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Kuranyi: "Deutschland ist der Top-Favorit"

12. Juni 2018

Kevin Kuranyi hat fünf Jahre lang bei Dynamo Moskau gespielt und ist Kenner des russischen Fußballs. Der 36 Jahre alte DW-WM-Kolumnist spricht über die WM, die Problem-Fans und die Chancen der deutschen Mannschaft.

Kevin Kuranyi (Foto: picture-alliance/augenklick/firo Sportphoto)
Kevin KuranyiBild: picture-alliance/augenklick/firo Sportphoto

Deutschland ist der Top-Favorit

03:37

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DW: Die WM wird in Russland ausgetragen. Dort waren Sie bei Dynamo Moskau aktiv. Was fällt Ihnen spontan bei diesem Gedanken ein?

Kevin Kuranyi: Ich freue mich sehr, weil ich fünf Jahre dort gelebt, viele Menschen und deren Mentalität kennengelernt habe. Als ich dort hingekommen bin, habe ich ein ganz anderes Bild von Russland gehabt. Ich habe aber gelernt, wie offen und angenehm die Menschen dort sein können. Und dass die Stadt Moskau nicht so gefährlich ist, wie oft gesagt wird. Ich hoffe, es werden viele Menschen die WM besuchen. 

Wie groß ist das Interesse der russischen Bevölkerung, wie fußballverrückt ist dieses Land?

Fußball ist nicht die Nummer-Eins-Sportart in Russland, sondern Eishockey. Wenn man Liga-Spiele hat, sind vielleicht nur die Top-Spiele ausverkauft. Sonst sind nicht so viele Zuschauer da. Aber ich glaube bei einer WM wird sich alles ändern. Da ist die Begeisterung ganz anders, und die Stadien werden voll. 

Haben Sie etwas Komisches in Russland, bei Dynamo, erlebt, was Sie aus der Bundesliga nicht kannten?

Da gab es einiges. Es gab Tage, da mussten wir bei minus 18 Grad spielen. Da war dann das Wasser in den Flaschen am Spielfeldrand gefroren, wenn man etwas trinken wollte. So etwas passiert in Russland. Gut, dass die WM im Sommer stattfindet.

Die russische Premier Liga und die dortigen Spieler werden hier im Westen vielfach nicht gerade als qualitativ besonders hochwertig angesehen. Wie gut ist der russische Fußball?

Kevin Kuranyi im Trikot von Dynamo Moskau Bild: picture-alliance/dpa

Die Liga kann man nicht vergleichen mit der deutschen, englischen oder spanischen Liga. Die sind einfach viel weiter, was Marketing oder die Qualität der Spieler angeht. Aber vier oder fünf Vereine können sich in der Europa und der Champions League zeigen, die sind konkurrenzfähig.  

Was trauen Sie dem russischen Team von Trainer Stanislaw Tschertschessow zu?

Ich habe einen großen Respekt vor der Arbeit von Tschertschessow, er macht wirklich einen guten Job. Aber für den WM-Titel wird es nicht reichen. Von der Erfahrung und von der Qualität her sind sie nicht so weit wie eine französische, brasilianische oder deutsche Mannschaft. Ich denke, sie werden in der Vorrunde weiterkommen, und dann wird es schon enger werden. 

Wie würden Sie die russischen Fußballfans in der Premier Liga charakterisieren?

Ich habe fast immer tolle Erlebnisse gehabt. Die Fans haben uns immer mit sehr lautstarken Fangesängen unterstützt, auch wenn nicht so viele im Stadion waren. Das war toll. 

Es gab in den vergangenen Jahren aber auch immer wieder rassistische und homophobe Äußerungen und Plakate auf den Tribünen. Was haben Sie davon mitbekommen und als wie groß haben Sie dieses Problem erlebt?

Ich habe das alles mitbekommen und finde es sehr schade, dass es immer wieder dumme Menschen gibt, die vielleicht nicht viel mit Fußball zu tun haben, sondern einfach den Fußball kaputt machen wollen mit solchen Aktionen. Man muss versuchen, solche Leute aus dem Stadion zu entfernen oder sie gar nicht erst hineinzulassen.

