Die Bundeskunsthalle präsentiert das Kino der Weimarer Republik. Sabina Becker, Expertin für die Kultur der 1920er Jahre, plädiert für eine Neubewertung der Zeit: Kino und Kultur zeigen mehr als nur Vergnügen und Laster.
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Das Zentrum des Weltkinos: Film in der Weimarer Republik
Die Ausstellung "Kino der Moderne" der Bundeskunsthalle wirft einen Blick auf die fruchtbarste Epoche des deutschen Films. Wir stellen die Schau vor und sprechen mit einer Expertin für die Kultur der Weimarer Republik.
Bild: Deutsche Kinemathek/Hans G. Casparius
Farbig war's nur selten
Schwarz-Weiß dominierte die Epoche: Der Farbfilm war noch nicht geboren. Und so sind die allermeisten Exponate der Schau "Kino der Moderne - Film in der Weimarer Republik", die in Bonn vom 14. Dezember bis zum 24. März 2019 zu sehen ist, Schwarz, Grau und Weiß. Doch wo die Regisseure noch passen mussten, da konnten die Plakat-Gestalter der berühmten Filme schon mit Farben arbeiten.
Bild: Kantonsbibliothek Appenzell Ausserrhoden
Alle kamen nach Berlin...
Das Kino der Weimarer Republik machte Deutschland zum Nabel der Filmwelt. Einzig Hollywood agierte damals auf Augenhöhe. Nach Deutschland, vornehmlich nach Berlin, kamen die Filmstars Europas - aus Dänemark beispielsweise Asta Nielsen. Sie spielte 1927 im Film "Dirnentragödie" eine alternde Prostituierte, ein Thema, das zwar spekulativ war, aber auch die Ränder der Gesellschaft ausleuchtete.
Bild: Deutsche Kinemathek
Zeit für Experimente
Das Kino der Weimarer Republik war auch eines der Avantgarde. Das moderne Leben in der Großstadt inspirierte zahlreiche Künstler und Filmschaffende zum Experiment. Hans Richter, auch als bildender Künstler und Fotograf bekannt, schuf einen wegweisenden Kurz-Experimentalfilm, den er schlicht "Filmstudie" nannte. Richter montierte Fotografien, Animations- und Realszenen zu einer kühnen Collage
Bild: Deutsche Kinemathek
Wandelnde Geschlechterrollen
In der Weimarer Republik brachen auch herkömmliche Vorstellungen von der Rolle der Geschlechter auf - zumindest in Künstler- und Bohèmekreisen. Film- und Theaterstars wie Marlene Dietrich und Elisabeth Bergner (unser Foto) spielten ganz offen mit Mann/Frau-Klischees. Die 1920er Jahre nahmen in dieser Hinsicht vieles vorweg - was dann ab 1933 für lange Zeit wieder zum Tabu wurde.
Bild: Deutsche Kinemathek/Angelo
Spiel mit den Kindern
Die Regisseure und Drehbuchautoren richteten ihr Augenmerk auf verschiedene soziale Milieus und gesellschaftliche Schichten. Und das nicht nur in Erwachsenenwelten. Ins Rampenlicht rückten auch die Kinder. Noch heute sehenswert ist die frühe Erich-Kästner-Verfilmung "Emil und die Detektive" von Gerhard Lamprecht, der hier 1931 mit seinen Kinderdarstellern probt.
Bild: Deutsche Kinemathek/Emanuel Loewenthal
Immer schneller und schneller...
Das Thema Mobilität erfasst damals ganz Europa. Das Kino war neben der bildenden Kunst das ideale Medium, um die neuen Möglichkeiten schneller Fortbewegung ins Bild zu rücken. Automobile tauchten plötzlich wie selbstverständlich in den Filmen auf - und wurden zu Mitspielern. Der Film "Achtung! Liebe! Lebensgefahr!" (1929, unser Bild) war einer der ersten, der sich dem Thema Motorsport annahm.
Bild: Deutsche Kinemathek/Hans G. Casparius
Naturgewalten vor den Kameras
Während der Weimarer Republik entstanden viele Filme, in denen Urbanität, Geschwindigkeit und Fortschritt auf die Leinwand gebannt wurden. Doch in diesen Jahren setzte gleichzeitig auch so etwas wie eine Gegenbewegung ein. Die Natur in all ihren Facetten wurde abgebildet - besonders eindrucksvoll waren die Bergwelten, die Regisseur Arnold Fanck den Zuschauern in seinen Alpen-Dramen präsentierte.
