"DDR-Kunst unvoreingenommen betrachten"
28. Oktober 2017Am Samstagabend (28.10.2017) besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier als einer der ersten die Ausstellung über DDR-Kunst und würdigte sie als wichtigen Meilenstein auf dem Weg von Ost und West zueinander. Die Schau werde die Augen neu öffnen, sagte das Staatsoberhaupt bei der Eröffnung in der brandenburgischen Landeshauptstadt. Keiner der in der Schau vertretenen Künstler stehe für eine Kunst nur um der Kunst willen. "Wohl aber für ein Verständnis von Kunst, das auch innerhalb eines Systems, das alles und jeden für sich und seine Ziele in Dienst nehmen möchte, den Anspruch erhebt, zunächst als Kunst wahr- und ernstgenommen zu werden", betonte Steinmeier.
Es war der ausdrückliche Wunsch des Museumsstifters Hasso Plattner, in dem erst im Januar 2017 eröffneten Museum Barberini schwerpunktmäßig Kunst aus der DDR zu zeigen. Nach Ausstellungen zur amerikanischen Moderne und zum französischen Impressionismus thematisiert die dritte Ausstellung "Hinter der Maske. Künstler in der DDR" jetzt die Selbstdarstellung von Künstlern im Sozialismus Ostdeutschlands. Mit der DW sprach Kurator Michael Philipp über die Herausforderungen, die Schau auf die Beine zu stellen.
Deutsche Welle: Herr Philipp, in Ihrer Pressekonferenz hieß es, es sei selbstverständlicher, eine Ausstellung über die amerikanische Moderne zu machen als über Kunst und Künstler in der DDR. Warum ist das so?
Michael Philipp: Bei dem Thema Kunst in der DDR scheint sich immer die Frage zu stellen, wie sich die Kunst oder die Künstler zum Staat verhielten. In den Jahren nach 1989 wurde immer wieder vor allem nach der ideologischen Komponente gefragt. Das hängt auch damit zusammen, dass die DDR als Staat eine äußerst vielschichtige und weitreichende Kunstpolitik betrieben hat.
Was muss man sich darunter vorstellen?
Es gab Maßnahmen, mit denen sie sich für die Künstler eingesetzt hat, durch Aufträge etwa, aber natürlich auch restriktive und repressive Maßnahmen der Unterdrückung und Verfolgung. Es war wichtig, dass dies nach 1989 dokumentiert wurde. Das führte aber dazu, dass sich die Kunstbetrachtung mit diesem ideologischen Aspekt erschöpft.
Wie ist es jetzt bei Ihrer Ausstellung? Sie folgt ja auf große Schauen etwa des Deutschen Historischen Museums und des Martin-Gropius-Baus zur DDR-Kunst.
Unsere Ausstellung geht von dem Künstler-Individuum und dem Kunstwerk aus. Wir fragen dabei nicht, ob es ein Auftragswerk des Staates ist oder ob es das Werk einer oppositionellen Einstellung ist, ob sich eine Systemkritik äußert. Unser Frage ist: Wie hat sich der Künstler in seinem Bild selbst dargestellt, in seiner Rolle hinterfragt.
Es geht Ihnen also um rein künstlerische Kriterien. Aber kann man das gesellschaftlich-politische Umfeld ausblenden?
Viele Werke konnten wegen der gesellschaftlichen Umstände in der DDR nur so in dieser Weise entstehen. Das wird auch durch die Texte thematisiert. Aber das ist nicht unser Ausgangspunkt. Wir schauen erstmal auf die Kunst selbst.
Wie zeigt sich das in der Ausstellung? Sie haben die mehr als 80 Bilder in acht Themenräume gegliedert. Einer heißt "Maske" und da fällt mir gleich das Bild des balancierenden Seiltänzers von Trak Wendisch ein, mit dem Sie die Ausstellung bewerben.
Die Maske ist ein Thema, das die Künstler in der DDR über Jahrzehnte immer wieder beschäftigt hat. Es ist vielleicht das zentrale Motiv für Künstler, sich zu hinterfragen. Maske: Das ist Verkleidung, das kann Tarnung sein, das kann eine Rolle sein. Und wichtig: Sie ist immer als zweites Gesicht erkennbar und thematisiert die unterschiedlichen Rollen. Jene, die man zugeschrieben bekommt und jene, die man selbst ausfüllen will oder muss. Unser Titelbild, das Gemälde von Trak Wendisch, der Seiltänzer, mutet dem Betrachter eine ganz atemberaubende Perspektive zu. Er schaut von unten auf diesen Seiltänzer, wie er balanciert, wie er das Gleichgewicht mühsam hält. Das mag eine Situation des Künstlers in der DDR bezeichnen.
Also einen Balanceakt - aber auch existenzielles Kämpfen?
Es geht darum, nicht abzustürzen. Das war sicherlich ein Thema in der DDR. Aber es ist auch ein allgemein menschliches Thema. Vermutlich ist jeder schon mal in einer vergleichbaren Situation gewesen. Das Gemälde hat neben seiner DDR-spezifischen Komponente auch eine allgemein menschlich gültige. Das ist seine große Stärke.
