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Kunst

Künstler gegen Polizeigewalt in Russland

Sergey Dik mb
28. März 2020

Artjom Loskutow malt seine Bilder mit einem Gummiknüppel. Auch andere Künstler in Russland machen mit ähnlichen Art-Projekten auf sich aufmerksam. Was treibt sie an?

Russland Moskau | Politische Kunst:  "Dubinopis" - Artem Loskutov
Bild: Privat

Einmal in der Woche veranstaltet der russische Künstler und Aktivist Artjom Loskutow auf seinem Facebook-Profil eine Auktion. Zum Verkauf stehen Bilder. Eins ist allen Arbeiten gemeinsam: eine längliche, ausgefranste Spur in den Farben der russischen Trikolore. Es ist die Spur eines Gummiknüppels der Polizei.

Loskutow kam nach den Massenprotesten in Moskau im Sommer 2019 auf die Idee, mit dem Schlagstock zu malen. Vor den Wahlen zum Stadtparlament hatten tausende Menschen eine faire Abstimmung gefordert. Mehrere Hunderte wurden von der Polizei und der Nationalgarde verprügelt und festgenommen. Die Brutalität gegen die Protestierenden bezeichnet Loskutow als schockierend.

Trikolore mit dem Knüppel

Loskutow kaufte einem ehemaligen Polizisten über das Internet einen Schlagstock ab. Seitdem malt er damit und nennt seine Bilder "Knüppelmalerei"; im Russischen ist das eine gezielte Verballhornung des Wortes "Schönmalerei".

Ein Gummiknüppel ersetzt dem Maler Loskutow den PinselBild: DW/S. Dick

Die ersten Arbeiten waren Improvisationen. Mittlerweile trägt er mit sicherer Hand die Farben mit dem Knüppel auf: weiß, blau und rot. Er nimmt Maß, holt aus und drischt auf die Leinwand. "Das Publikum versteht es, wenn du draufhaust. Das ist eine einfache Geste. Die Bullen schlagen Russen, die faire Wahlen wollen. Was soll ich tun? Ich kann auf die Leinwand schlagen, die Geste nachbilden und neue Formen schaffen."

Loskutow hat es in Russland mit seinen "Monstrationen" zu einiger Bekanntheit geschafft, auch das ein Wortspiel aus "Monster" und "Demonstration". Diese Art Aktionen wiederholen Artjom und seine Weggefährten jedes Jahr am 1. Mai. Die "Monstranten" marschierten erstmals 2004 mit karnevalistisch-politischen Parolen durch die Straßen von Loskutows Heimatstadt Nowosibirsk: "Alle Macht der Imagination" oder "Russische Literatur verbietet Ehen aus Liebe". Zunächst entging den Behörden der künstlerische Wert der "Monstrationen"; die Demos wurden verboten, die Organisatoren festgenommen und mit Strafen belegt.

2009 wurde Loskutow Rauschgiftbesitz vorgeworfen; er bestritt die Vorwürfe und sagte, die Drogen seien ihm untergeschoben worden. Aus Mangel an Beweisen - an dem Cannabis-Päckchen konnte man keine Fingerabdrücke von ihm finden - bekam er eine für russische Verhältnisse milde Strafe: 20.000 Rubel (damals etwa 500 Euro).

Die Ausstellung, die nicht öffnen durfte

Eine Gruppe junger Frauen und Männer trifft das DW-Team an einer Moskauer U-Bahn-Station und führt uns in ein kleines Atelier. Wir werden gebeten, die Adresse des Ateliers auf keinen Fall zu erwähnen. Die jungen Leute nennen sich "ACHUCHU" (АХУХУ), eine Abkürzung, die für "Assoziation der beschissensten Maler" steht.

Die Sicherheitsvorkehrungen treffen sie, weil sie Angst vor Behörden haben. Erst kürzlich war ihre Ausstellung "Herbst des Bandenchefs" in Gefahr. Kurz vor der Eröffnung kamen Mitarbeiter der örtlichen Behörden in Begleitung der Polizei und schweißten die Türen des Ausstellungsraumes einfach zu.

