Kulturinitiativen in Guimarães
2. Januar 2012Am Rande des Zentrums von Guimarães, in unmittelbarer Nähe der schönen Plätze und historischen Häuserfassaden: Verfall. Alte Industriegebäude rotten vor sich hin, Türen und Tore sind von Pflanzen überwuchert und mit schweren Schlössern gesichert, hier herrscht Leere, es wird nichts mehr produziert. Und dann plötzlich ein pechschwarzer, nagelneuer Blickfang: Das Zentrum für Kunst und Architektur, CAA. Seit kurzem hat sich diese einstmals Textil verarbeitende Fabrik in einen Treffpunkt für Künstler verwandelt.
Vernetzung durch Kultur
Die Idee dazu hatte Ricardo Areias. Der junge Architekt lebte und arbeitete noch bis vor wenigen Monaten in New York: "Guimarães ist meine Heimatstadt. Das Europäische Kulturjahr war eine gute Gelegenheit, hierher zurück zu kehren. Meine Frau und ich haben überlegt: Was können wir hier tun?" Mit sieben Künstlerfreunden haben sie getan, was Kunstbegeisterte in Guimarães häufig machen: Sie gründeten einen Verein. Dann haben sie das Fabrikgebäude gemietet, renoviert und ausgebaut. Auch mit Hilfe lokaler Betriebe, die Baumaterial spendeten und praktische Unterstützung leisteten. Die Verantwortlichen für das Kulturjahr haben dem Zentrum darüber hinaus alles, was zur Produktion von Filmen nötig ist, zur Verfügung gestellt.
Zentrum für Kreative
Noch vermittelt das Ganze den Eindruck des Unfertigen, Improvisierten, irgendwo wird gehämmert, eine Kreißsäge verursacht ohrenbetäubenden Lärm, ein Gerüst steht noch, doch Ricardo Areias ist stolz. In kurzer Zeit ist viel erreicht worden. Ein Bühnenraum ist entstanden, Ausstellungsräume, ein Studio für digitale Kunst, Büros, zwei Appartements für 'artists in residence'. Die meisten Räume werden schon genutzt und sind auf Monate hinaus ausgebucht. Gerade wird die erste Ausstellung abgeräumt und die nächste aufgebaut. Theatergruppen wollen hier proben, Filmemacher haben sich für Produktionen angemeldet, Künstlerkollegen für Malerei und Bildhauerei. Hier soll auch gemeinsam gearbeitet, sollen Grenzen zwischen verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen überschritten werden: "Erfolg ist, wenn alle produktiv sind, sich zu Hause und nicht eingeschränkt fühlen", sagt Areias. Nur die Bibliothek ist noch nicht fertig. Eine große Büchersammlung liegt aufgetürmt in einer Ecke. Einen Namen hat sie immerhin schon: 'Yehuda Safran Bibliothek', nach dem Spender, der in New York Areias’ Professor gewesen ist.
Guimarães ist nicht New York
Ein Zentrum für moderne Kunst und Architektur mitten in einer kleinen, von der Geschichte geprägten portugiesischen Stadt – ein Risiko? Ricardo Areias weiß: Das hier ist nicht New York. Aber er ist optimistisch. Die Menschen sollen hier Neues und Ungewöhnliches erleben können, sagt er. Die Türen seines Zentrums sind immer offen, Schwellenangst soll es nicht geben. Und so manch einer hat bereits den Weg hierher gefunden. Und überhaupt: Das Europäische Kulturhauptstadtjahr böte ja auch Chancen: "Es schafft Bewusstsein. Wenn es dieses Ereignis nicht gäbe, wäre es sinnlos gewesen, das Zentrum zu eröffnen. Wir brauchen das Europäische Kulturjahr als eine Motivation, einen Motor. Und damit wird sich die Kultur hier in der Stadt allmählich verändern."
Töne und Rhythmen
Mitten im Zentrum liegt eine andere Institution, die von der Kulturbegeisterung der Menschen in Guimarães zeugt: Die Musikakademie. Sei freilich ist nicht neu, sondern hat eine lange Tradition in der Stadt. Hier herrscht immer Hochbetrieb, junge Leute mit Geigenkästen oder Notentaschen unterm Arm eilen zum Unterricht, aus dem Gebäude dringt Musik aller Art – draußen stehen die Ohrenzeugen und wippen im Rhythmus mit. Fast 500 Schülerinnen und Schüler werden zur Zeit von fünfzig Lehrern unterrichtet erzählt der Leiter, Armindo Sa' Cachade stolz und bittet zum Rundgang durch das mehr als hundert Jahre alte Gebäude.
Vom Asyl zur Musikschule
Das Gebäude war früher ein Asyl für Arme, Kranke, Behinderte, später eine Aufnahmeeinrichtung für alleinstehende, arme Frauen – und man sieht dem verschachtelten Haus seine Vergangenheit an. Farbe blättert ab, viele Unterrichtsräume sind eng und verwinkelt, das Büro, das der Direktor mit seinen Kollegen teilt, ist winzig und vollgestopft mit Büchern, Noten, Computer und abgenutztem Mobiliar. Das so genannte Auditorium immerhin – es war früher ein Schlafsaal - ist hell und geräumig, verfügt über einen Flügel und Stühle fürs Publikum.
Die Zukunft ein Traum
Die Musikakademie ist eine private Einrichtung und bekommt keine regelmäßige öffentliche Förderung. Für notwendige Renovierungen bleibt derzeit kein Geld. Doch Armindo Sa' Cachade glaubt an die Zukunft. Sein größter Traum ist ein neues, geräumiges, modernes Gebäude. Eine Gruppe Mädchen ist im Auditorium versammelt und hört aufmerksam zwei Mitschülern bei einer Probe zu. Sie möchten Klavierlehrerin werden oder Flötistin in einem Orchester, sie träumen von den großen Konzertpodien der Welt oder, ganz bescheiden, von einer Stelle als Dozentin an der Akademie. Und sie sind sich sicher: "Hier macht alles Spaß. Es ist eine kleine, aber eine gute Schule."
Europäisches Kulturjahr
2012 werden sich die Schülerinnen und Schüler an den Aktivitäten des Kulturjahres beteiligen, Konzertprogramme werden eingeübt, eine Oper geprobt – zusätzlich zu den vielen Auftritten, die die jungen Musiker sowieso schon absolvieren. Auch jenseits der Stadtgrenzen. Das Kulturjahr eröffnet uns Möglichkeiten, sagt der Direktor. Werbung muss er für seine Akademie allerdings nicht mehr machen. Der Bewerberandrang ist riesig – man kann gar nicht alle Interessenten aufnehmen. Soviel steht fest: Die Musik hat sich einen Platz im Herzen der Stadt gesichert.
Autorin: Cornelia Rabitz
Redaktion: Gudrun Stegen