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Politik

Kurdische Freiheitsträume

16. Oktober 2017

Die irakischen Kurden wollen ihre Unabhängigkeit auf allen Ebenen umsetzen. Dabei stoßen sie auf massiven Widerstand der Regierung in Bagdad. Die will eines verhindern: den Staatszerfall.

Irak Armee meldet Einnahme von Militärflughafen in Kirkuk | Tausende fliehen
Bild: Reuters/Stringer

Wenn die Kurden träumen, warum dann nicht die Sunniten? Der Irak ist nicht mehr in der Lage, der Vielfalt seiner Völker und Konfessionen ein gemeinsames Haus zu bieten, sind die Kurden überzeugt. Immer deutlicher zeigt sich nun, dass sie nicht die einzigen sind, die es so sehen. "Kurdistan ist gerade dabei, seinen eigenen Staat zu schaffen, und wir werden unsererseits eine sunnitische Region schaffen", erklärte Mouzahem al-Huwait, Sprecher der sunnitischen Stämme der Provinz Niniveh, Anfang Oktober im israelischen Fernsehen.

Am 25. September hatten die Kurden in einem Votum für ihre Unabhängigkeit gestimmt. Zwar erkennen führende Staaten wie die USA das Referendum nicht an. Dennoch hat sich für den Irak die Gefahr des Staatszerfalls noch einmal erhöht. Die Fliehkräfte wachsen. Zusammenzuhalten vermag sie der Staat nur noch unter Einsatz massiver militärischer Gewalt. Am vergangenen Wochenende eroberte die irakische Armee Teile der von den Kurden kontrollierten Region um Kirkuk, dazu einen Luftwaffenstützpunkt, eine Erdgasanlage und ein Kraftwerk, womöglich auch mehrere Ölfelder im Westen der Stadt.

Bagdad: "Kriegserklärung" der irakischen Kurden

Auch verbal hat die Zentralregierung den Ton verschärft. Sie beschuldigte die kurdische Regierung, auch Kämpfer der verbotenen, hauptsächlich in der Türkei aktiven Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) als Kämpfer engagiert zu haben. Das wertet die Regierung in Bagdad als "Kriegserklärung". "Die Zentralregierung und die regulären militärischen Kräfte werden ihrer Pflicht nachkommen, das gesamte irakische Volk einschließlich der Kurden sowie die irakische Souveränität und Einheit zu verteidigen", erklärte sie.

Machtdemonstration: Die irakische Armee beim Vormarsch auf KirkukBild: Reuters/Stringer

Den Vorwurf, PKK-Kämpfer ins Land geholt zu haben, wies ein kurdischer Regierungssprecher umgehend zurück. Dass diese Äußerung die Regierung in Bagdad beschwichtigen wird, ist zweifelhaft. Bereits in der vergangenen Woche hatten die Präsidenten des Irak, des Iran und der Türkei ein Treffen für die nahe Zukunft vereinbart, auf dem sie die Unabhängigkeitsbestrebungen der Kurden erörtern wollen. In allen drei Ländern leben Kurden. Außerdem siedeln sie in Syrien, dessen Präsident aber nicht zu dem Treffen geladen ist.

Der lange Weg zur Unabhängigkeit

Die autonome Region Kurdistan, wie sie selbst sich nennt, nutzte die Niederlage Saddam Husseins im zweiten Golfkrieg 1990/91, um im Schutz der von den von den USA geführten Anti-Saddam-Allianz ihre De-facto-Unabhängigkeit zu erklären und in den folgenden Jahren konsequent auszubauen. Im Jahr 2003 stellte sie sich während der Intervention der USA auf die Seite der Amerikaner. Das Engagement führte nach dem Sturz Saddam Husseins zur Anerkennung der Autonomen Provinz durch den Irak - faktisch bedeutete dies eine indirekte verfassungsrechtliche Sicherung der von der Region Kurdistan erworbenen Autonomierechte.

Im Jahr 2005 wurde Massud Barsani zum Präsidenten der Region gewählt. Als die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) seit 2014 immer weitere Teile des Irak eroberte, wurden die Peschmerga, die militärischen Einheiten der Autonomen Region, zu einem wichtigen Faktor im Kampf gegen die Dschihadisten. Die Kurden nahmen zudem zahlreiche arabische Flüchtlinge auf, die sich vor dem IS im Norden des Landes in Sicherheit brachten.

In den Wirren des Krieges

Doch der Kampf gegen den IS erfolgt nicht allein aus selbstlosen Motiven: Die kurdische Regionalregierung beansprucht Teile der durch ihre Kämpfer vom IS befreiten Region als Teil des kurdischen Territoriums - so etwa das Sindschar-Gebirge sowie die Stadt Kirkuk.

Anspruch auf dieses Gebiet erhebt aber auch die irakische Zentralregierung. Sie weist darauf hin, dass die von den irakischen  Kurden beanspruchten Gebiete nicht nur von irakischen, sondern auch von syrischen Kurdenverbänden erobert wurden, so etwa den "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) oder der PKK. In Syrien werden die YPG-Verbände von den USA militärisch unterstützt.

Auf der Flucht: Zahlreiche Zivilisten verlassen KirkukBild: picture alliance/abaca/Y. Keles

Die irakische Offensive gegen die autonome Provinz Kurdistan hat die dortigen, miteinander konkurrierenden Parteien zumindest in Teilen näher zusammenrücken lassen. Bereits 2015 hatte Regionalpräsident Massud Barsani, zugleich Anführer der demokratischen Partei Kurdistans (PDK), nach zwei Amtszeiten eine außerordentliche Verlängerung seiner Amtszeit angestrebt. Die lief bereits im Sommer 2015 aus. Doch Barsani blieb. Allerdings ist seine politische Legitimität seitdem geschwächt. Die größte Oppositionspartei, die Patriotische Union Kurdistans (PUK), hält zwar grundsätzlich an einer Absetzung des Präsidenten fest, hält sich mit entsprechenden Forderungen derzeit aber zurück.

Hoffen auf Diplomatie

Der Autonomen Region Kurdistan, aber auch dem Irak insgesamt dürften unruhige Zeiten bevorstehen. "Die Türkei und der Iran sind stärker als der derzeit entstehende kurdische Staat", heißt es in einer Analyse der US-amerikanischen Denkfabrik Stratfor. "Die Araber des Irak werden nicht gewillt sein, den Kurden Kirkuk zu überlassen. Auch amerikanische Militärmacht wird dieses Problem nicht lösen. Das vermag allein eine zähe Diplomatie." Danach sieht es derzeit aber nicht aus. Angesichts der heranrückenden irakischen Armee haben tausende Zivilisten aus Kirkuk die Stadt verlassen. Noch haben die Militärs das Wort. Die Stunde der Diplomaten ist noch nicht gekommen.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika
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