"Entschuldige dich!" - Kunstwerke in der verbotenen Ausstellung "Herbst des Bandenchefs"Bild: DW/S. Dick

Einer der Künstler, dessen Arbeiten auf diese Weise eingesperrt wurden, ist Nikita Tjoplij. Auf seinen Bildern kann man karikaturistisch verzerrte, aber doch leicht erkennbare Gestalten finden: Wladimir Putin vor der Überschrift RABOTAY ("Arbeite!"), den tschetschenischen Machthaber Ramsan Kadyrow mit dem Aufruf IZVINIS ("Entschuldige dich!") oder den russischen Patriarchen Kyrill I., der zum Beten aufruft (MOLITES). Seine Bilder vergleicht Nikita mit Internet-Memes. Umso mehr überraschte ihn der Besuch der Uniformierten.

Die Ausstellung der ACHUCHU-Vereinigung fand schließlich trotzdem statt, wenn auch ohne Öffentlichkeitsarbeit. Eingeladen wurden nur enge Freunde, um zu viel Aufmerksamkeit zu vermeiden. Manche Bilder erzählen von Polizeigewalt. So ist auf einer Leinwand Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin in Polizeiuniform zu sehen, der in einer Matrjoschka steckt.

Politische Kunst in einer Ausstellung, die beinahe nicht stattgefunden hätteBild: DW/S. Dick

"Diese Arbeiten gäbe es nicht, wenn wir nicht eine solche Situation im Land hätten", erklärt Weronika Polonskaja, die Kuratorin der Ausstellung. Die Schließung der Ausstellung im ursprünglichen Ausstellungsraum sei aus der Sicht der Behörden ein logischer Schritt. "Weil sie Angst vor der Wahrheit haben", meint Polonskaja.

Eine Dauerausstellung gibt es im Internet. Bei der Organisation half Dmitri Wrubel, Maler des "Sozialistischen Bruderkusses" zwischen Leonid Breschnew, dem einstigen KPdSU-Generalsekretär und SED-Generalsekretär Erich Honecker; das bekannte Graffito ziert einen Rest der Berliner Mauer.

Philippenzo Madonnaro und sein Bild "Küsse", eine Anspielung auf die Aufnäher auf PolizeiuniformenBild: DW/S. Dick

Ende Juli 2019 hat man im Zentrum der zeitgenössischen Kunst "Winsawod" ein Projekt mit dem Namen "Wand" ins Leben gerufen. Straßenkünstler bekamen freien Raum für ihre Ideen und haben die Außenwand des Zentrums mit Graffiti bemalt. Nach dem Ende des Projekts wurden die Werke übermalt. Doch dann kam die Protestwelle über Moskau; einige Tage später wusch der Regen die Wandfarbe ab und legte die Graffiti wieder frei. Philippenzo Madonnaro, wie sich der Maler Filip Koslow nennt, hält es für eine glückliche Fügung; die künstlerische Konzeption setzt sich gegen die Realität durch.

Polizeiliche Accessoires und Zubehör interessierten den jungen Künstler auch schon früher. In einer Ecke seines bescheidenen Ateliers steht ein ungewöhnlicher Helm der Sondereinheit der russischen Polizei: er ähnelt einem Halloween-Kürbis. Philippenzo zeigt auf ein Bild von Polizei-Absperrungen und sagt, das sei ein universelles Stadtwappen für jede russische Stadt. Seine Kunst nennt er Art-Therapie zur Überwindung der Angst vor Ordnungshütern.

Knüppelkunst für wohltätige Zwecke

Knüppelmalerei half Artjom Loskutow, einige seiner kreativen Ideen zu realisieren. Zunächst schlug er auf leere Leinwände, später nutzte er als Vorlage Kasemir Malewitschs Suprematismus. "Ich wollte schon immer das schwarze Quadrat verprügeln, weil ich als Künstler in einem gewissen Wettbewerb mit ihm stehe. Das ist doch ein tolles Werk, ein russisches dazu, und es ist fest in der Kulturgeschichte verankert. Was soll man damit machen? Darauf schlagen, zum Beispiel. Das ist ein russischer Ansatz", sagt Loskutow.

Mit dem Knüppel auf das schwarze Quadrat: Artjom LoskutowBild: DW/S. Dick

Artjom organisiert Auktionen nicht nur über Facebook. Seine "Knüppelmalerei Nummer 7" wurde bei einem wohltätigen Abend verkauft. Der Erlös kam Menschen zugute, die während der Protestaktionen in Moskau festgenommen worden waren. Loskutow ist sicher: Polizisten, die unverhältnismäßige Gewalt bei den Protesten angewandt haben, kommen ungestraft davon. Also bleibt ihm nichts anderes übrig, als weiter zu malen, damit solche Momente in die Geschichte eingehen.

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