Ist das Problem in Russland größer als in anderen Ländern?

Ich denke, das Problem gibt es überall. Egal ob es Rassismus, egal ob es homophobe Gesänge sind, es kommt überall wieder zum Vorschein. Es gibt leider überall diese Menschen, die gar nicht bedenken, was sie da machen und wie viel sie damit kaputt machen. 

Es gab zuletzt auch immer wieder randalierende russische Hooligans zu beobachten, gerade im Ausland. Wie groß ist Ihrer Einschätzung nach das Hooligan-Problem in Russland?

Fans von Spartak Moskau zündeln in der Europa LeagueBild: imago/Eibner Europa

Ich habe selbst noch nie persönlich Probleme mit solchen Menschen gehabt. Das Problem wird es aber wohl immer geben, egal ob das in Russland, in England oder in Deutschland ist. Diese Leute machen einfach nur den Fußball kaputt. Ich hoffe, dass es bei der WM in Russland nicht so weit kommen wird, dass diese Leute irgendetwas anstellen können.

In manchen westlichen Medien wird davor gewarnt, die WM als Fan zu besuchen. Würden Sie sagen, das ist eine berechtige Sorge oder eher Panikmache?

Ich denke, das ist eher Panikmache. Die Organisation wird so gut sein, dass solche Sachen nicht passieren. Eine Weltmeisterschaft wird so gut vorbereitet, wird so gut geplant. Und ich glaube, es gibt genug kluge Menschen, die so etwas in den Griff bekommen können. Und das wird auch in Russland so sein.

Sie werden die deutsche Mannschaft als ehemaliger Nationalspieler sicher noch genau im Blick haben. Wie sehen Sie die Chancen der deutschen Mannschaft?

Ich sehe die deutsche Mannschaft wieder als Favorit an. Sie hat in den letzten Jahren gezeigt, dass sie einen Top-Fußball spielt, dass sie Top-Spieler hat. Und dass noch einige junge Talente dazu gekommen sind, die sich immer weiter entwickeln. Und der Bundestrainer ist schon sehr lange dabei und kennt jeden Spieler und dessen Qualität. Ich sage, Deutschland wird den zweiten Weltmeistertitel in Folge holen.

Kuranyi 2008 mit Bundestrainer Joachim Löw (l.) Bild: Oliver Berg/dpa/picture-alliance

Wenn Sie an ihre eigene Karriere denken und die Flucht als Nationalspieler aus dem Dortmunder Stadion im Jahr 2008. Würden Sie im Nachhinein sagen, das war mein größter beruflicher Fehler?

Auf jeden Fall, das war mein größter Fehler, den ich in meiner Fußballkarriere gemacht habe. Aber das Gute ist, dass ich daraus gelernt habe. Man entwickelt sich mit solchen Erlebnissen im Leben weiter. Ich kann meinen Mitspielern von damals und auch meinem Trainer [Joachim Löw - Anm. der Red.] in die Augen schauen, weil ich mich dafür entschuldigt habe und ich weiß, dass die auch meine Entschuldigungen angenommen haben. Das ist wichtig.

Kevin Kuranyi spielte für den VfB Stuttgart, den FC Schalke 04, Dynamo Moskau und 1899 Hoffenheim. Der heute 36-Jährige beendete im März 2017 seine aktive Karriere. Neben seinen vielen Toren in seinen Klubs verschaffte sich der Nationalspieler Kuranyi  (52 Einsätze, 19 Tore) besondere Aufmerksamkeit, als er aufgrund seiner Verärgerung über die Nicht-Berücksichtigung im WM-Qualifikationsspiel gegen Russland am 11. Oktober 2008 vorzeitig die Tribüne des Westfalenstadions verließ und nach Hause fuhr. Danach bestritt er kein Spiel mehr für die deutsche Auswahl. Mittlerweile arbeite Kuranyi als Spielerberater. Bei der WM in Russland ist er TV-Experte der ARD, für die DW schreibt er wöchentlich eine WM-Kolumne.

Das Interview führte Jörg Strohschein. 

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