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Kinogeschichte auf DVD: "Acht Stunden sind kein Tag"

Jochen Kürten
3. März 2017

Zu Beginn der 1970er Jahre überraschte Rainer Werner Fassbinder das Publikum mit einer TV-Serie. Die Reaktionen waren gespalten. Kritik gab es aus der rechten und der linken Ecke. Beim Publikum war die Serie ein Erfolg.

Filmstill TV Serie 8 Stunden sind kein Tag
Bild: STUDIOCANAL/Fassbinder Foundation

Weltweit erfreuen sich Serien großer Beliebtheit. Nicht nur die großen US-amerikanischen TV-Sender, sondern auch Anbieter wie Netflix oder Amazon überschwemmen inzwischen mit ihren Eigenproduktionen den Markt. Das Phänomen ist aber schon älter als man denkt. Schon zu Beginn des Kinozeitalters wurden Serien produziert - für die große Leinwand. Als das Fernsehen in die Wohnstuben Einzug hielt, entdeckten Redakteure und Regisseure sehr bald, dass sie das Publikum mit Fortsetzungen an den Bildschirm binden konnten.

Serienpionier der 70er Jahre: Rainer Werner Fassbinder

Auch der 1982 verstorbene Rainer Werner Fassbinder, aktivster und agilster Regisseur des "Neuen Deutschen Films", hat Fernsehserien gedreht. Legendär waren die dreizehn Teile seiner Döblin-Verfilmung "Berlin Alexanderplatz" (1979/80). Bereits sieben Jahre zuvor drehte er die ursprünglich auf acht Folgen angelegte Familienserie "Acht Stunden sind kein Tag", die vom produzierenden Westdeutschen Rundfunk nach fünf Teilen gestoppt wurde.

Marion (Hanna Schygulla) serviert ihren alten Freund (Ulli Lommel) abBild: STUDIOCANAL/Fassbinder Foundation

"Acht Stunden sind kein Tag" wurde gerade bei der 67. Berlinale in einer restaurierten Fassung innerhalb der Programm-Sektion Serien auf großer Leinwand wiederaufgeführt. Jetzt liegt das Opus auch auf DVD und Blu-ray vor. Es ermöglicht ein Wiedersehen mit einem der ungewöhnlichsten Fernsehexperimente der 1970er Jahre. Zudem ist "Acht Stunden sind kein Tag" ein herausragendes Beispiel für eine Fernsehserie fernab alle Konventionen.

Geschichten aus dem Arbeiterleben

Fassbinder erzählte in den fünf Teilen die Geschichte einer Familie, von der die Zuschauer nur die Vornamen kennenlernen. Die Serie, die in Westdeutschland spielt - gedreht wurde in Köln und in einer Fabrik bei Mönchengladbach - schildert das Privat- und Arbeitsleben von drei Generationen. Im Mittelpunkt stehen Jochen (Gottfried John), dessen Freundin Marion (Hanna Schygulla), Jochens Großmutter (Luise Ullrich), schlicht "Oma" genannt und deren Freund Gregor (Werner Finck).

Jochen (Gottfried John) und Marion (Hanna Schygulla) werden ein PaarBild: STUDIOCANAL/Fassbinder Foundation

"Acht Stunden sind kein Tag" war die erste populäre Familienserie des deutschen Fernsehens, die konsequent die Arbeitswelt der Protagonisten ins Zentrum stellte. Privat- und Familienleben werden zwar auch ausführlich beschrieben, Charakteristikum der Serie ist aber vor allem der Blick auf Job und Arbeit.

Fassbinder: "Die Lage ist zu verändern."

Rainer Werner Fassbinder erklärte 1972 in einem Gespräch mit dem dänischen Kritiker Christian Braad Thomsen: "Ich habe eine Serie gemacht, fünf mal anderthalb Stunden, also fünf Spielfilme, fünf ganze Spielfilme, die unter anderem auf die Probleme von Arbeitern an ihrem Arbeitsplatz eingehen, das heißt, nicht nur auf die Probleme eingehen, sondern sogar Lösungen zeigen, wie man sich gegen bestimmte Mechanismen am Arbeitsplatz wehren kann." Im Gegensatz "zu anderen Arbeiterfilmen, die halt meistens sehr depressiv sind", so Fassbinder, habe er versucht "dem Zuschauer klar zu machen, dass die Lage zu verändern ist, wenn man sich nur wehrt dagegen."

