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PolitikAsien

Kulturkampf um Irans Schulbücher

10. November 2020

Seit Beginn der Islamischen Republik Iran kämpfen die Religionswächter um das korrekte Gesellschafts- und Geschichtsbild in den Köpfen der Jugend. Aber der Kampf erscheint zunehmend verzweifelter.

Iranische Schulbücher
Bild: Davoud Kazemi/Hamshahri Zeitung

"Wem schenke ich mein kleines Herz?" So heißt ein Gedicht des modernen iranischen Lyrikers Nader Ebrahimi. Es findet sich auch im Schulbuch für Farsi der siebten Klasse im Iran. Ebrahimi ist über die Grenzen des Landes hinaus bekannt und hat mehrere internationale Preise gewonnen, darunter im Jahr 1970 den UNESCO prize for education. Ein Satz in seinem Gedicht ist in den neuen Schulbüchern verändert. Im Original lautet er: "Mein Herz schenke ich dem Kämpfer, der den Feind aus unserem Haus vertrieben hat". Die Schulkinder lesen jetzt allerdings: "Mein Herz schenke ich dem, der für den Islam gekämpft hat".

Die Frau des 2008 verstorbenen Dichters, die Lehrerin und Übersetzerin Farzaneh Mansouri, hatte die Öffentlichkeit vor wenigen Tagen auf diese Manipulation aufmerksam gemacht. 

Sie habe sich wegen der Verfälschung von Ebrahimis Werk beim Schulministerium beschwert, teilte sie weiter mit. Der Satz solle korrigiert werden, sonst werde sie vor Gericht gehen. Ebrahimis Gedichte und Bücher hatten bislang den kritischen Augen des Kontrollgremiums im Kultusministerium standgehalten und gehören zu den für den Unterricht genehmigten Werken. Diese müssen im Einklang mit dem von der Führung vorgegebenen religiösen Gesellschaftsbild des Irans sein. 

Vergeblicher Kampf

"Seit der Machtübernahme der religiösen Revolutionäre im Jahr 1979 versucht man mit systematischer Gehirnwäsche in den Schulen und an den Universitäten, die herrschende Ideologie in die Köpfe der nächsten Generation zu pflanzen", erläutert der Wissenschaftsjournalist Erfan Kasraie im Gespräch mit der DW. Kasraie lebt im deutschen Exil und hat sich intensiv mit den Inhalten von Unterrichts- und Fachbüchern im Iran beschäftigt.

"Seit über 40 Jahren wird an den Texten im Sinne der herrschenden Ideologie manipuliert, aber es hat nichts gebracht. Es ist erstaunlich, wie religionsfern die iranische Jugend geworden ist. Etwas Vergleichbares sieht man in anderen islamischen Ländern nicht. Deswegen gibt es fast jedes Jahr ein neues Konzept für die Islamisierung der Schulbücher im Iran."

Die Liste von namhaften Schriftstellern und Intellektuellen ist lang, deren Werke aus den Schulbüchern entfernt wurden, um Platz für neue Geschichten über Märtyrertum und Helden der islamischen Republik zu schaffen. So wurde vor zwei Jahren ein Gedicht von Mehdi Achawan Sales, einem der Pioniere der Dichtung in freien Versen in der persischen Sprache, im Farsibuch der zwölften Klasse durch ein Gedicht über einen in Syrien vom IS enthaupteten freiwilligen iranischen Kämpfer ersetzt.

Ein Gedicht über einen Helden der Islamischen Republik sei für die jungen Iraner wichtiger als literarische Werke, teilte das Schulministerium 2018 mit. Die Abänderung werde im Rahmen des nationalen Lehrplans durchgeführt, hieß es weiter.

Immer wieder neue Anpassungen

Der Lehrplan wurde 2012 von der iranischen Kultusbehörde, dem Obersten Rat der Iranischen Kulturrevolution, verabschiedet, der vierte in den vergangenen vierzig Jahren. Demnach sollen die Inhalte der Schulbücher einmal mehr an das Wertesystem der Islamischen Republik Iran angepasst werden. Wie genau das geschehen soll ist nicht geklärt. Stattdessen gibt es fast jedes Jahr neue Überraschungen.

Mal verschwinden Gedichte aus Farsi-Büchern, mal Könige und Königreiche der Perser aus den Geschichtsbüchern. Anfang dieses Schuljahrs traf es die beiden Mädchen auf dem Einband des Mathematikbuchs für das dritte Schuljahr. Jetzt sitzen die drei Buben alleine unter einem Baum mit Zahlen und Mathe-Symbolen. Dass die Mädchen entfernt wurden, sorgte für einen Sturm der Entrüstung, vor allem in den sozialen Netzwerken.

Die Mädchen wurden vom Cover des Mathematikbuchs für das dritte Schuljahr entfernt Bild: borna

"Die Schulbücher werden benutzt, um die Werte des politischen Systems in der Gesellschaft zu etablieren. In diesem System werden die Frauen systematisch vernachlässigt", analysiert Roshi Rouzbehani im Gespräch mit der DW. Die Autorin und Illustratorin des Buchs "50 inspirierende iranische Frauen" ist im Iran aufgewachsen und kennt das Schulsystem der Islamischen Republik aus eigener Erfahrung.

"In diesem System kümmert sich eine vorbildliche Frau um den Haushalt und die Kinder. Ihre wichtigste Rolle ist eine gute Ehefrau und eine Mutter zu sein. Wir wissen aber, dass wir trotz aller Hindernisse viel mehr als das sind." Rouzbehani porträtiert in ihrem in London veröffentlichen Buch Iranerinnen, die trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Unangepasstheit an das Wertesystem der Islamischen Republik für viele Iraner Vorbilder sind. 

Eine von ihnen ist die Mathematikerin Maryam Mirzakhani, die 2014 als erste Frau mit der Fields-Medaille ausgezeichnet wurde, einer Art Nobelpreis für Mathematik. Mirzakhani, 1977 im Iran geboren, lehrte seit 2000 an der amerikanischen Stanford-Universität. 2017 starb sie an Brustkrebs. Viele iranische Eltern klebten jetzt ein Bild von Mirzakhani - ohne Kopftuch - auf das Mathematikbuch für das dritte Schuljahr und posteten das Foto davon in sozialen Netzwerken.

Nach einer Welle der Kritik sah sich Schulminister Mohsen Hajhi-Mirsaji zu einer Entschuldigung genötigt. Er bezeichnete die Entfernung der Mädchen von dem Bucheinband als "geschmacklose Tat". Hajhi Mirsaji kündigte eine Korrektur im kommenden Jahr an. Ob dann auch das Gedicht von Ebrahimi in der Originalfassung im Farsi-Buch steht, bleibt abzuwarten.

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