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Literatur

Kurt Tucholsky: "Rheinsberg"

Aygül Cizmecioglu spe
6. Oktober 2018

Zwei verknallte Großstädter machen sich ohne Trauschein auf in die Sommerfrische. Für die damalige Zeit ein Affront. Die Geschichte einer großen Liebe, die ganz leichtfüßig daherkommt.

Kurt Tucholsky / Portraetaufnahme um 1908
Bild: picture-alliance/akg-images

Niemand hatte von Kurt Tucholsky so ein Buch erwartet, absolut niemand. Der junge Journalist mit den messerscharfen Worten, die ihm schon mal Morddrohungen einbrachten, veröffentlichte 1912 eine zarte Liebesgeschichte. Ein schmales Bändchen, durchzogen von sommerlicher Leichtigkeit und verspielt-ironischem Unterton. In nur zwei Monaten hatte er das Buch runter geschrieben, nachdem er selbst mit seiner Freundin ein amouröses Wochenende auf dem Lande verbracht hatte. 

Sommerfrische für Verliebte

Im Buch heißt sein Alter Ego Wolfgang. Es ist ein heißer Sommer. Zusammen mit Claire entflieht er dem Großstadttrubel mit der Dampfeisenbahn, ab ins gemütliche Rheinsberg. Die folgenden drei Tage machen sie all das, was Verliebte so machen – sie schmachten sich an, vergeuden auf das Schönste die Stunden in der Natur, necken sich und können nicht voneinander lassen. 

"Sie waren im Sonnenglast hingestreckt, auf einer Wiese, über der die Luft in der Mittagswärme zittrig schwebte. Schweigen…"

"Rheinsberg" von Kurt Tucholsky

02:04

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Die Reise eines unverheirateten Paares gilt zu der Zeit als unziemlich. Also verwenden die Verliebten den Decknamen "Ehepaar Gambetta". Sie setzen sich mit einem Lächeln über die Moralvorstellungen der Zeit hinweg. Das Buch war Tucholskys Antwort auf die Prüderie des wilhelminischen Bürgertums. Unzählige Verlage lehnten das Manuskript ab. Am Ende wurde sein Buch dennoch ein Riesenerfolg. 

Flirrende Leichtigkeit

"Ein Bilderbuch für Verliebte" nannte Tucholsky seine Geschichte. In der Tat – es gibt keinen klassischen Spannungsbogen. Vielmehr reihen sich pittoreske Momentaufnahmen lose aneinander, zusammengehalten durch flapsige Sprüche und ironische Kommentare. Wölfchen erklärt seiner Angebeteten die Welt, und Clärchen macht sich mit ihrem losen Mundwerk über ihn lustig. Alles in diesem Buch ist federleicht – die Liebe wie die Natur. 

Noch heute pilgern Frischverliebte zum Schloss Rheinsberg in Brandenburg. Dort befindet sich auch das Kurt-Tucholsky-Literaturmuseum.Bild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

"Der Horizont flimmerte blendend weiß. War es eine Schönheit, diese Landschaft? Nein - da standen Baumgruppen durch nichts ausgezeichnet, das Land wurde wellig in der Ferne, versteckte ein Wäldchen und zeigte ein anderes - man freute sich, dass im Grunde alles da war."

Kurt Tucholsky hat mit "Rheinsberg" eine der schönsten Liebesgeschichten der deutschen Literatur geschrieben. Ihre flirrende Leichtigkeit fasziniert auch nach über 100 Jahren. Noch heute sieht man in Rheinsberg verliebte Paare über Kieswege schlendern – mit einer Tucholsky-Ausgabe unter dem Arm. 


Kurt Tucholsky: Rheinsberg (1912), dtv / Insel / Diogenes Verlag

Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. Als Satiriker, Lyriker, Romanautor, Journalist und Mitherausgeber der Wochenzeitschrift "Weltbühne" war er einer der bedeutendsten Intellektuellen der Weimarer Republik. Schon ab 1924 lebte er die meiste Zeit im Ausland. 1933 verbrannten die Nationalsozialisten die Bücher des linken Zeitkritikers und erkannten Tucholsky die deutsche Staatsangehörigkeit ab.Im Dezember 1935 nahm er in seinem Haus in Schweden eine Überdosis an Tabletten, durch die er im Göteburger Krankenhaus starb. 

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