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Kunst für die Nase

27. Juni 2018

Der Geruchssinn ist in der Kunst nach wie vor ein vernachlässigter Sinn: Kunst, die wir sehen oder hören können, dominiert. Geruchskunst ist zwar eine Nische, aber eine die wächst.

Weltdufttag
Bild: Fürcho GmbH

Er nennt es sein "Piano": Christophe Laudamiel steht vor einem großen Regal mit Hunderten von kleinen beschrifteten Flacons. Es sind etwa 1500 unterschiedliche Noten: Die Extrakte reichen von verschiedenen Hölzern über Früchte und Blüten bis hin zu synthetisch hergestellten Gerüchen. In seinem Atelier in Berlin-Schöneberg kreiert der Franzose, der hauptsächlich in New York lebt, Düfte für Hotels und Designer.

Das Piano: Aus etwa 1500 Noten kreiert Laudamiel seine Düfte, ein fertiges Parfüm besteht aus 40 bis 80 verschiedenen NotenBild: Michelle Ostwald

Geruchskompositionen am Piano

Die meisten Duftnoten hat Laudamiel längst verinnerlicht, trotzdem funktioniert die Arbeit viel über Probieren. "Das hat nichts mit Zauberei zu tun", sagt Laudamiel, "es gibt keine magische Komponente und dann wird der Duft fantastisch." Meist startet er mit einer groben Idee, dann experimentiert er, komponiert auf seinem Piano, bis er einen Duft findet, der ihm gefällt.

Laudamiel ist einer von weltweit nur etwa 2000 Parfümeuren. Nach seinem Studium am MIT (Massachusetts Institute of Technology) gelangt er über ein Praktikum in die Welt der Düfte und kreiert einen Kirschblütenduft für einen großen Waschmittel-Hersteller. Es folgen Parfüms für Tommy Hilfiger, Burberry, Beyoncé, Michael Kors und preisgekrönte Kreationen wie "Polo Blue for men" für Ralph Lauren oder "Fierce" für Abercrombie and Fitch.

Parfümeur und Geruchskünstler Christophe Laudamiel bei der Arbeit in seinem Atelier in BerlinBild: Michelle Ostwald

Experimente mit verschiedenen Sinnen

Christophe Laudamiel ist nicht nur Parfümeur im klassischen Sinne, er ist auch Geruchskünstler. Das Zusammenspiel verschiedener Sinne interessiert ihn besonders. "Wenn man einen Wein trinkt und dabei Klassik oder Reggae hört, schmeckt man unterschiedliche Noten heraus", sagt Laudamiel. "Genauso sieht man Bilder anders, wenn die Umgebung anders riecht." Für die Mianki Galerie in Berlin entwickelte er 2014 seine "Scent Squares": leere, aber duftende Rahmen, durch die man hindurch guckt auf einen Bildschirm mit sich abwechselnden abstrakten Formen und Farben. Obwohl der Duft sich nicht verändert, bewirken die Bilder, dass man andere Noten herausriecht. Aktuell zeigt Laudamiel bei Mianki gemeinsam mit dem Maler Detlef Halfa das "First Scent Supper Menu" in acht Gängen: In Schalen und Vasen können Duftkreationen an einer Tafel errochen werden, die Bilder von Halfa geben dem Menü eine eigene Stimmung.

Ein Genuss für die Nase: Christophe Laudamiels "First Scent Supper Menu" in der Mianki Galerie in BerlinBild: Fürcho GmbH

Laudamiel wünscht sich für die kreative Arbeit mit Gerüchen eine größere Plattform, eine bessere Lehre und mehr finanzielle Unterstützung für den Nachwuchs. Und vor allem: mehr Anerkennung innerhalb der Gesellschaft, die die Kunstsparte immer noch als nischig und oft als witziges Experiment wahrnimmt.

Eine neue Darstellungsform: das Osmodrama

Auch Geruchskünstler Wolfgang Georgsdorf hatte zu kämpfen als er 1996 eine erste Geruchsorgel entwickelte und auf der Suche nach Sponsoren war. "Die ersten Versuche eines Geruchskinos gab es schon 1906", sagt der Künstler, "heute haben wir die nötigen technischen Voraussetzungen, aber viele Menschen sind noch skeptisch." Die zweite Version der Maschine, den "Smeller 2.0", hat er 2012 zum ersten Mal getestet. Gerade kann man ihn in der Ausstellung "Welt ohne Außen" im Martin-Gropius-Bau in Berlin erleben. In einem weißen Raum sitzt das Publikum - das "odience", wie Georgsdorf es nennt, - auf schlichten Bänken und riecht eine 12-minütige Komposition, ein "Osmodrama" aus 64 Düften, die nacheinander verbreitet werden und jeweils innerhalb eines Atemzuges wieder verschwinden.

Im Martin-Gropius-Bau Berlin wird Wolfgang Georgsdorfs Osmodrama "Quarter Autocomplete" gespieltBild: Michelle Ostwald

Hinter einem Gitter sind die gewaltigen Stahlrohre zu erkennen, das Gerät erinnert an Science-Fiction-Filme. Die Leute raten, lächeln, wenn sie den Geruch von gemähtem Gras erkennen oder sich bei süßen Düften an Bonbons aus der Kindheit erinnern. Aber auch Gerüche wie Tierkot sind dabei und sorgen für verzogene Gesichter. "Das Riechen funktioniert zwar nicht so schnell wie das Sehen oder Hören, dafür wirkt es viel direkter, weil Düfte unmittelbar unser emotionales Zentrum erreichen, ohne dass sich erst der Verstand dazwischenschaltet", sagt Georgsdorf. Der Österreicher baute sich schon als Fünfjähriger seinen ersten Geruchskasten aus der Hausapotheke des Großvaters, der Chemiker war. Für die Geruchskunst hat Georgsdorf große Hoffnung: "Wir sind übersättigt mit audiovisuellen Reizen, die immer verfremdeter werden und sich vom Natürlichen entfernen. Die Menschen wollen wieder zurück zur Natur und da passt das Riechen genau herein." Die Skizzen für den "Smeller 3.0", 4.0 und 5.0 hat er schon.

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