ifa-Preis für Osman Kavala
10. November 2022Das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) vergibt den mit 10.000 Euro dotierten "Preis für den Dialog der Kulturen" an diesem Donnerstag (10.11.2022) in Berlin. Kavala wird die Auszeichnung nicht selbst entgegennehmen können, denn im April dieses Jahres hat ihn ein Gericht in Istanbul zu lebenslanger Haft verurteilt - unter erschwerten Bedingungen. Die Richter verhinderten so, dass der 64-Jährige vorzeitig auf Bewährung freikommt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Kavala, so der Vorwurf, soll die Gezi-Proteste von 2013 unterstützt und damit versucht haben, die Regierung zu stürzen. Die Massenproteste hatten sich an der geplanten Abholzung von Bäumen und dem Bau eines Einkaufszentrums entzündet. Doch schon bald demonstrierten Menschen im ganzen Land gegen die Regierung. Recep Tayyip Erdoğan, heute Präsident, war damals noch Ministerpräsident der Türkei.
Das Urteil vom April stieß erneut auf scharfe internationale Kritik. Schon zuvor hatte Kavala vier Jahre ohne Urteil im Hochsicherheitsgefängnis Silivri nahe Istanbul verbracht. Präsident Erdoğan habe "Rachejustiz" verübt, befand etwa der Journalist Deniz Yücel im DW-Interview. Yücel saß 2017 wegen angeblicher Terrorpropaganda im selben Hochsicherheitsgefängnis wie Kavala.
Kavala - wichtiger Akteur in der Türkei
Doch wie konnte Kavala überhaupt ins Fadenkreuz des türkischen Präsidenten geraten? Wer ist dieser Osman Kavala? Als Unternehmer, Kunstmäzen und Menschenrechtsaktivist spielte der heute 64-Jährige über Jahre eine wichtige Rolle im türkischen Kulturleben. Seine 2002 gegründete Stiftung "Anadolu Kültür" fördert Kunst und Kultur in der Türkei. Sie finanziert Gruppen, die sich mit türkischen Tabuthemen beschäftigen - mit armenischer Kultur und Geschichte etwa oder dem Schicksal syrischer Flüchtlinge. Die Stiftung fördert ein armenisch-türkisches Jugend-Symphonieorchester ebenso wie eine armenisch-türkische Kinoplattform. Ausstellungen in Kavalas Istanbuler Kunstraum "Depo" legen häufig den Finger in die Wunden der türkischen Zivilgesellschaft.
Kavalas Stiftung unterhält Büros in Istanbul und in Diyarbakir. Es gab Kooperationen mit dem deutschen Goethe-Institut. Außerdem zählte Osman Kavala zu den Gründern des türkischen Zweigs der Open Society Foundation um den US-Philanthropen George Soros.
Kavala hilft "lieber im Stillen"
Kavala, der mit der Wirtschaftsprofessorin Ayşe Buğra verheiratet ist, hat das Robert College in Istanbul besucht und an der University of Manchester in Großbritannien Wirtschaftswissenschaften studiert. Nach dem Tod seines Vaters im Jahr 1982 übernahm er das Familienunternehmen "Kavala Companies", das damals noch für das türkische Militär arbeitete.
Doch schon bald zog sich der erklärte Pazifist aus dem aktiven Geschäft zurück. Er versteht sich seither als Philanthrop. "Die Wohlhabenden der Türkei errichten gern Museums-Prachtbauten, die ihre Namen tragen. Osman Kavala dagegen hilft lieber im Stillen", notierte dazu die Süddeutsche Zeitung.
Die Staatsmacht hat Kavala schon lange im Visier. Vielleicht liegt es daran, wie Kavala, der zu den reichsten Türken zählt, sein Geld ausgibt. Präsident Erdoğan nannte ihn den "Soros der Türkei", weil Kavala, ähnlich wie der US-Milliardär George Soros, unliebsame Bürgerrechtsorganisationen unterstützt. Auch war der hochgewachsene, schlanke Mann mit dem grauschwarzen Lockenkopf und Vollbart für ausländische Besucher häufig ein wichtiger Gesprächskontakt in der Zivilgesellschaft am Bosporus.
