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Kulturhauptstadt Plovdiv: So eine Schweinerei

2. Januar 2019

Plovdiv ist eine der ältesten Städte der Welt, ein Sehnsuchtsort für Kulturschaffende und Kreative, ein angesagter Ort für Jungunternehmer - und Europäische Kulturhauptstadt 2019. Wären da bloß nicht diese zwei Schweine.

Bulgarien Plovdiv - Altstadt am Abend
Bild: picture-alliance/dpa/J. Kalaene

Der Bürgermeister von Plovdiv wollte an Weihnachten die Sau rauslassen - wortwörtlich. Überzeugt und entschlossen, in heller Vorfreude auf die bevorstehenden Feiertage verkündete er während einer Stadtratssitzung, dass alle Bürger zum Schweineschlachten im Zentrum der Stadt eingeladen seien. Das Ziel sei, die bulgarischen Traditionen an Weihnachten zu bewahren. "Viele Menschen, vor allem Jugendliche, haben nicht mehr die Möglichkeit, aufs Dorf zu fahren und diese Traditionen zu erleben. Also haben wir uns entschieden, die Traditionen in die Stadt zu bringen", so der Bürgermeister Ivan Totev.

Der Vorschlag genoss reichlich Aufmerksamkeit: Während sich einige Bewohner sorgten, ob zwei Schweine denn überhaupt für die ganze Stadt reichen würden oder ob sie wirklich im Zentrum unter dem Weihnachtsbaum geschlachtet werden sollen, zweifelten andere an der Vereinbarkeit dieser Tradition mit dem Titel Europäische Kulturhauptstadt 2019.

"Die Politiker, die uns regieren, haben eine andere Vorstellung von Kultur, als wir, die sich mit Kultur befassen und die an der Bewerbung Plovdivs als Europäische Kulturhauptstadt von Anfang an beteiligt waren. Die Politiker denken, dass sie mit solchen Aktionen beeindrucken können, dabei sehen sie die Kultur nicht als etwas, was Veränderung schaffen und zukunftsgerichtet sein kann", sagt Manol Peykov.

Manol Peykov: Kultur kann Veränderung schaffen und zukunftsgerichtet seinBild: DW/R. Breuer

Er ist Verleger und war einer der Ideengeber und Initiatoren für die Bewerbung der Stadt als Europäische Kulturhauptstadt. Er war Mitglied der Stiftung "Plovdiv 2019", die - bestehend aus fünf Vertretern der Zivilgesellschaft und vier Vertretern aus der Politik - das Rahmenprogramm vorbereiten musste. Vor anderthalb Jahren verließ Manol Peykov zusammen mit den anderen Vertreten der Zivilgesellschaft die Stiftung - aus Protest darüber, dass viele Ideen und Projekte, mit denen sich die Stadt ursprünglich beworben hatte, nun von den Lokalpolitikern benachteiligt würden.

Konflikte lösen durch Kultur

Ein zentrales Thema der Bewerbung war der Fokus auf die ethnischen Minderheiten in Plovdiv, vor allem auf die Roma-Bevölkerung. Stolipinovo, ein Stadtteil von Plovdiv und das größte Roma-Viertel auf dem Balkan, sollte ebenfalls Teil des Kulturprogramms im kommenden Jahr sein. "Wir glauben daran, dass die Kultur die Fähigkeit hat, soziale Veränderungen zu erzeugen. Die meisten Jugendlichen, die in Stolipinovo leben, haben das Viertel nie verlassen, auf der anderen Seite haben die Bewohner aus Plovdiv diesen Stadtteil nie besucht", sagt Manol Peykov. "Aber die Politiker sagten, dass wir unseren Hinterhof vor dem ausländischen Publikum nicht zeigen sollten. ‘Wieso die Roma', haben sie gesagt. ‘Wir haben doch auch andere Ethnien hier' - und so wurde unsere Idee abgelehnt und Projekte gestoppt".

Stolipinovo, ein Stadtteil von Plovdiv, ist das größte Roma-Viertel auf dem BalkanBild: DW/V. Bojilova

Unter dem Motto "Together" sollte auf die Lage der Roma und den schwierigen sozialen Zusammenhalt hingewiesen werden. Durch Kultur Konflikte überwinden, das war das Thema, was die Jury überzeugte und Plovdiv den Titel Europäische Kulturhauptstadt 2019 einbrachte. Das Motto blieb. Die Projekte nicht.

"Die soziale Unsicherheit in den 1990ern Jahren hat die Menschen dazu gebracht, mit Argwohn auf einige Ethnien zu sehen. Sie dachten, die 'anderen' würden ihnen etwas von ihrem sozialen Status wegnehmen. Und diese Denkweise ist auf beiden Seiten vorhanden. Bei der Bewerbung als Kulturhauptstadt wussten wir, dass Plovdiv viel Geschichte, Archäologie und eine multikulturelle Gesellschaft hat, aber wir haben uns entschieden, die politische Korrektheit beiseite zu legen, und offen über die Defizite und Spannungen zwischen den Ethnien zu sprechen", sagt Mariana Tcholakova, Honorarkonsulin der Bundesrepublik Deutschland mit Sitz in Plovdiv und ebenfalls Initiatorin der Bewerbung der Stadt. Man wollte das überwinden, denn je ehrlicher man das Thema behandele, desto mehr Lösungen könne man finden. "Und genau so haben wir es in unserer Bewerbung formuliert", so Tholakova.

