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Kundus weiter unter Druck der Taliban

Waslat Hasrat-Nazimi8. Juni 2015

Seit Wochen wird die afghanische Provinzhauptstadt Kundus von Taliban und anderen Extremisten, darunter angeblich auch "IS", belagert. Die Regierungsseite ist auf Unterstützung von Milizen angewiesen.

Afghanische Soldaten feuern im Zuge der andauernden Kämpfe mit den Taliban eine Rakete in Kundus ab(Foto: picture-alliance/epa/J. Karger)
Bild: picture-alliance/epa/J. Karger

Es herrscht wieder ein wenig Hoffnung in Kundus. Die Region um die Provinzhauptstadt ist seit April Schauplatz von Kämpfen zwischen Extremisten und Regierungskräften. Tatsächlich sind auch jetzt noch Schüsse zu hören, doch sie wirken nicht mehr so bedrohlich wie vor einigen Tagen. Laut dem Polizeichef von Kundus machen die afghanischen Sicherheitskräfte Fortschritte beim Zurückdrängen der Aufständischen. "In den Bezirken Imam Saheb, Archi, Chardarra, Aliabad und im Zentrum Kundus sind unsere Truppen einsatzbereit", sagt Kommandeur Abdul Sabur Nasrati gegenüber der DW. "Wir haben unseren Feinden schwere Verluste zugefügt."

Eine optimistische Sichtweise, die auch der Gouverneur von Kundus teilt. Mohammad Omar Safi erklärt gegenüber der DW, dass eine Wende stattgefunden habe. "Alle Orte, die die Taliban eingenommen hatten, haben wir zurückerobert. Vor allem die Verbindungsstraße nach Tashgozar und alle Bereiche um Imam Saheb herum sind von Rebellen gesäubert". Gleichzeitig mahnt er aber auch zu Besonnenheit. "Wir machen gute Fortschritte, aber der Widerstand ist sehr groß", so Safi.

Die diesjährige Frühjahrsoffensive der Taliban fordert ihren Tribut. In fast allen Provinzen von Afghanistan gibt es Kämpfe. Die Taliban greifen in großer Zahl Regierungsposten an. Eine neue Taktik, die die Sicherheitskräfte überfordert.

Unterstützung für Kämpfer aus dem Ausland

Dabei sind die Kämpfe in Kundus nichts Neues. Seit den 90er Jahren ist die Provinz Schauplatz von Kämpfen und internen Auseinandersetzungen, wie der Afghanistan-Experte Philipp Münch von der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) erklärt. "Die während der NATO-Präsenz benachteiligten Gruppen erheben sich jetzt unter dem Banner der Taliban gegen die Vorherrschaft der Netzwerke der mächtigen Mudschaheddin-Partei Dschamiat-i Islami im lokalen Regierungsapparat von Kundus", sagt Münch, der sich 2012 zu Forschungszwecken dort aufgehalten hatte.. "Die im pakistanischen Exil sitzende Taliban-Führung unterstützt dieses Aufbegehren, indem sie erfahrene Kommandeure, Kämpfer, Waffenexperten und Ressourcen dorthin entsendet", so Münch gegenüber der DW. In jüngster Zeit deute vieles darauf hin, dass diese Führung ihre Aktivitäten insbesondere in Kundus intensiviert hat. Was Gouverneur Safi zu bestätigen weiß. Er sagt, dass die Kämpfer unter Befehl von Mullah Abdulsalam von der Quetta-Schura in Pakistan stünden.

Nachdem die Taliban im April mit ihrer jährlichen Frühjahrsoffensive begonnen haben, gab es Befürchtungen, dass Kundus in die Hände der Extremisten fallen könnteBild: picture-alliance/epa/J. Karger

Berichten zufolge befindet sich eine erhebliche hohe Anzahl von ausländischen Kämpfern in Kundus. "Sowohl ausländische als auch afghanische Taliban sind an den Kämpfen beteiligt", so Safi. "Etwa 2000 Kämpfer gehören den Taliban an, die die weiße Fahne tragen. Weitere Kämpfer der 'IS'-Gruppe kämpfen unter der schwarzen Fahne. Das wissen wir, weil wir die toten Kämpfer identifizieren konnten." Die Ausländer konmen laut dem Gouverneur hauptsächlich aus der Türkei, aus Tadschikistan, Usbekistan, Kirgistan und Tschetschenien.