Bild: Deutsche Kinemathek/Hans G. Casparius
Menschen am Sonntag
Den Spagat zwischen Stadtleben und Naturidylle bildete einer der berühmtesten Filme des Weimarer Kinos ab: "Menschen am Sonntag". Das halbdokumentarische Werk, für das später so berühmt gewordene Filmkünstler wie Billy Wilder, Robert Siodmak und Fred Zinnemann verantwortlich waren, zeigte eine Handvoll junger Menschen in ihrer Freizeit - in der Metropole Berlin und am Strandbad Wannsee.
Bild: Deutsche Kinemathek
Die Politik zeigt sich...
Schon früh erkannte die Politik, welche Macht das neue Medium ausstrahlte. Auf diesem Bild von 1920 ist Friedrich Ebert zu sehen. Der erste Reichspräsident der Nationalversammlung zeigte sich am Set von Ernst Lubitschs "Anna Boleyn" mit den Stars Henny Porten und Emil Jannings. Über ein Jahrzehnt später, nach Ende der Weimarer Republik, wurde das Kino zu einem mächtigen Propagandainstrument.
Bild: Deutsche Kinemathek
Sport und Körperkult
Der Kulturfilm "Wege zu Kraft und Schönheit" von Wilhelm Prager wurde im Nachhinein als Wegbereiter nationalsozialistischer Ästhetik interpretiert. Leni Riefenstahl berief sich später auf den Film. Bei der Premiere 1926 löste er aber positive Reaktionen aus. Der Film thematisierte das Verhältnis der Menschen zum Körper und wollte mit Anleihen aus der Antike Anstöße für ein gesundes Leben liefern.
Bild: Deutsche Kinemathek
Vergnügen & Laster
Die 1920er Jahre gelten heute auch als Sinnbild für eine vergnügunssüchtige Gesellschaft - vor allem das Berlin jener Jahre wurde zu einem "Tanz auf dem Vulkan". Eine Sichtweise, die zutrifft, viele Aspekte des Lebens ganz normaler Menschen aber auch ausblendet. Das Kino mit Stars wie Louise Brooks und Speedy Schlichter (hier eine Szene aus "Tagebuch einer Verlorenen") hatte seinen Anteil daran.
Bild: Deutsche Kinemathek
Rausch der Bilder
Unbestritten aber ist, dass der deutsche Film in den Jahren der Weimarer Republik Großes leistete. Es entstanden zahlreiche Meisterwerke, die erheblichen Einfluss auf Regisseure in aller Welt hatten - bis heute. Stilbildend war unter anderem auch die Arbeit der Kostümabteilungen der großen Berliner Studios: hier drei Damen aus "den Ewigen Gärten" des Fritz-Lang-Klassikers "Metropolis".
Bild: Deutsche Kinemathek/Horst von Harbou
Schwarz, Weiß, Schatten und Licht
Neben Monumentalepen wie "Metropolis" und "Die Nibelungen" sind es vor allem die expressionistischen Filme, die heute noch zu den Meilensteinen der Kinogeschichte gezählt werden. Meisterwerke wie "M" von Fritz Lang entwickelten ihre Geschichten über eine eindrückliche Bildsprache, die vor allem auf Schatten und scharfe Kontraste setzte.
Bild: Deutsche Kinemathek/Horst von Harbou
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Prof. Dr. Sabina Becker ist eine der besten Kennerinnen der Kultur der Weimarer Republik. Ihre umfangreiche Studie "Experiment Weimar - Eine Kulturgeschichte Deutschlands 1918 - 1933" ist soeben erschienen. In dem Buch wendet sich Becker gegen die gängige Vorstellung, während der Weimarer Republik habe - in den Jahren vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten 1933 - eine Art "Tanz auf dem Vulkan" geherrscht. Laster und Vergnügen insbesondere in der Hauptstadt Berlin sei nur ein Teil der Gesellschaft gewesen, argumentiert Becker. Das Bild, das populäre Serien wie "Babylon Berlin" derzeit von den "wilden 20er Jahren" immer noch transportierten, greife zu kurz.
Deutsche Welle: Frau Becker, Ihnen geht es, wie anderen Historikern auch, um eine Neubewertung der Weimarer Kultur, worum genau?
Sabina Becker: Es ist eine Forderung, die seit Jahren im Raum steht und von den Geschichtswissenschaften formuliert wird. Verschiedene Historiker haben bereits angemahnt, dass die Weimarer Republik nicht nur vom Jahr 1933, vom Nationalsozialismus, von der zweiten Ur-Katastrophe der deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert, aus zu bewerten ist.