Magische Bilder von Kameramann Dietrich Lohmann: hier Jochens Schwester Monika (Renate Roland) Bild: STUDIOCANAL/Fassbinder Foundation

Konkret geht es in dem TV-Mehrteiler um Auseinandersetzungen und Arbeitskämpfe in einer Maschinenfabrik. Fassbinder zeigt, wie sich Arbeiter zu Wehr setzen können, subversiv, aber auch ganz praktisch - ohne die Hilfe der Gewerkschaft. Dieses "zwischen allen Stühlen sitzen" zeichnet die Serie aus - und ist wohl auch kennzeichnend für das gesamte Oeuvre des Regisseurs.

Fassbinder lässt sich politisch nicht einordnen

Die Protagonisten, denen der Regisseur Sympathien entgegenbringt, stehen weder auf Arbeitgeber noch auf Gewerkschaftsseite, sie sind vielmehr individuell gezeichnete Charaktere. Fassbinder: "Die Serie beschreibt nicht politische Aktionen in dem Sinn, dass die Arbeiter in die KPD eintreten oder irgend so was, sondern wie sie sich ganz konkret in ihrer Arbeit gegen Bevormundung (…) wehren."

Klaus Löwitsch spielt in einer Nebenerolle einen Vertreter der ArbeitgeberseiteBild: STUDIOCANAL/Fassbinder Foundation

Bemerkenswert ist "Acht Stunden sind kein Tag" auch durch die Vermischung verschiedener filmischer Formen. Die Serie bietet populäre Familiengeschichte (in den privaten Szenen im Wohnzimmer, wo die einzelnen Familienmitglieder zu Feiern und Festlichkeiten zusammenkommen) und konkrete Arbeiterrealität (viele Szenen spielen in Fabrikhallen und an Werkbänken) in unmittelbarer Folge.

Die Arbeiterserie arbeitet mit stilistischen Überhöhungen

"Acht Stunden sind kein Tag" verblüfft aber auch durch eine (für Fassbinder typische) Überhöhung und Stilisierung sowie einen sehr realistisch-naturalistischen Blick auf das Geschehen auf der anderen Seite. Fassbinder umschrieb seinen ästhetischen Ansatz folgendermaßen: "Ich kann mir vorstellen, dass das Unrealistische in diesen Filmen die Leute mehr zu ihrer eigenen Realität und darüber hinaus zu einer Utopie bringen kann, weil die sie Möglichkeit eines Vergleichs haben und weil ihnen nicht noch einmal dasselbe auf den Kopf geschlagen wird. Nochmal dasselbe will man ja nicht sehen."

Fassbinder spielte mit den Genres

Der Regisseur setzte sich damals ganz bewusst vom klassischen linken Arbeiterfilm ab: "Die meisten sozialistischen Filme nehmen den Leuten das Vergnügen an ihrer eigenen Realität." Der Kritiker Wilhelm Roth schrieb 1974 in einer Fassbinder-Monografie: "Fassbinder hat sich mit dieser Serie bewusst auf die Klischees der Unterhaltungsindustrie eingelassen, was einem Grundgedanken der neomarxistischen Medientheorie Theodor W. Adornos widerspricht (…). Die könnte verständlich machen, warum die Serie auch die liberalen und linken Kritikern so heftig angefeindet wurde."

Bild: STUDIOCANAL/Fassbinder Foundation

Wiederentdeckung bei der 67. Berlinale

Erstaunlicherweise kam die Mischung aus populärer Unterhaltung und politischem Engagement beim Publikum damals gut an. Und so ist das Wiedersehen der von der "Rainer Werner Fassbinder Foundation" restaurierten Serie heute ein besonderes Vergnügen. Bei der Berlinale resümierte der "Tagesspiegel" nach der Premiere: Nun könne man eine Serie wiederentdecken, "neben der das sogenannte goldene Zeitalter der Fernsehunterhaltung, in der wir uns derzeit angeblich befinden, ziemlich alt ausschaut. Weil Fassbinder nicht wie HBO und Netflix für eine exakt abgezirkelte Zuschauerschaft produzierte, sondern mit seiner Serie die Alltagsroutinen und das Selbstverständnis eines möglichst breiten Publikums herausfordern wollte."

Rainer Werner Fassbinder: "Acht Stunden sind kein Tag", TV-Serie, Deutschland 1972/1973, ca. 478 Minuten, mit Gottfried John, Hanna Schygulla, Irm Hermann, Luise Ullrich, Werner Finck, Kurt Raab, Ulli Lommel, Klaus Löwitsch u.a.; Extras: die Dokumentation: "'Acht Stunden sind kein Tag': Eine Serie wird zum Familientreffpunkt" von Juliane Lorenz, ausführliches Booklet, als Blu-ray Doppel und Digital Remastered DVD.

 

 

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