Die Welt der Kunst ist noch immer von Männern dominiert. Damit das nicht so bleibt, hängt Tate Britain in einem Teil des Hauses zeitgenössische Kunst von Männern ab. Stattdessen zu sehen: starke Werke von Künstlerinnen.
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"Sixty Years": Tate Britain feiert Künstlerinnen
Das Stammhaus der Tate-Museen in London hängt um. In neun Räumen der Abteilung für zeitgenössische Kunst werden ab 22. 04. ausschließlich Werke von Frauen zu sehen sein, die seit 1960 in Großbritannien gearbeitet haben.
Bild: Imago Images/ZUMA Press
Exklusive Schau
Bilder und Installationen von Susan Hiller gehören zu den sechzig Kunstwerken, die das Londoner Museum Tate Britain zum ersten Mal nebeneinander ausstellt. "Sixty Years" zeigt ausschließlich Arbeiten von Künstlerinnen aus den letzten sechs Jahrzehnten. Auch das Schwesterhaus Tate Modern würdigt in einer Reihe von Einzelausstellungen Werke von Pionierinnen der modernen Kunst
Bild: Imago Images/ZUMA Press
Susan Hiller
Susan Hillers Multimedia-Installation "Belshazzar’s Feast, the Writing on Your Wall" ("Belshazzars Fest, die Zeichen an deiner Wand", Übers. d. Red.) ist eines der Highlights der Ausstellung. Das Werk, in dem Video, Audio, Farbfotografie, Zeichnungen und Möbel einen Raum bilden, der an ein traditionelles Wohnzimmer erinnert. 1984 war dies die allererste Video-Installation, die Tate ankaufte.
Bild: Susan Hiller
Monster Chetwynd
Monster Chetwynd, die 1973 geborene Alalia Chetwynd, hatte im vergangenen Winter die Fassade des Tate Britain publikumswirksam in Szene gesetzt: mit der Projektion zweier riesiger blauer Schnecken. "Sixty Years" zeigt zwei ihrer neuen Arbeiten: "Crazy Bat Lady" (Bild) und "Jesus and Barabbas" (Odd Man Out 2011), beide aus dem Jahr 2018.
Bild: Robert Glowacki/Courtesy Sadie Coles HQ
Rachel Whiteread
Die Bildhauerin Rachel Whiteread war die erste Frau, die 1993 den für einen Künstler oder eine Künstlerin unter fünfzig Jahren vergebenen Turner-Preis gewann. Zu ihren bekanntesten Skulpturen gehört ein großer Betonabguss des Inneren eines Gründerzeithauses. In Wien gestaltete sie das Holocaust-Denkmal auf dem Judenplatz. Nicht nur "Sixty Years", auch Tate Modern zeigt 2019 ihre Werke.
Auch Tomma Abts gehört zu den "Sixty Years"-Künstlerinnen, die mit dem von der Tate Gallery organisierten Turner-Preis geehrt wurden. 2006 erhielt sie als erste Malerin die Auszeichnung für ihre abstrakten, streng geometrischen Ölgemälde, die in einem langen, ungeplanten Prozess entstehen. Die Künstlerin wurde 1967 in Deutschland geboren, lebt und arbeitet aber in London.
Bild: Tomma Abts
Rose Wylie
Auch Rose Wylie, geboren 1934, ist Turner-Preisträgerin. Sie erzählt Geschichten wie mit diesem Kunst-Puzzle "Pin Up and Porn Queen Jigsaw" von 2005. Das Pin Up-Mädchen links im Bild bezieht sich auf Marilyn Monroe im Film "The Misfits" (1961). Ihr Haar erinnert an die Technik in Albrecht Dürers (1471–1528) Holzschnitten. Der Kopf rechts zitiert eine Dokumentation über den Pornostar Annabel Chong.
Bild: Rose Wiley
Dorothea Tanning
Seit Februar und noch bis Anfang Juni 2019 wird eine der Pionierinnen der modernen Kunst in der Tate Modern gewürdigt. Diese erste umfassende Ausstellung des Werks von Dorothea Tanning (1910-2012) seit 25 Jahren zeigt Arbeiten aus sieben Jahrzehnten: Malerei, Plastiken und Installationen.