Der Weimarer Republik müsse die Chance eingeräumt werden, als eigenständige Epoche wahrgenommen zu werden. Ihr Scheitern darf nicht aus den Augen verloren werden. Aber die Weimarer Republik und deren Kultur dürfen eben nicht immer nur unter dem Verdikt von 1933 und der zwangsläufigen Machtübertragung auf Hitler und die NSDAP interpretiert werden.
Dieser Auffassung folge ich, aber auch andere Kulturwissenschaftler, seit einigen Jahren. Was für die Geschichtswissenschaft bereits formuliert und in vielen Arbeiten auch eingelöst worden ist, stand für die Kulturgeschichte ebenso wie für die Literaturgeschichte noch aus.
Kommen das Wissen und die Kenntnis über die kulturelle Innovationskraft der Weimarer Republik zu kurz? Ist man zu sehr darauf fixiert, immer nur auf die vergnügungsüchtige Szenerie in der deutschen Hauptstadt mit all den Clubs und Tanzpalästen zu schauen?
In der gängigen Analyse, in der Beschreibung der kulturellen Entwicklung spielte bisher folgende Metapher eine große Rolle: "Weimar ist ein Tanz auf dem Vulkan - da brodelt der Boden, da ist kein fester Boden möglich, auf dem überhaupt irgendeine Form von kultureller Innovationsleistung stattfinden kann."
Ich finde dieses Bild, diese Redewendung, die ja seit Jahrzehnten in der Debatte um die Weimarer Kultur kursiert, ist zu relativieren. Dann erst wird es möglich sein, die künstlerischen und kulturellen Entwicklungen der 1920er Jahre eben nicht nur unter dem Schlagwort "Leben/Kultur in der Krise" wahrzunehmen und zu beschreiben - sondern stattdessen mehr die Innovationsleistung zu sehen.
Berlinale-Retrospektive: Weimarer Kino
Die 68. Berliner Filmfestspiele widmen sich 2018 auch dem Kino der Weimarer Republik. Die filmhistorische Retrospektive hat sich auf die Suche nach Entdeckungen gemacht - und einige Überraschungen zu Tage befördert.
Bild: picture-alliance/akg-images
Große, aber wenig bekannte Filme
Nicht die bekannten Klassiker stehen bei der Retrospektive "Weimarer Kino - neu gesehen" im Mittelpunkt, sondern selten gezeigte oder kaum gewürdigte Filme. Eine Entdeckung ist der zweiteilige Film "Christian Wahnschaffe", den der Däne Urban Gad 1920/1921 in Deutschland realisierte. Die Geschichte eines reichen Fabrikantensohnes zu Beginn des 20. Jahrhunderts war jahrzehntelang nicht zu sehen.
Bild: Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung
Die Schrecken des Krieges
Ein großes Thema von Autoren und Regisseuren war in der Weimarer Zeit der nicht lange zurückliegende Erste Weltkrieg. Als deutsche Version von "Im Westen Nichts Neues" gilt der wenig bekannte Anti-Kriegsfilm "Die andere Seite" von Heinz Paul mit Conrad Veidt. Der Film versetzt sich in die Lage der deutschen Kriegsgegner - indem er eine Geschichte erzählt, die unter englischen Soldaten spielt.
Weimar brachte auch Farbe ins Kino
Wer denkt, dass die Retrospektive "nur" Schwarz-Weiß-Filme und kolorierte Fassungen zeigt, der irrt. Bereits in der Frühphase des Kinos experimentierten Filmtechniker mit den verschiedensten Farbverfahren. Besonders in Deutschland erzielten die Farbfilm-Pioniere eindrucksvolle Ergebnisse und demonstrierten diese in Kurzfilmen - hier ein Beispiel des Sirius-Farbfilmverfahrens der UFA.
Bild: Deutsches Filminstitut, Frankfurt am Main
Abstrakte Kunst auf der Leinwand
Und nicht nur farbig ging’s im Kino der Weimarer Republik zu, sondern auch experimentell und wagemutig. Der Filmpionier Oskar Fischinger ließ 1933 in seiner Arbeit "Alle Kreise erfasst Tolirag" abstrakte Formen miteinander korrespondieren. Als Werbefilm getarnt schmuggelte Fischinger das Werk an der damaligen Zensur vorbei. Den "Soundtrack" lieferten Richard Wagner und Edward Grieg.
