einen umfassenden Bericht angekündigt.
US-Präsident Donald Trump hatte erklärt, er schließe sich der Einschätzung des Nachrichtendienstes nicht an. Trump bezeichnete die Schlussfolgerung am Wochenende als "sehr voreilig". Kronprinz Mohammed habe ihm wiederholt versichert, nichts mit dem Mord zu tun zu haben.
Allerdings gibt es in Washington immer mehr einflussreiche Stimmen, die dem Präsidenten deutlich widersprechen. Der Kronprinz sei "unausgeglichen" und "irrational", sagte der republikanische Senator Lindsey Graham. Es könne nicht glauben, dass MBS von dem Komplott nichts wusste. "Wenn er Gesicht und Stimme des künftigen Saudi-Arabiens ist, dann dürfte dem Königreich auf der internationalen Bühne eine harte Zeit bevorstehen", so Graham. "Juristisch tun wir so viel wie möglich, um der Welt ein Signal zu geben."
Ähnlich äußerte sich sein Amtskollege, der - ebenfalls republikanische - Senator Rand Paul. "Es scheint mir überwältigende Beweise dafür zu geben, dass der Kronprinz involviert war", so Paul. "Wir müssen denjenigen bestrafen, der das anordnete - denjenigen, der im Amt ist."
Schwierigkeiten eines Rücktritts
Doch einem Rücktritt des Kronprinzen stünden einige Schwierigkeiten entgegen, schreibt die israelische Zeitung "Haaretz" in einer Analyse. MBS sei mutmaßlich im Jahr 2006 vom Familienrat als Nachfolger des Königs auserwählt worden. Zwar sei dieser Rat auch autorisiert, den Kronprinzen wieder abzuberufen, doch sei dies noch nie vorgekommen. Problematisch sei auch der zweite Weg der Absetzung, so Haaretz, nämlich die durch den König selbst. Der würde damit aber zugeben, dass er sich bei der Ernennung seines Nachfolgers geirrt hätte.
Auch dürfte MBS selbst seine Absetzung mit aller Kraft zu verhindern suchen, vermutet die Zeitung. "Nachdem der Kronprinz bereit war, seine beiden Top-Berater als Sündenböcke zu opfern, um die USA und die internationale Gemeinschaft zu besänftigen, dürfte er sich kaum freiwillig in seinen Abgang fügen."
Davon abgesehen sei der Prinz aber ganz wesentlich von den USA abhängig, so die Zeitung. Dort würde sich sein Schicksal vor allem an drei Instanzen entscheiden: der CIA, dem Kongress und der öffentlichen Meinung.
Mit Knochensäge zur Entführung?
Trifft die Annahme zu, ließe das politische Schicksal des Kronprinzen nichts Gutes erwarten: Führende Medien haben sich längst auf den Kronprinzen eingeschossen - und treiben nun auch Präsident Trump vor sich her. "Warum bringen Sie zu einer Entführung eine Knochensäge mit, Ihre Hoheit", übertitelte die Washington Post - Jamal Khashoggi schrieb für das Blatt - einen Essay. Der Text entfaltete noch einmal ausführlich die wenig schlüssig anmutende und vielfach revidierte Argumentationskette, die die saudische Regierung nach dem Tod Khashoggis entwickelt hatte. Die grundsätzliche Schwäche der Argumente deutet die nicht nur rhetorisch gemeinte Frage des Kommentars an: Wozu braucht es für eine Entführung eine Knochensäge? Im Lichte der jüngsten Erkenntnisse fragt die Washington Post auch den amerikanischen Präsidenten: "Warum unterstützen Sie dieses Verbrechen?"
Saudische Investitionen in den USA, die Versorgung des Ölmarkts, die gemeinsame strategische Partnerschaft gegen den Iran: All dies bindet die USA und Saudi-Arabien zusammen. Der Kronprinz glaube offenbar, er könne führende US-Repräsentanten von seiner Unschuld überzeugen. Vielleicht gelinge ihm das auch. "Aber das heißt nicht, dass der Rest von uns da mitmarschiert", so die Washington Post.
Wachsender internationaler Druck
Auch international wächst der Druck. Am Montag hat das deutsche Auswärtige Amt mit 18 Einreiseverboten für saudische Tatverdächtige und einem vollständigen Rüstungsexportstopp reagiert. Bei den von dem Einreiseverbot betroffenen Personen handelt es sich nach Angaben des Auswärtigen Amtes um das mutmaßliche 15-köpfige Mordkommando sowie um drei weitere Personen, die an der Organisation beteiligt gewesen sein sollen. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman gehört allerdings nicht dazu.
In Teilen der arabischen Medien steigt indes ebenfalls der Druck. Die Trump-Administration verfolge in der Beziehung zu Saudi-Arabien zwar exakt definierte Interessen, schreibt das dem Sender Al-Jazeera verbundene Blatt "Al arabi al-jadeed". Allerdings: "Wie lange können es sich die USA leisten, der Welt zu erklären, dass Gerechtigkeit, Menschenrechte und Freiheit zum Dissens nicht länger zählen und dass blutige Autokraten wie MBS das Sagen haben sollen, ohne Rechenschaft ablegen zu müssen?"
Saudi-Arabien: Die Unzufriedenheit der Bürger
Der Druck auf Saudi-Arabien wächst. Und zwar nicht nur außen- sondern auch innenpolitisch, sagt der Aktivist Abdul Aziz al-Moayyed im Gespräch mit der DW. "Auch die Bürger des Königreichs sind unzufrieden, etwa über die Steuern, die Arbeitslosigkeit, den Krieg im Jemen und die Flucht saudischen Geldes ins Ausland. Zugleich herrscht ein Gefühl der Angst."
Viele Faktoren, die nicht zur Stabilität des Landes beitragen. Prinz Mohammed bin Salman ist gefordert.