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Kurdische Fußballkultur im Ausnahmezustand

Ronny Blaschke
4. März 2019

Der Verein Amedspor ist ein Symbol für die kurdische Identität. Doch seine Fans werden von Gegnern drangsaliert. Nun erhielten sie bei einer Deutschland-Tour viel Solidarität.

Fußball Begegnung zwischen Manisapor - Amedspor Fans
Fans von Amedspor beim Spiel gegen Manisapor im Februar 2019Bild: Xebat Akbulut

Rızgar ist müde, er stützt sich mit beiden Armen auf den Tisch, für einen Moment schließt er seine Augen. Vor ihm sitzen rund hundert Gäste im VIP-Raum des SV Babelsberg in Potsdam. Sie sehen einen Film mit martialischen Szenen, es ist der Alltag von Rızgar und seinen Freunden, den Fans von Amedspor. Der Verein ist in der Türkei zu einem wichtigen Symbol für die kurdische Identität geworden. Doch der Preis dafür ist hoch – und gefährlich.

Aus den Lautsprechern dröhnen Hassgesänge gegen Amedspor. Gegnerische Fans bezeichnen ihn als Klub der „Terroristen" und „Vaterlandsverräter". Sie drohen mit Gewalt, werfen Flaschen auf den Rasen, schwenken demonstrativ die türkische Fahne. Und die Polizei schaut zu oder beteiligt sich an der Schikane. Dieser Hass werde staatlich gefördert, sagt Rızgar, ein prägender Kopf der Gruppe Direniş, auf Deutsch: Widerstand: "Die Regierung möchte die kurdische Kultur unterdrücken. Parteien, Medien, auch unsere Sprache: alles wird kriminalisiert. Doch Amedspor ist eine Bastion gegen den Rassismus."

In der Türkei hat wohl keine Volksgruppe mit so vielen Problemen zu kämpfen wie die Kurden. Die Sprache und Kultur der 15 Millionen Kurden wird zurückgedrängt. Immer wieder werden sie von Staatsorganen mit der Untergrundorganisation PKK gleichgesetzt. Der Hass entlädt sich auch im Fußball. Doch einige Fans wehren sich: Vor kurzem vernetzte sich Direniş auf einer Tour durch Deutschland mit Aktivisten und Menschenrechtlern. Mehr als 600 Gäste verfolgten die sechs Veranstaltungen.

Der Vorstand von Amedspor wurde verprügelt

Der Drittligist Amedspor ist im Südosten der Türkei verwurzelt, in Diyarbakır, der heimlichen Hauptstadt Kurdistans. So bezeichnen die Kurden ihre Gebiete, die sich auf vier Länder erstrecken, neben der Türkei auch auf Syrien, Iran und Irak. Amedspor trägt seinen kurdischen Namen seit 2015. Damals befand sich der Jahrzehnte alte Konflikt in einer Entspannungsphase. Recep Tayyip Erdoğan und dir kurdische Freiheitsbewegung gingen aufeinander zu. Diyarbakır wurde von der linksgerichteten Partei HDP verwaltet. So erhielt Amedspor eine bessere Förderung – und seine Fans zeigten selbstbewusst die kurdischen Farben Rot, Grün, Gelb. Selbst der Name Direniş wurde ihrer Gruppe vom Fußballverband gestattet, zuvor waren zwanzig Anfragen abgelehnt worden.

Doch die Lage eskalierte, spätestens mit dem Putschversuch gegen Erdoğan 2016 und dem folgenden Ausnahmezustand. In etlichen Städten wie Diyarbakır wurden hunderte Bürgermeister und Abgeordnete verhaftet und durch regimetreue Statthalter ersetzt. Das Alltagsleben veränderte sich, auch im Fußball, erzählt Rızgar. Die neue Regionalregierung ließ Amedspor fallen. Die Förderung wurde eingefroren und Sponsoren eingeschüchtert. Mitarbeiter des Klubs verloren ihre Arbeitsplätze.

Bei Auswärtsspielen wurden der Mannschaft Hotelzimmer verweigert. Fans dürfen keine Zaunfahnen mehr auf Kurdisch zeigen. Einige Stadionsprecher weigern sich, den kurdischen Vereinsnamen auszusprechen. "Inzwischen werden unsere Spiele von 1500 Polizisten begleitet", sagt Rızgar. "Bei Checkpoints werden immer wieder unsere Fahnen beschlagnahmt. Einmal wurde unser Vereinsvorstand auf der VIP-Tribüne verprügelt. Wir werden wie ein feindlich gesinntes Land behandelt."

 

Antiterrorpolizei untersuchte Vereinsräume

Die Lage spitzte sich 2016 zu, als die türkische Armee mit Panzern und Scharfschützen gegen die PKK vorrückte. Bei Gefechten in kurdischen Städten wie Cizre, Silopi und Diyarbakir starben hunderte Menschen, darunter viele Zivilisten. In jener Zeit machte Amedspor sportlich auf sich aufmerksam, schaffte es als erster Drittligist ins Viertelfinale des türkischen Pokals. Damals widmete der aus Deutschland stammende Amedspor-Spieler Deniz Naki diesen Erfolg kurdischen Kriegsopfern. Wegen "ideologischer Propaganda" wurde er zwölf Spiele gesperrt, später dann lebenslang. Naki musste den Klub und die Türkei verlassen, um einer Haftstrafe zu entgehen.

Ex-Fußballer Deniz Naki protestiert vor der UN in Genf gegen die türkische Militäroffensive auf Afrin 2018 Bild: picture-alliance/dpa/C. Oelrich

Der Staat verschärfte die Repression gegen Kurden: mit Sperrgebieten, Ausgangssperren, willkürlichen Festnahmen. Direniş wollte in Bannern und Gesängen betonen, dass nicht jeder Kurde ein Terrorist sei. Einer ihrer Slogans damals: "Lasst die Kinder nicht sterben, sondern ins Stadion gehen". Danach seien etliche Fans verhaftet worden, erzählt Vedat, Mitglied von Direniş: "Die Antiterrorpolizei untersuchte unsere Vereinsräume. Und der Besuch von Auswärtsspielen wird uns seitdem verweigert."

Fans sammelten Spenden für Frauenabteilung

Während der Gefechte wurden Teile der Altstadt von Diyarbakır zerstört. Zehntausende Menschen flohen aus der Region, auch nach Deutschland, darunter Vedat. Doch selbst dort müssen sie aufpassen. Anfang 2018 wurde auf das fahrende Auto von Deniz Naki geschossen, immer wieder erhält er Morddrohungen. Aber gerade in Deutschland erfahren kurdische Spieler und Fans auch viel Solidarität, durch Spenden, Stadiontransparente, Petitionen im Internet.

Die Vorbereitungen für die Deutschland-Tour von Direniş haben ein Jahr gedauert. Die Gruppe traf auch Politiker, Journalisten und Wissenschaftler. Rızgar, Vedat und seine Freunde haben neue Kraft geschöpft. Bei ihren Veranstaltungen in Bremen, Dortmund, Leipzig, Nürnberg, Potsdam und Hamburg sammelten sie Geld für ihre Frauenabteilung und für soziale Projekte. "Wir haben überdurchschnittlich viele weiblichen Mitglieder", berichtet Vedat. "Bei Amedspor sind die Grenzen zwischen Verein, Teams und Fans fließend. Wir verstehen uns als Volksverein."

Es ist ein Klub, der sich nach Normalität sehnt, ohne Gefahren.