Bild: Center for Visual Music, Los Angeles
Die Melodramen der Zeit
Das Weimarer Kino war auch abseits der heute noch bekannten Klassiker ein Kino der Stars und der großen Melodramen. Einige dieser vergessenen Perlen der Filmkunst sind nun zu entdecken - wie beispielsweise Erich Waschnecks Film "Die Carmen von St. Pauli" (1928), in dem Stummfilmstar Jenny Jugo die Gangsterbraut Jenny spielt, die einen Bootsmann (Willy Fritsch) fast ins Verderben führt.
Bild: Deutsche Kinemathek
Meisterwerk "Abwege"
Neben vielen relativ unbekannten Filmen aus der Zeit der Weimarer Republik finden sich im Programm der Retrospektive auch ein paar bekanntere Werke - doch auch sie dürften nicht allen Kinozuschauern vertraut sein. Georg Wilhelm Papst bewegendes Melodrama um ein Ehepaar in der Krise aus dem Jahre 1928 war beispielsweise lange verschollen, bis in den 1990er Jahren eine Kopie auftauchte.
Bild: Filmmuseum München
Leni Riefenstahls Debüt
Die Schauspielerin Leni Riefenstahl, in den 1920er Jahren durch ihre Auftritte in einer Reihe dramatischer Bergfilme bekannt geworden, inszenierte 1932 gemeinsam mit Bela Balasz ihren ersten Film in eigener Regie. "Das blaue Licht" ist ein effektvoll in Szene gesetztes Melodrama in der Tradition deutscher Romantik. Hitler und Goebbels wurden auch durch diesen Film auf Leni Riefenstahl aufmerksam.
Bild: Deutsche Kinemathek/Dr. C. Riml/WaRis-Tiroler Filmarchiv
Romanverfilmung "Frühlingserwachen"
In drei Themenschwerpunkte ist die Berlinale-Retrospektive gegliedert: Alltag, Exotik und Geschichte. Zum Bereich "Alltag" zählt die Verfilmung "Frühlingserwachen" nach dem berühmten Roman von Frank Wedekind von Regisseur Richard Oswald aus dem Jahre 1929. Ein Thema dort: Der kritische Blick auf "Erziehungsideale" der Zeit - ein paar Jahre vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten.
Bild: Deutsche Kinemathek
Filmgala "Das alte Gesetz"
Tradition bei der Berlinale ist es, dass ein Film der Retrospektive als besondere Premiere inszeniert wird - mit Live-Musik im festlichen Rahmen. In diesem Jahr ist es E.A. Duponts "Das alte Gesetz", der in einer frisch restaurierten Fassung Premiere feiert. Ein wichtiger Film der deutsch-jüdischen Filmgeschichte, der die Assimilation der Juden im Europa des 19. Jahrhunderts thematisiert.
Bild: Deutsche Kinemathek
Weimarer Kino - in seiner Vielfalt neu gesehen
Mit dem diesjährigen Retrospektiven-Thema schließt die Berlinale eine Lücke. Das Kino der Weimarer Republik gilt bis heute als fruchtbarste und einflussreichste Periode des deutschen Films. Nun zeigt die filmhistorische Schau, dass es neben den allseits bekannten Meisterwerken der Kino-Historie zahlreiche weitere Filme gibt, die bisher zu Unrecht im Schatten standen.
Bild: Deutsche Kinemathek/Hans Richter Estate
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Schauen wir auf das Medium Kino, eine damals noch relativ neue Kultursparte. Was hat der Film der Weimarer Republik Neues in die Kulturszene gebracht?
Der Film wurde im Unterschied zur Buchkultur als ein Medium wahrgenommen, das eine gewisse Demokratisierung in der Rezeption von Kultur ermöglicht. Zweitens, auch wieder in Abgrenzung zur Buchkultur, zeigten sich Kino und Film als offene Medien, offen für den zentralen Gedanken der Kultur der Weimarer Republik - nämlich als eine Kultur für die Masse.
Der Film wird im Unterschied zur Buchkultur weniger als eine aristokratische (wie es in einer Filmrezension in der Zeitschrift "Weltbühne" damals hieß) denn als eine demokratische 'Filmdichtung' bewertet; als ein Medium, das sich tatsächlich für die Masse öffnen kann und das auch getan hat.
