Kunst aus alter Kleidung: Plädoyer für Mode ohne Müll
24. Juni 2025
Keiner von beiden hätte erwartet, dass ihre Zusammenarbeit ein solches Ausmaß annehmen würde. 2018 sind sich der Architekt Kanhai Gandhi aus Mumbai und die deutsche Modedesignerin Hedwig Bouley zum ersten Mal begegnet. Entstanden ist ein jahrelanges Kunstprojekt auf zwei verschiedenen Kontinenten.
Unter dem gemeinsamen Namen "Bouley Gandhi" arbeiten sie von Bayern und Mumbai aus an großformatigen Kunstwerken aus recycelten Stoffresten. Ihr Ziel: Ein größeres Bewusstsein schaffen für Nachhaltigkeit in der Modeindustrie, die weltweit zu den größten Umweltverschmutzern zählt.
"Ich bin seit 40 Jahren in der Modewelt unterwegs", erzählt Bouley der DW. "Vor rund acht Jahren habe ich beschlossen, all die Reste und den Müll aus der Branche sinnvoll zu nutzen."
Millionen Tonnen Textilmüll
Laut der Global Fashion Agenda fallen weltweit jährlich rund 92 Millionen Tonnen Textilmüll an - das entspricht etwa einem Müllwagen voller Kleidung pro Sekunde.
"Wir wissen alle, wie schädlich die Modeindustrie ist", sagt Gandhi. "Also dachten wir: Da steigen wir aus. Kunst ist ein guter Weg, um Bewusstsein zu schaffen. Wir verwenden in unseren Arbeiten keinerlei neues Material."
Ihre großformatigen Wandteppiche bestehen aus gebrauchten Woll- und Kaschmirresten. Gandhi bringt seine Erfahrung als Architekt ein und entwirft das Design, während Bouley zunächst ein kleines Modell von Hand näht. Anschließend fertigen sie die großen Werke an, bei denen die Materialien mit einer einzigartigen Nadelstichtechnik miteinander vernäht werden.
Upcycling - also die Aufwertung von Abfallmaterialien zu hochwertigen neuen Produkten - gewinnt in der Modebranche zunehmend an Bedeutung, je mehr das Bewusstsein für Umweltfragen wächst. In Europa beispielsweise ist Marine Serre mit recycelten Stoffen erfolgreich. In Indien setzen Studios wie Doodlage ebenfalls auf Stoffreste und Secondhand-Materialien.
Enge künstlerische Zusammenarbeit
Im April präsentierte das Duo Bouley Gandhi seine neueste Werkserie auf der Mailänder Designwoche - im renommierten Kunst- und Designraum von Rossana Orlandi. Im Gespräch mit der Deutschen Welle erinnerten sich die beiden daran, wie alles begann - 2018 auf der Messe Maison & Objet in Paris.
Gandhi war damals fasziniert von Bouleys Arbeiten, die sie an ihrem Stand ausstellte, und fragte spontan, ob er sie in ihrem Atelier in Aschau im Chiemgau besuchen dürfe - einem kleinen Ort in Bayern.
"Ich dachte, er macht einen Scherz - aber einen Monat später stand er wirklich vor meiner Tür", erzählt Bouley mit einem Lächeln. Und Gandhi fügt hinzu: "Ich sagte: 'Ich komme extra aus Indien - wäre ein Sonntag für dich okay?'" Selbst bei seinem interkontinentalen Besuch wollte er Rücksicht auf die deutsche Sonntagsruhe nehmen.
Was zunächst wie ein kulturelles Experiment wirkte, entwickelte sich rasch zu einer engen, kreativen Zusammenarbeit - und sogar zu einer kleinen Stilveränderung für beide: "Sie trägt jetzt viel mehr Farbe, und ich trage inzwischen oft Schwarz", bemerkt Gandhi mit einem Augenzwinkern. Außerdem sei er mittlerweile ein großer Fan bayerischer Küche geworden.
Aktuell arbeiten die beiden an weiteren Projekten, bei denen recycelte Materialien zum Einsatz kommen. Der Blick geht dabei klar in die Zukunft. Bouley erklärt: "Unsere Zusammenarbeit ist etwas Besonderes. Wir denken immer gemeinsam, nie nur an 'ihn' oder 'mich'. Es geht um das 'Wir'. Und das fühlt sich richtig gut an."
Der Mensch im Mittelpunkt
Neben dem ökologischen Aspekt spielt auch die menschliche Ebene eine wichtige Rolle in ihren Arbeiten. Bouley Gandhi möchten mit ihrer Kunst nicht nur auf Textilabfälle aufmerksam machen, sondern auch auf das, was uns als Menschen verbindet - gerade in einer Zeit, in der Konflikte und gesellschaftliche Spaltung zunehmen.
Ein Werk aus der Serie zeigt ein Gesicht, das aus einer Wasseroberfläche auftaucht - entstanden während der Corona-Pandemie. Gandhi wollte damit die menschliche Resilienz darstellen und nannte das Werk "Hope in Depth" - Hoffnung in der Tiefe.
"Ein bemerkenswerter Teil des menschlichen Geistes ist, dass man mit starkem Willen überlebt", sagt Gandhi. "Dieser Überlebenswille ist universell. Er ist nicht deutsch, indisch oder amerikanisch - er verbindet uns alle."
Adaption aus dem Englischen: Silke Wünsch