Staatlich verordnet: Kunstraub in der DDR
26. November 2020"Es besteht der Verdacht, daß Wertgegenstände, die gesellschaftliches Eigentum sind, bisher nicht staatlich erfasst wurden und sich in Tresoren, Safes und sonstigen Einrichtungen in Sparkassen, Banken und anderen Finanzobjekten befinden", steht in einem vertraulichen Schreiben vom 20.12.1961 an den Leiter der Bezirksverwaltung in Erfurt. Und weiter: "Das Ziel der Aktion ist die Ermittlung und Sicherstellung der bisher nicht ordnungsgemäß erfassten Wertgegenstände, die gesellschaftliches Eigentum sind, um Schieber- und Spekulantentum zu unterbinden." Der Betreff: "Aktion Licht".
Es ist ein einmaliges Unterfangen des Ministeriums für Staatssicherheit, das in nur wenigen Tagen durchgeführt werden muss - streng sekretiert, selbst innerhalb der Stasi wird nur ein kleiner Personenkreis in diese Aktion eingeweiht. Im 12-seitigen Dokument wird akribisch aufgelistet, wie die Aktion vonstattengehen soll - aufgelistet nach Stunden. Demnach sollen die Einsatztruppen am 6.1.1962 um 15 Uhr beginnen. Zwei Tage später soll bis zwölf Uhr Bericht erstattet werden. Unterzeichner des geheimen Dokuments: Erich Mielke, Minister für Staatssicherheit.
"Die strenge Geheimhaltung der Aktion dürfte verschiedene Gründe gehabt haben. Einmal hätte es das Finanz- und Bankwesen der DDR bis in den inneren Kern erschüttert und das Vertrauen darin innerhalb der Bevölkerung wie auch international gen Null tendieren lassen. Man war sich des Unrechts, das man mit dieser Aktion beging, bewusst. Und man muss dazu sagen, dass die Staatssicherheit das offizielle Untersuchungsorgan auch für kriminelle Delikte gewesen ist und nun selbst in erheblichem Umfang kriminell wurde", sagt Henry Leide, Historiker und Mitarbeiter bei dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR (BStU).
Kunst gegen Devisen
Die Stasi-Aktion "Licht" sollte die klammen Kassen der DDR füllen - mit Devisen. Und in der Tat kamen am Ende Gegenstände wie Gemälde, Tafelsilber, Briefmarken, Porzellan und Wertpapiere in Höhe von mehr als vier Millionen Mark zusammen. Doch die Aktion hatte auch andere Ziele vor Augen: "Die Staatssicherheit selbst war daran interessiert, Akten aus der Zeit vor 1945 aufzufinden, die sie für ihre operative Tätigkeit und Propagandakampagne gegen die vermeintlich refaschisierte Bundesrepublik brauchte", sagt Henry Leide. Zudem konnte man im Zuge der Aktion ermitteln, wer sich als inoffizieller Mitarbeiter eignet - und wer Widerstand leistet. Entsprechend wurden einige Bankmitarbeiter unter Druck gesetzt und zur strengen Geheimhaltung gezwungen.
In den zwei Etappen der Aktion "Licht", die sich in wenigen Tagen abspielte, wurden Schließfächer und Tresore, sowie ehemalige Fabrikgebäude, private Wohnorte, Museen und Kirchen durchsucht.
Nach der Flucht: Enteignung von Wertgegenständen
Nicht nur durch die Aktion "Licht" wurden Kunstgegenstände enteignet. Die Stasi hatte es unter anderem auf das Eigentum von Menschen, die die DDR verlassen hatten und ihr Hab und Gut zurücklassen mussten, abgesehen. Eine andere Praxis, bei der Kulturgüter illegal entzogen wurden, war die fingierte Steuerschuld, wonach die Eigentümer horrende Steuern für Kunstgegenstände zahlen sollten, diese jedoch nicht aufbringen konnten.
Heute ist es schwer, die Eigentumsverhältnisse und Herkunft der Objekte zurückzuverfolgen. Die Provenienzforschung zu in der DDR entzogenen Kunstgütern steckt noch in den Kinderschuhen. Einer der ersten, der sich im Raum Schwerin aus historischer Sicht mit dem Thema beschäftigt, ist Professor Michael Busch. Er durchforstet dafür am Staatlichen Museum Schwerin unter anderem die Inventarbücher des Bestands. "Es gab viele Beispiele, wo die Menschen in den 40ern die SBZ (Sowjetische Besatzungszone) oder später die DDR verlassen haben und Bilder auf dem Dachboden gelagert haben. Und wenn später das Haus verkauft und neu renoviert wurde, wurden sie entdeckt und dem Museum geschenkt. Solche Fälle gibt es einige. Das Museum ist durchaus bereit, diese Gegenstände zurückzugeben."
Etwa ein bis anderthalb Prozent des Bestands von 1945 bis 1990 - vermutet Busch - sind unklarer Herkunft. Ob die Gegenstände aus der Aktion "Licht" oder anderen fragwürdigen Quellen stammen, gilt nun zu erforschen. "Die Provenienzforschung begann mit der NS-Raubkunst und war gefolgt von der Forschung der Kolonialkunst. Das hier ist das erste Projekt, das sich der DDR-Raubkunst widmet. Es ist Neuland, eigentlich fängt es jetzt erst richtig an, dass sich Provenienzforscher mit dem Thema DDR und Kunst beschäftigen", sagt Michael Busch.
Rückgabe an Eigentümer
Es gibt die "Washingtoner Erklärung", die Staaten verpflichtet, Kunstwerke, die während der Zeit des Nationalsozialismus beschlagnahmt wurden, ausfindig zu machen, deren rechtmäßigen Eigentümer zu ermitteln und rasch zu einer fairen und gerechten Lösungen zu gelangen. Etwas vergleichbares existiert aber für die Zeit nach 1945 nicht. "Es mussten Anträge gestellt werden. In den meisten Fällen sind die Fristen für die Anträge aber schon abgelaufen, also juristisch gesehen betreten wir da Neuland", sagt Michael Busch. Doch wie das Staatliche Museum Schwerin seien auch viele andere Museen zur Rückgabe von Kunstwerken bereit.
Die Aufarbeitung und Provenienzforschung von in der DDR illegal entnommenen Kulturgegenständen steht noch am Anfang - wissenschaftlich wie juristisch. Die Dokumente über die Aktion "Licht" liegen nur fragmentarisch vor, und die Suche nach den Gegenständen und den rechtmäßigen Besitzern hat gerade erst begonnen.