Das sah man ja auch ganz eindeutig an der Nutzung von Kultur…
Ja, schaut man sich nur die Zahlen in den 1920er Jahren an: Im Jahr 1926 waren das 332 Millionen Kinobesucher. Ende der 1920er Jahre strömen täglich über zwei Millionen Besucher in die Lichtspielhäuser. Das zeigt die Tendenz, die Chancen, die das filmische Medium tatsächlich in den 1920er Jahren angeboten hat. Und das ist das Entscheidende.
Der Film hat sich ja ästhetisch entwickelt in jenen Jahren. Was waren die wichtigsten Wegmarken?
Schon seit den ersten Tagen der Weimarer Republik, in den Jahren nach 1920 und in Verbindung mit der Dominanz des Stummfilms, war der expressionistische Film, die expressionistische Filmsprache führend.
In diesen Jahren entstehen die wichtigen Filme, "Das Cabinet des Dr. Caligari" (Artikelbild) von Robert Wiene, der mit einer ganz ausgeprägten expressionistischen Filmsprache arbeitet, der ganz stark auf die geschlossenen Räume setzt, einen expressionistischen Bildaufbau verfolgt, nur spitze Winkel zulässt, kaum realistische Außenszenen kennt; das war ein Markstein setzendes Beispiel.
Danach setzte der Versuch der Filmregisseure ein, im Umfeld der Neuen Sachlichkeit zu einer neueren, einer authentischeren Form der Darstellung in der Literatur, aber eben auch im Film zu kommen.
Georg Wilhelm Pabsts "Die freudlose Gasse" (1925) ist ein Beispiel; Walter Ruttmanns "Berlin. Die Sinfonie der Großstadt" (1927) ein anderes. Und dann Phil Jutzis "Berlin - Alexanderplatz" und Fritz Langs "M - eine Stadt sucht ihren Mörder", die zu den ersten Tonfilmen gehören.
Letzterer arbeitet mit einer sachlichen Vorgehensweise, die ein genaues städtisches Umfeld des Täters zeichnet, akribisch die neuen Methoden der Polizeiarbeit zeigt, Fingerabdruck, Grafologie usw., und das alles im dokumentarischen Stil. Es ist eine neue Phase in der Geschichte des Films.
Wenn wir in die Gegenwart schauen, da wird die Weimarer Republik ja gerade wieder in einer Großserie wie "Babylon Berlin" heraufbeschworen. Wie sehen Sie das? Wird da nicht wieder ein Klischee gezeichnet?
Unbedingt, auf jeden Fall - mit Blick auf das Bild des brodelnden Vulkans, auf die ganze Gruselgeschichte, hier demonstriert am Beispiel der Metropole Berlin, gleichgesetzt mit dem Tanz auf einem Vulkan. Die Traumatisierung des Helden und vieler Figuren als Resultat des Ersten Weltkriegs wird gezeigt. Natürlich wird auch die kriminelle Struktur einer Großstadt als Motiv eingeführt.
Es bleibt in der Schwebe, welcher Vulkan das eigentlich sein soll und durch was er ausgelöst sein könnte. Das ist das erste, was ich als eine Reduktion, als eine Einschränkung der kulturellen, aber auch der politischen Möglichkeiten der Weimarer Republik, der gesellschaftlichen allemal, ansehe. Dieses Bild ist für mich eine Einschränkung.
Man muss zweitens sagen: Der Titel "Babylon Berlin" ist natürlich eine Referenz auf Alfred Döblins Roman "Berlin Alexanderplatz" - die Stadt ist der Sumpf Babylon. Aber: In Döblins Roman wird dieses Bild variiert, es wird ergänzt durch andere Faktoren des kulturellen, gesellschaftlichen und auch politischen Lebens in den 1920er Jahren. Bei der Filmserie sehe ich das nicht unbedingt. Das Bild Babylon ist in ihr dominierend: überall Drogen, Prostitution, Gewalt und Kriminalität. Das ist mir zu stark an ein Stereotyp gebunden. Was war Weimar? In dieser Serie nicht viel mehr als ein auf das Jahr 1933 hinauslaufender Vulkan. Da hätte ich mir mehr gewünscht.
Sabina Beckers Buch "Experiment Weimar" ist im Verlag "wgb - Wissen, Bildung, Gemeinschaft" erschienen, 606 Seiten, zahlreiche Abbildungen, ISBN 978-3-534-27051-4. Die Ausstellung der Bonner Bundeskunsthalle "Kino der Moderne - Film in der Weimarer Republik" ist vom 14. Dezember bis zum 24. März 2019 geöffnet. Der Katalog zur Ausstellung kommt im Sandstein Verlag heraus, 196 Seiten, ISBN 978-3-95498-436-7.