Mariana Tcholakova: Ehrlich auch über die Spannungen zwischen den Ethnien sprechenBild: DW/R. Breuer

Plovdiv - ein Schmelztiegel von Kulturen, Religionen, Epochen

Plovdiv ist eine der ältesten Städte der Welt, sie blickt auf eine 8000-jährige Geschichte zurück. Thraker, Römer, Slawen und andere Völker bereicherten die Stadt. Das spiegelt sich auch in der Architektur wider: Römische Amphitheater, frühchristliche Basiliken, christliche, muslimische und jüdische Gotteshäuser prägen das Stadtbild zusammen mit Hipster-Läden, modernen Cafés, Künstlerateliers und Street Art.

Es ist ein Sehnsuchtsort für Künstler und ein angesagter Ort für Jungunternehmer - eine pulsierende Stadt, die zurecht den Titel bekommen hat. Davon ist auch Mariana Tcholakova überzeugt: "Ich blicke optimistisch in das kommende Jahr. Der Titel Europäische Kulturhauptstadt gibt uns die Möglichkeit, ein aktives Mitglied der europäischen Kulturszene zu sein. Bis jetzt hat uns das Selbstvertrauen dazu gefehlt."

Plovdiv ist ein Sehnsuchtsort, eine pulsierende StadtBild: D. Schwiesau

2019 erwartet die Stadt zwei Millionen Touristen aus aller Welt. Die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren und dennoch werden viele Kultureinrichtungen wohl geschlossen bleiben. Auch die Bauarbeiten am Hauptplatz sind immer noch nicht abgeschlossen. Obwohl der Auftrag zur Renovierung bereits im Jahr 2014 erteilt wurde. Aktuell wird versucht, mit provisorischen Arbeiten die Baustelle zu kaschieren. Auch andere wichtige Kulturgebäude werden nicht rechtzeitig fertiggestellt. Ebenso fehlt es an geeigneten Sälen für geplante Kulturveranstaltungen. Die Politik hat in weiten Teilen versagt, die Stadt auf das ereignisreiche Jahr vorzubereiten.

Das Versagen der Politik

"Die alte und einzige Konzerthalle für Großveranstaltungen in Plovdiv ist seit Jahren in schlechtem Zustand und kann nicht genutzt werden. Ein Projekt zur Renovierung der Halle liegt seit mindestens drei Jahren auf dem Schreibtisch des Bürgermeisters. Doch es wurde nichts unternommen", sagt Manol Peykov und zählt andere Gebäude auf, die dem Verfall nahe sind. "Kino Kosmos, das größte Kino der kommunistischen Zeit in Bulgarien mit mehr als 900 Plätzen, ist ebenfalls in einem erbärmlichen Zustand. Der Bürgermeister hat auf Druck der Zivilgesellschaft vor rund zwei Jahren versprochen, rund eine Million Leva für die Renovierung des Kinos bereitzustellen. Heute ist das Kino noch in dem selben Zustand wie zuvor."

Plovdiv - Kulturhauptstadt Europas 2019

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Die Wiederbelebung und Umwandlung der sogenannten Tabakstadt, ein Viertel in Plovdiv, in einen Künstlerbezirk war eines der großen Ziele von Plovdiv 2019. Dieses Viertel war jahrzehntelang das Herz der bulgarischen Tabakindustrie und wurde nach dem Fall des Kommunismus privatisiert. "Obwohl die meisten Gebäude dort Kulturdenkmäler sind, interessieren sich die neuen Eigentümer hauptsächlich für die Grundstücke. Da die die Gebäude nicht abgerissen werden dürfen, wird eine andere Taktik angewandt: Die Dächer wurden entfernt und den Abriss überlässt man der Witterung", erzählt Manol Peykov.

"In Anbetracht dieser wichtigen Umstände möchte ich die Aussagen des Bürgermeisters zum Schlachten der Schweine nicht weiter kommentieren", sagt Mariana Tcholakova.

Das verfehlte Potential der Stadt

Am Tag nach dieser Aussage - die Kehrtwende: Das sei alles nicht so gemeint gewesen. Es sei ein "soziales Experiment" gewesen, verkündete der Bürgermeister. Man wollte eine Debatte über die bulgarischen Familien-Traditionen anstoßen, zu denen auch das Schlachten von Tieren an Weihnachten gehöre. Eine interessante Debatte zum Auftakt als Europäische Kulturhauptstadt 2019.

"Together": Das Motto ist geblieben, die Projekte nichtBild: D. Schwiesau

Die eigentliche Schweinerei - so scheint es - sind nicht die Schweine, sondern das verfehlte Potential. Die Geschichte und die Atmosphäre in der zweitgrößten Stadt Bulgariens bietet alle Voraussetzungen als Europäische Kulturhauptstadt. Alte Traditionen, unfertige Baustrecken und soziale Diskriminierungen könnten diesem Vorhaben jedoch zum Verhängnis werden. Eine verpasste Chance, schlussfolgert Manol Peykov.