Schwaches Militär – starke Milizen

Tagelang drohte Kundus vor dem Fall zu stehen. "Nur dank externer finanzieller und materieller Hilfe können die afghanischen Sicherheitskräfte existieren und die Aufständischen zurückschlagen", sagt Philipp Münch. Er sieht die optimistische Einschätzung der afghanischen Sicherheitsbehörden kritisch. "Es weist nichts darauf hin, dass die afghanische Regierung wie vereinbart bis 2024 schrittweise die Mittel aufbringen kann, um die Sicherheitskräfte komplett selbst zu unterhalten", so Münch. "Die USA sahen sich auch in diesem Jahr anders als geplant gezwungen, die afghanischen Sicherheitskräfte immerhin punktuell mit Luftschlägen zu unterstützen."

Allein und ohne die Hilfe von lokalen Milizen wären die afghanischen Sicherheitskräfte mit der Situation überfordert gewesenBild: picture-alliance/dpa/J. Karger

Tausende Bewohner von Kundus haben sich deshalb lokalen Milizen angeschlossen und kämpfen neben den afghanischen Sicherheitskräften gegen die Taliban. Die meisten sind ehemalige Kämpfer aus dem Bürgerkrieg, die sich nun wieder dem Kämpfen verschrieben haben. So wie auch Assadullah, der mit seiner Familie aufgrund der Auseinandersetzungen zwischen Aufständischen und afghanischen Truppen flüchten musste. Für seine Provinz empfindet er dennoch Verantwortung. "Ich habe 15 Jahre als Mudschaheddin gekämpft und meine Waffen jahrelang niedergelegt", so Assadullah gegenüber der DW. "Nun bin ich gezwungen, diese wieder aufzunehmen und unser Land und unser Hab und Gut zu verteidigen." Dann fügt er hinzu: "Ich bin bereit."

So wie Assadullah haben sich inzwischen Tausende von Afghanen den Milizen angeschlossen. Die Regierung begrüßt diese lokalen Aufstände als Gegenwehr einer sich selbst verteidigenden Bevölkerung. Die Milizen gaben an, von der Regierung auch Waffen erhalten zu haben, was Kabul bestreitet. Kritiker fürchten deshalb die willkürliche Bewaffnung von rechtslosen Gruppen, die nicht dem Staat unterstellt sind. So wie Kamal Safi, Abgeordneter aus Kundus, der diese Entwicklung negativ sieht. "In einem schwachen Staatsapparat werden Milizen bewaffnet. Diese kennen weder Recht noch Ordnung und sind der Bevölkerung gegenüber nicht loyal. Das wird nur eine weitere Krise erzeugen", meint Kemal Safi.

Ist Kundus der Anfang?

Die Kämpfe werfen die Frage auf, ob die Taliban ihre militärischen Erfolge in Kundus nun auch in anderen Provinzen wiederholen können. Milizen haben sich bereits auch in anderen Provinzen gebildet. Mohammad Zaher, afghanischer Militärexperte, sagt, das am stärksten umkämpfte Gebiet im Norden sei Kundus. "Die Taliban kämpfen zum Beispiel auch in Takhar und Badakhshan. Bisher konnten die Taliban dort jedoch nicht an Boden gewinnen." Seit Beginn der Kämpfe in Kundus sind nach offiziellen Angaben bisher 140 Taliban getötet und weitere 120 verletzt worden sein. Demgegenüber sollen etwa 20 afghanischen Soldaten getötet und weitere 28 verletzt worden sein. Bisher sind etwa 10.000 Menschen aus Kundus geflohen.

Die Sorge, dass es auch in anderen Regionen zu ähnlichen Szenarien kommt wie in Kundus, wächstBild: picture-alliance/dpa/Noorullah Shirzada
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