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Politik

"Sassella" wird 35

1. Juli 2018

Es war der Hotspot zu Bonner Hauptstadtzeiten: Im "Sassella" kungelte die deutsche Politprominenz. Nun feierte das Restaurant der Gebrüder Tartero 35-jähriges Bestehen. Legendär wurde es durch die "Pizza-Connection".

Restaurant Sassella
Bild: DW/R. Bosen

Es gibt Orte der offiziellen Politik. Dazu gehört der Bundestag. Dort sind die öffentlichen Debatten zu besichtigen mit all ihren ritualisierten Abläufen und parteipolitischen Abgrenzungen. Das Parlament als Visitenkarte deutscher Demokratie, meist sachlich, weitgehend transparent und in seiner streng geregelten Ordnung ein wenig betulich.

Politik im Experimentierfeld

Es gibt aber auch Orte der inoffiziellen Politik in Deutschland. Dort, wo fernab des parlamentarischen Betriebs und aller ideologischen Unterschiede in kleinen, ausgesuchten Kreisen über Neues nachgedacht werden kann. In diesen Hinterzimmern der Macht werden - wie in einem Testlabor - Ideen ausgetauscht, strategische Weichenstellungen diskutiert oder Bündnisse angebahnt. Gerne auch mal über Parteigrenzen hinweg.

Im Idealfall wirken diese Biotope politischen Experimentierens als Schmierstoff der Demokratie. Sie können dem Politbetrieb die nötigen Impulse geben, wenn er zu verkrusten droht. In Deutschlands einstiger Hauptstadt Bonn war das Restaurant Sassella von Giorgio und Francesco Tartero ein solcher Ort. Kanzler Helmut Kohl, CDU-Urgestein Wolfgang Schäuble oder Angela Merkel, als sie noch einfache Abgeordnete war – sie alle trafen sich bei dem Edel-Italiener, der an diesem Sonntag mit rund 800 Gästen sein 35-jähriges Bestehen feierte.

Restaurant "Sassella" in Bonn-Kessenich: "Eine völlig andere Welt"Bild: DW/R. Bosen

Bei Pasta, Prosecco und Prosciutto debattierte die deutsche Politprominenz früher ungestört über so manches heikle Thema und ließ es sich dabei gut gehen. "Kohl kam mit seinen Kabinettskollegen oder seiner Sekretärin Juliane Weber", erzählt Giorgio Tartero. Nicht nur in politischer, auch in kulinarischer Hinsicht entschied sich der Chef der konservativen Christdemokraten für Altbewährtes: "Kohl wollte immer Nudeln mit Tomatensoße oder Pilzen." Angela Merkel liebte die leichte Küche. Sie habe mit ihrer Sekretärin meist im Eckbereich des Speisaals "an Tisch 34 gesessen und Gemüsegerichte bestellt", erinnert sich Francesco Tartero.

Zwei Brüder, eine Erfolgsgeschichte, auch der Integration. Giorgio und Francesco Tartero wuchsen in einfachen Verhältnissen in der Lombardei auf. Ihr Sprung von Norditalien nach Deutschland zahlte sich aus. Neben dem Sassella führen sie ein Restaurant für spanische Küche. Deutschlandweit verkaufen sie Pasta aus eigener Produktion. Zum Jubiläum veröffentlichten sie ein Buch über das Sassella und ihr Leben. Zwar spielt die Hauptstadt-Musik längst in Berlin, aber der Italiener in der Nähe des ehemaligen Regierungsviertels brummt weiterhin. Zu den Stammgästen gehören Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet oder der ehemalige Bundesarbeitsminister Norbert Blüm.

Konspirative Treffen im Weinkeller

Schlagzeilen machte das Sassella als Geburtsort der sogenannten Pizza-Connection. Der konspirative Zirkel traf sich erstmals am 1. Juni 1995. Eine Gruppe junger Bundestagsabgeordneter von CDU und Grünen, also aus damals eigentlich politisch verfeindeten Lagern, misstrauisch beäugt von den etablierten Parteikollegen. Eine solche Konstellation glich einem Tabubruch. "Uns trennten kulturelle Welten. Wir Schwarzen von der Union waren aus Sicht der Grünen versteinerte Reaktionäre und wir haben die für kleine Spinner gehalten", erzählt Norbert Blüm (CDU), der zu Kohls Kabinett gehörte. Wie reagierte die Pizza-Connection auf die Spannungen? Sie ging in den Untergrund - in den Weinkeller des Restaurants. Bis zum Umzug des Parlaments nach Berlin tagten sie dort regelmäßig - vier Jahre lang.