Selbstporträts als Selbstermächtigung
Ein anderer Schwerpunkt der Ausstellung sind die Selbstbildnisse der Maler, etwa von Bernhard Heisig, Bert Heller oder Willi Sitte. Warum das?
Die Selbstbefragung des Künstlers in Selbstbildnissen ist seit Albrecht Dürer ein ganz zentrales Motiv. In einer Zeit, in denen Porträts nur den Mächtigen vorbehalten waren, haben sie sich selbst dargestellt. Das zeigt eine Selbstermächtigung. Darauf referieren auch die Selbstbildnisse, die in der DDR entstanden sind. Sie sind auch eine Selbstermächtigung und in den meisten Fällen Ausdruck eines Selbstbewusstseins. Ein Beispiel für einen ironischen Umgang im Selbstporträt ist das Bild von Willi Sitte, in dem er sich als Arbeiter zeigt, mit freiem Oberkörper und Bauhelm. So als würde er eine schwere Arbeit als Maurer vollführen. Zugleich guckt er mit einem süffisanten Blick auf den Betrachter. Sitte hat sich hier, wie es gewünscht war, mit der Arbeiterklasse identifiziert. Zugleich zeigt sein Gesichtsausdruck: So ganz ist er in der Rolle nicht zuhause.
Aber der Name Willi Sitte bringt uns noch einmal zum Kern der Ausstellung: Sitte war als Kulturfunktionär durchaus umstritten, hat sich angepasst, hat im Sinne der SED gearbeitet. Kann man seine Kunst dann so einfach wertschätzen?
Wir wünschen uns einen unvoreingenommenen Blick auf die Kunst. Dass die Betrachter nicht ihre Vorurteile mitbringen, sondern diese Kunstwerke ansehen und dann darüber urteilen. Die Frage nach der Lebensführung ist eine moralische Komponente, die nicht unbedingt in den Kunstwerken drinsteht.
Meinen Sie mit Lebensführung politische Anpassung oder Komplizenschaft?
Ja, die Lebensführung bezog sich auf die politische Existenz der Künstler.
Neben den Selbstbildnissen haben Sie auch den Atelierbildern einen besonderen Schwerpunkt eingeräumt. Diese gewähren ja einen ganz intimen Blick in das Innenleben des Künstlers. Ganz berühmt: "Das graue Fenster" von Wolfgang Mattheuer, das Sie auch zeigen.
Im Atelier bringt der Künstler das auf die Leinwand, was ihn beschäftigt. Wir haben ein Atelierbild von Bernhard Heisig, in dem alle Gestalten, die in seinen Bildern vorkommen, um ihn herumschweben. Als Selbstporträt ist er in der Mitte. Man sieht ein Gewimmel von Figuren und Motiven. Bei Mattheuers Atelierbild "Das graue Fenster" sieht man auf die Stadt, und vor dem Fenster reitet ein Mann auf einer Taube. Ein völlig surreales Motiv. Das zeigt, wie bei Mattheuer Wirklichkeit und Vorstellungen miteinander zusammenkommen.
Fortführung des Figürlichen als Beitrag für Kunstgeschichte
Wenn Sie die Ausstellung Revue passieren lassen: Wo liegt für Sie der spezifische Beitrag der Künstler in der DDR für die Kunstgeschichte?
In der Kunst der DDR herrschte über Jahrzehnte die Vorstellung, realistisch und figürlich zu malen - im Unterschied zur Hinwendung zum Ungegenständlichen, zum Abstrakten im Westen Europas und in den USA. In der Fortführung des Figürlichen hat die Kunst der DDR einen Beitrag geleistet, den es in anderen Ländern nicht gibt.
Zu Beginn des Interviews haben Sie gesagt, dass die Kunst in der DDR von den Vorgängerausstellungen oft sehr ideologisch gesehen wurde. Aber wie haben sich die Künstler in der DDR selbst gesehen? Und wie ist das bei den noch lebenden Künstlern wie Trak Wendisch? Fürchten Sie, immer noch in die Schublade DDR-Kunst, Staatskunst gesteckt zu werden? Und vielleicht wollen Sie gar nicht so gerne in einer Ausstellung wie dieser vertreten sein?
Wir sprechen ja nicht von DDR-Künstlern, sondern von Künstlern in der DDR. In diesem Sinn ist es ein biographischer, auch ein werkbiographischer Abschnitt, den sie wertschätzen. Aber es ist ein großer Gesprächsbedarf bei den Künstlern. Auch wenn sie sich selbst nicht als DDR-Künstler sehen oder gesehen werden wollen, ist für viele dieser Abschnitt ihrer Werkbiographie ganz zentral.
Das Gespräch führte Gero Schließ.
Michael Philipp ist Kurator des neugegründeten Barberini Museums in Potsdam und hat die Ausstellung "Hinter der Maske. Künstler in der DDR" gemeinsam mit Valerie Hortolani kuratiert. Die Ausstellung, die 120 Werke zeigt, ist noch bis zum 4. Februar 2018 zu sehen.