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Kunst

Biennale: Politische Kunst fürs Smartphone

10. Mai 2019

In Venedig hat die 58. Kunst-Biennale begonnen. Schon auf den ersten Metern gibt sich das weltgrößte Kunstspektakel voll schreiender Gegensätze. Und mehr denn je bewegt Politik die Künstler.

Ein ehemaliges Flüchtlingsschiff wurde zum vielsagenden Wahrzeichen der Kunst-Biennale
Bild: DW/S. Dege

Ein seltsamer Zauber liegt über der Stadt, wofür nicht nur das milchig-grüne Wasser der Lagune sorgt - Kunst elektrisiert. Da können auch die Reichen und Schönen nicht fernbleiben: "Sky", "Serenity" oder "Audiction" heißen große Motoryachten. Sie haben, als schwimmende Villen, an der Riva Sette Martiri festgemacht, der Hauptverkehrsader der Kunstpilger zwischen Arsenale und den Giardini. Niemand stört sich an dem schamlos zur Schau gestellten Reichtum.

Kritik an Europas Flüchtlingspolitik

Was das Bild verzerren könnte, ist einzig die "Barca nostra", ein Seelenverkäufer. Der überladene Kutter war im April 2015 auf dem Weg von Libyen nach Italien gesunken. Mehrere hundert Menschen ertranken. Die italienische Regierung ließ das Wrack bergen, um die im Rumpf entdeckten Leichen und Knochenfragmente zu identifizieren. Der Schweizer Künstler Christoph Büchel hat das Wrack in Anlehnung an die EU-Grenzschutzmission Mare Nostrum "Barca nostra" getauft und stellt es jetzt - zum Ärger rechtsgerichteter italienischer Politiker - bei der Biennale aus

Protzige Motoryachten der Superreichen haben am Rande der Biennale festgemachtBild: DW/S. Dege

Gegensätze wie diese - in den Smartphones der Biennale-Besucher finden sie mühelos zusammen. Für die Knipser aller Einkommens- und Altersklassen ist die Kunstschau ein Eldorado. Für die Preview der Kuratoren, Künstler und Kritiker hat man Eintrittskarten zu horrenden Preisen verkauft, um die Kasse der Biennale aufzubessern. Deshalb kommt jetzt der Jetset hinzu: Gucci- und Prada-Kostüme werden zur Kunst ausgeführt und in Selfies verewigt. Die Biennale ist immer auch ein Laufsteg. Nur ist er diesmal voller als sonst.

Viel Malerei, eine Menge Skulptur und zahlreiche Multimedia-Installationen

"May you live in interesting times" - bei der Wahl seines Leitspruchs hat Kurator Ralph Rugoff allerdings die Kunst im Sinn, zumal der Satz im Angelsächischen für die selbstironische Beschreibung krisenhafter Zeiten steht. In seiner zentralen Biennale-Schau, die sich auf zwei Spielorte verteilt, mischen sich die Genres: Überraschend viel Malerei ist dabei, eine Menge Skulptur, natürlich unzählige Fotos und Videos. Multimedia-Installationen quäken und flimmern in vielen Ecken von Biennale-Pavillons und Arsenale.

In den historischen Gemäuern des Arsenale, die einst die Seilerei von Venedigs Flotte beherbergten, führt Rugoff den Besucherstrom durch einen meterhohen Sperrholzkanal. Bisweilen öffnet sich das Terrain und es geht museal zu. Der Kurator hat viel weniger Künstler als bei früheren Biennalen eingeladen. Die meisten reiben sich mit ihren Arbeiten an der Gegenwart: Globalisierung, Digitalisierung, Klimawandel, Fake News sind wiederkehrende Stichworte. Viele Künstler antworten mit Zuspitzung, manche mit Ironie oder Überhöhung. Nicht Wenige lassen drängende Fragen einfach im Raum stehen oder halten der Welt den Spiegel vor.

Was bringt der Klimawandel? Ein "Cosmorama" zeigt die Welt als menschenleere MondlandschaftBild: DW/S. Dege

Dazu zählen etwa die in Paris und New York lebenden Künstlerinnen Dominique Gonzales-Foerster und Joianne Bittle, die mit "Cosmorama" ein apokalyptisches Szenario entwarfen, dessen Grundlage der Klimawandel ist. Die Deutsch-Japanerin Hito Steyerl verführt mit "Leonardos Submarine" zu einer multimedialen Zeitreise in die Unterwasserwelt der Lagunenstadt. Sie schlägt den Bogen von der Erfindung einer Kriegswaffe durch Leonardo da Vinci im Jahr 1515 bis zu aktuellen Rüstungsexporten. Auf drei Bildschirmen fließen Bilder und Ton zusammen, wie Realität und Fiktion, Kunst und Politik.