Kanzler Kohls Grüße im Sassella-Gästebuch: "Immer Nudeln mit Tomatensoße oder Pilzen"Bild: Herausgeber: Giorgio und Francesco Tartero

Wie die Treffen dieser Urzelle schwarz-grüner Kooperation abliefen, beschreibt der Grüne Cem Özdemir in seinem Grußwort zum Sassella-Jubiläum: "Du gehst rein und fragst einen der Kellner und musst das richtige Code-Wort sagen." Dann wurde man quer durch die Küche hindurchgelotst, um im hinteren Teil des Gebäudes eine Treppe tief in den Keller hinabzusteigen. "Dort offenbarte sich uns jungen Abgeordneten eine völlig andere Welt." An einem langen Holztisch umgeben von "erlesenen Weinen aus Italien konnten grün und schwarz sich kennenlernen, so manches Vorurteil abbauen oder als bestätigt abhaken."

Die Polit-Gourmets sind längst selber Teil des politischen Establishments. Zur Connection gehörten von der CDU unter anderen Peter Altmaier (Bundeswirtschaftsminister), Julia Klöckner (Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft), Amin Laschet (Ministerpräsident Nordrhein-Westfalen) sowie Norbert Röttgen (Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundetages). Bei den Grünen waren es beispielsweise Cem Özdemir (Ex-Bundesvorsitzender der Grünen), Kathrin Göring-Eckart (Fraktionsvorsitzende), Volker Beck (ehemals Parlamentarischer Geschäftsführer) und Steffi Lemke (Ex-Bundesgeschäftsführerin).

Helmut Kohl als Chef-Aufklärer

Bundeskanzler Kohl und dem damaligen Obergrünen Joschka Fischer blieben die rot-grünen Zweckesser nicht lange verborgen. Man munkelte über die Pizza-Connection, aber so genau wusste kein Außenstehender, was im Sassella geschah. Ihren Namen erhielten die Mini-Revoluzzer dann von einem ihrer Kritiker, dem früheren CSU-Generalsekretär Bernd Protzner, der drohte, man werde die "Pizza-Connection" im Auge behalten. Dabei hatte es im Sassella niemals Pizza gegeben. Das Geheimnis der Zusammenkünfte lüftete dann der Kanzler höchstpersönlich. Eines Tages habe Kohl bemerkt, wie die jungen Abgeordneten im hinteren Teil des Restaurants verschwanden. "Da fragte mich Kohl, wo gehen die Küken hin?", erzählt Francesco Tartero. "Und dann habe ich ihm das erzählt. Er durfte auch einmal mit mir reingucken. Dann war das normal."

Die Tartero-Brüder und Norbert Blüm am einstigen Pizza-Connection-Tisch: "Uns trennten Welten"Bild: DW/R. Bosen

Kohls damaliger enger Vertrauter Blüm glaubt, dass ihm die parteiübergreifenden Annäherungsversuche einerseits nicht so recht waren, "andererseits hatte er eine Nase gehabt, um politische Entwicklungen zu spüren. Insofern hatte er das mit einem weinenden, aber sicher auch mit einem lachenden Auge zugelassen." Heute können CDU und Grüne ganz offen miteinander flirten. In Hamburg, Hessen und Baden-Württemberg wurden schwarz-grüne Koalitionen Wirklichkeit. Angesichts der ständigen Differenzen mit der CSU sähe Kanzlerin Merkel mittlerweile wohl lieber die Grünen an ihrer Seite, als die vermeintliche Schwesterpartei aus Bayern.

Tabus zwischen Parteien überwunden

Wie die Lebenswirklichkeit lehrt, gelingen Koalitionen eben dann vor allem, wenn die Beteiligten einen Draht zueinander haben. Umgekehrt scheitern sie eher an mangelndem Vertrauen als an Differenzen in Sachfragen. Man überwinde das nur, "indem sich die Menschen kennenlernen, und zwar nicht nur auf der Höhe von politischen Programmen und Diskussionen", sagt Norbert Blüm. Insofern habe das Sassella etwas zur Veränderung der politischen Kultur beigetragen. Wie immer geschehe das nicht durch Paukenschläge, sondern Schritt für Schritt. "Ich finde es gut, dass wir die Tabus zwischen den Parteien überwunden haben."

Als der politische Betrieb 1999 nach Berlin umzog, gab es noch unregelmäßige Nachfolgetreffen der Pizza-Connection, die versandeten aber alsbald. Natürlich habe es in Berlin keinen Ort gegeben, "der mit dem einzigartigen Sassella auch nur annähernd vergleichbar wäre", schreibt Connection-Veteran Armin Laschet zum Sassella-Jubiläum. So endete in der Berliner Republik die Pizza-Connection. "Viele Freundschaften aber sind geblieben aus dieser Zeit; sie tragen - trotz aller politischen Unterschiede - bis heute", ergänzt Laschet.

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