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/S. Chung
Anni Albers
Im Bauhaus-Jahr würdigte auch die Tate Modern Anni Albers mit einer Ausstellung von 350 Werken der deutschen Textil-Künstlerin. Sie benutzte traditionelle Techniken der Handweberei, um moderne Kunstwerke zu schaffen. Ihre Arbeiten waren bis Januar zum ersten Mal in Großbritannien zu sehen - eine der vielen Solo-Schauen von Frauen, mit der die Tate Gallery die Kunstgeschichte jetzt neu bewertet.
Bild: picture-alliance/ZUMAPRESS/S. Chung
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Es weht ein frischer Wind in allen vier Häusern der Tate Britain, erst recht seitdem drei von ihnen von Frauen geführt werden. Jetzt preschen die Galerien bei der Gleichstellung von Mann und Frau in der Kunst voran: Die Mission ist, bei zeitgenössischen Ausstellungen ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis zu erreichen.
Und dabei bleibt es nicht, die Ausstellungen sollen auch die Vielfalt der Kunst von allen Kontinenten dokumentieren. Weltoffenheit, gerade in Brexit-Zeiten, will Maria Balshaw beweisen, die als Kulturwissenschaftlerin vor zwei Jahren zur ersten Direktorin in der 120-jährigen Geschichte der renommierten Tate-Museen berufen wurde.
Sechzig Jahre moderne Kunst von Frauen
Mit ihrem jüngsten Projekt macht die von ihr geleitete Tate Britain nun Schlagzeilen: Im Mutterhaus der Gruppe, wo britische Kunst von 1500 bis heute gezeigt wird, werden in der Sektion Zeitgenössische Kunst der letzten sechzig Jahre Arbeiten von männlichen Künstlern abgehängt.
Unter dem Titel "Sixty Years" erzählt die Schau über neun Räume die Geschichte weiblicher Künstler von 1960 bis heute neu. Etwa 60 Kunstwerke von dreißig Künstlerinnen, die in Großbritannien arbeiten, sind ab 22. April 2019 thematisch gruppiert nebeneinander zu sehen.
Die gemeinsame Ausstellung soll "keine explizit feministische Schau" sein, erklärt Andrea Schlieker, Ausstellungs-Direktorin in Tate Britain. "Uns geht es darum, die Internationalität in der britischen Kunstentwicklung aufzuzeigen", betont sie.
Vielfalt und Internationalität seien Kennzeichen der "Britishness". Unter anderen sei das zu erkennen in den Werken der Video-und Installationskünstlerinnen Susan Hiller und der britisch-palästinensischen Mona Hatoum, in Gemälden der deutschen Künstlerin Tomma Abts, die 2006 den Turner-Preis gewann und in Arbeiten von Bridget Riley, Rachel Whiteread oder Sarah Lucas.
Kunstgeschichte kurz mal umschreiben
Auch der Dialog zwischen älteren und jüngeren Generationen von Künstlerinnen wird herausgestellt, Fragen von "politischer Geografie", Identität, Farbe und Geschlechtern werden angesprochen. So zeigt die britisch-afro-karibische Künstlerin Sonia Boyce eine Fotoserie, in denen verdutzte Passanten auf unterschiedlichste Weise auf das Aufsetzen einer Afro-Perücke reagieren.
Für 2020 plant die Tate Britain eine Umhängung ihrer gesamten Sammlung "von unten her", Bildtexte sollen neu geschrieben und bislang zu wenig beachtete Kunst stärker präsentiert werden, kündigt Schlieker an. Dabei solle nicht nur das koloniale Erbe der Sammlung kritisch unter die Lupe genommen, sondern auch Fragen wie Gender und Hautfarbe neu bewertet werden. "Wir versuchen, alles aufzumischen und die Kunstgeschichte weitgehend umzuschreiben."
Soloschauen für Künstlerinnen
In der Tate Modern, dem Haus für Moderne Kunst, verfolgt Direktorin Frances Morris dasselbe Gleichheitsprinzip mit einer Reihe von Soloschauen für Künstlerinnen - von Anni Albers bis Dora Maar und Dorothea Tanning. Nicht ohne Stolz wird in der Tate darauf hingewiesen, dass der begehrte Turner-Kunstpreis in den vergangenen acht Jahren sechsmal an eine Künstlerin vergeben wurde. "Wir leben in einer positiven und fruchtbaren Zeit für die Frauenkunst", kommentiert Maria Balshaw mit Stolz.