Roboter vs. Menschheit

Subtile und sehr ergreifende Selbstporträts hat die Japanerin Mari Katayama fotografiert. Mussten der Künstlerin wegen einer Krankheit beide Beine amputiert werden, so setzt sie ihren Körper und ihre erotischen Sehnsüchte jetzt effektvoll in Szene. Mindestens so nachdenklich stimmt das Werk "Can't Help Myself" des Pekinger Künstlerduos Sun Yuan und Peng Yu. Die Chinesen stellten einen computergesteuerten Industrieroboter in den Biennale-Pavillon, der in tanzenden Bewegungen blutähnliche Farbe aufzuwischen sucht. Ein ironischer Kommentar auf die Frage nach der menschlichen Existenz in Zeiten künstlicher Intelligenz.

Der Mensch steht im Zentrum von Anthea Hamiltons Arbeit "A new life"Bild: DW/S. Dege

Nicht immer geht es so tiefgründig zu. Die deutsche Künstlerin Alexandra Bircken etwa hat Motorräder wie mit einer Rasierklinge aufgesägt, die nun verwunderte Blicke auf sich ziehen. Der dänische Bildhauer Jeppe Hein entwarf witzige Bankskulpturen, deren Sitzfläche dem Ruhe suchenden Hintern elegant ausweichen. Freunde der Malerei kommen bei der US-Amerikanerin Nicole Eisenman auf ihre Kosten, die in altmeisterlicher Manier homoerotische Geschlechterbeziehungen ins Bild rückt.

Kunstauftritt als nationale Angelegenheit

Mehr denn erlebt die Kunstbiennale 2019 ein Schaulaufen der Länderpavillons. Manche Nationen, wie Ghana, Madagaskar, Malaysia und Pakistan sind zum ersten Mal dabei, während der venezolanische Pavillon wohl wegen des Bürgerkriegs verwaist bleibt. Viele Länder betrachten ihren Kunstauftritt als nationale Angelegenheit: Bei der Eröffnung des russischen Pavillons konnte man erstaunt verfolgen, wie zu militärischen Klängen die russische Flagge gehisst wurde, bevor die illustre Vernissage-Gesellschaft in frenetischen Jubel ausbrach.

Das Brexit-Land Großbritannien hat die Künstlerin Cathy Wilkes ins Rennen geschickt, die seltsame Menschenpuppen zu poetisch-mysteriösen Rauminstallationen arrangiert. Bei den Österreichern lässt Renate Bertlmann ein Rosenfeld aus rotem Moranoglas erblühen. Den belgischen Pavillon hat das Künstlerduo Jos de Gruyter und Harald Thys in ein Folkloremuseum verwandelt, in dem Roboterpuppen altes Handwerk verrichten, während in vergitterten Nischen die Randfiguren der Gesellschaft schmoren - Bettler, Verrückte, Künstler. Hier wie dort klicken unentwegt die Handykameras.

Deutscher Pavillon: sehr politisch und ein wenig plump 

Natascha Sadr Haghighian, unter einer Steinmaske verborgen, hat den deutschen Biennale-Pavillon gestaltet - eine Sprecherin verliest ihre BotschaftenBild: DW/S. Dege

Im deutschen Pavillon, der vor zwei Jahren noch den Goldenen Löwen gewann, geht es diesmal besonders ernst zu. Darin hat die deutsch-iranische Künstlerin Natascha Sadr Haghighian einen raumteilenden Staudamm errichten lassen. Aus Lautsprechern erklingen Soundcollagen mehrerer Musiker, die mit verfremdeten Trillerpfeifentönen arbeiten. Haghighian, die seit Monaten mit einer Steinmaske aus Pappmaché und unter einem Phantasienamen auftritt, kritisiert ganz offensichtlich die Abschottung Europas gegenüber Geflüchteten. Ihr Werk, wenn auch umständlich und ein wenig plump, kommt politisch daher. Wie so vieles bei dieser Kunst-Biennale in Venedig.

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