Für kurze Zeit freigesprochen
Schon gleich nach seiner Verhaftung 2017 am Flughafen von Istanbul gab es Proteste in Washington und Paris. Kavala wies jede Schuld von sich. Doch erst Anfang 2020 sprach ihn ein türkisches Gericht von allen Vorwürfen frei. Nur wenige Stunden später wurde erneut Anklage erhoben. Er sei in die Putschversuche von 2016 verwickelt gewesen, hieß es. Die Haft wurde fortgesetzt.
Immer lauter meldeten sich die Unterstützer Kavalas zu Wort. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) forderte Kavalas Freilassung und sprach von einem "politisch motivierten Verfahren". Der Europarat drohte der Türkei zunächst mit Disziplinarmaßnahmen und leitete im Dezember 2021 ein Vertragsverletzungsverfahren ein. Die Regierung in Ankara blieb unbeeindruckt. Als Mitgliedsstaat muss sich die Türkei an Beschlüsse des Europarats halten, sonst droht ihr der Ausschluss.
In einem gemeinsamen Appell verlangten die Botschafter der Vereinigten Staaten, von Frankreich, Kanada, Dänemark, Deutschland, den Niederlanden, Norwegen, Schweden, Finnland und Neuseeland im Herbst 2021 die sofortige Freilassung Kavalas. Präsident Erdoğan ließ die Diplomaten daraufhin zu unerwünschten Personen erklären, nahm den beispiellosen Schritt aber kurz darauf wieder zurück.
Nach dem jüngsten Urteil gegen den türkischen Kulturmäzen reagierten die Vereinigten Staaten "zutiefst beunruhigt". Auch die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock forderte die "sofortige Freilassung" Kavalas. Beim ihrem Türkeibesuch im Juli kam es zu einem offenen Schlagabtausch mit ihrem türkischen Amtskollegen Mevlüt Cavusoglu .Das Gerichtsurteil stehe in krassem Widerspruch zu den rechtsstaatlichen Standards und internationalen Verpflichtungen, zu denen sich die Türkei als Mitglied des Europarats und als EU-Beitrittskandidat bekenne, so Baerbock. Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International und die deutsche Autorenvereinigung PEN kritisierten den Prozess gegen Kavala scharf. Kulturstaatsministerin Claudia Roth sprach im Deutschlandfunk von einem "kafkaesken Verfahren".
ifa-Institut fördert den Kulturaustausch
"Osman Kavala wurde während der 1990er-Jahre zu einem der wichtigsten Akteure der türkischen Zivilgesellschaft", begründet das Institut für Auslandsbeziehungen die Preisvergabe an den inhaftierten Kulturmäzen, seine Stiftung Anadolu Kültür vereine "Kunst, Wirtschaft und Zivilgesellschaft, um lokale Initiativen zu unterstützen, die kulturelle Vielfalt hervorzuheben sowie die internationale Zusammenarbeit zu stärken." Weltweit seien Menschen- und Bürgerrechte bedroht", so ifa-Präsident und Jury-Chef Ulrich Raulff in einer Mitteilung, "In dieser Lage sind der Mut und die Resistenz Osman Kavalas absolut vorbildlich."
Das bestätigte auch Ayşe Buğra, die Ehefrau Kavalas, im DW-Interview. Ihr Mann sei beeindruckend standhaft, lese und schreibe und interessiere sich weiterhin für die Aktivitäten von Anadolu Kültür, sagte sie und ergänzte: "Ich bin froh, dass er im Moment keine größeren gesundheitlichen Probleme hat." Noch heute sei sie "überrascht von der Gesetzlosigkeit und Brutalität", mit der sie konfrontiert gewesen seien, so Ayşe Buğra weiter. "Und ich bin überrascht, dass ich immer noch überrascht sein kann nach dem, was ich fünf Jahre lang gesehen habe."
Das Institut für Auslandsbeziehungen mit Sitz in Berlin und Stuttgart fördert international den Kunst- und Kulturaustausch. Dabei agiert es als Zentrum der auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik und ist zuständig etwa für den deutschen Beitrag zur Biennale in Venedig. Bisherige Preisträger des ifa-Preises für den Dialog der Kulturen waren Daniel Barenboim (2009), Human Rights Watch (2016) und Igor Levit (2021).
Dieser Artikel wurde am 10.11.2022 ergänzt.