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Kurt Weill Fest: Offen für Flüchtlinge

Gaby Reucher27. Februar 2016

Das Kurt Weill Fest in Dessau greift das Thema Flucht und Vertreibung auf - und das nicht nur, weil der Komponist Kurt Weill einst vor den Nazis floh. Auch die aktuelle Flüchtlingskrise beschäftigt das Festival.

Kurt Weill Fest Dessau 2016
Bild: DW/G. Reucher

Es geht um Rückbesinnung und Aufbruch - auch um den unfreiwilligen Aufbruch: die Flucht. Im Mittelpunkt stehen die beiden Komponisten Kurt Weill und Ernst Krenek. Beide flohen in den 30er Jahren vor den Nationalsozialisten in die USA und machten dort Karriere. "Hinter den Kulissen spielt immer das Naziregime eine Rolle", sagt Michael Kaufmann, Intendant der Festspiele in Dessau. "Wenn man heute die Konflikte sieht, wie viele Menschen ihr Land verlassen müssen, um ihr Leben zu retten, dann ist das eine ähnliche Geschichte wie bei Weill und Krenek."

Kurt Weill, der 1900 in Dessau geboren wurde, ist für Kaufmann nicht nur ein Komponist, sondern vor allen Dingen ein Zeitgenosse. Ein Beispiel für eine gelungene Integration. Das versucht die Kurt-Weill-Gesellschaft, die für das Festival verantwortlich ist, auch jungen Leuten zu vermitteln, in Schulen und in gesonderten Programmreihen. "In Paris hat sich Kurt Weill sofort eingefügt, und in Amerika ist er Amerikaner geworden", erläutert Thomas Markworth, Präsident der Kurt-Weill-Gesellschaft. "Wir wollen auch vermitteln, dass man nicht einfach ignorieren kann, was ein Krieg bedeutet, und dass es gefährlich ist, wenn einseitige Parolen rechter Gruppierungen Überhand gewinnen."

Kurt Weill floh vor den Nazis in die USABild: picture-alliance/Mary Evans Picture Library

Ein Flüchtling, der sich integrieren konnte

In Deutschland wurde Weill vor allen Dingen in den 20er Jahren berühmt - mit der Dreigroschenoper, die er zusammen mit Bertold Brecht schrieb. Auch beim Festival 2016 wird sie wieder aufgeführt. Es geht um Arbeiter und Ausbeutung, es geht um Menschen am Rande der Gesellschaft. Das Pendant des Österreichers Ernst Krenek ist die Oper "Jonny spielt auf" - auch dieses Werk traf den Nerv der Zeit und war ein Kassenschlager im Europa der 20er Jahre. Die Jazzoper war als unterhaltsames Stück angelegt: Ernst Krenek stellte sich schon damals die Frage, in welche Richtung die europäische Kultur steuern sollte - ob sie nicht zu elitär sei und damit zu lebensfern. Den Nationalsozialisten gefiel weder die politische Haltung des Juden Kurt Weill noch die "entartete Musik" seines Zeitgenossen Ernst Krenek.

Der Klavierauszug von Kreneks "Jonny spielt auf"Bild: Kurt Weill Fest Dessau GmbH

Zeichen setzen gegen Rechte

Die Nazis spielen in der Kleinstadt Dessau-Roßlau in Sachsen Anhalt leider auch heute noch eine Rolle. Jedes Jahr gedenken sie um den 7. März herum mit zahlreichen Aufmärschen der Bombardierung von Dessau am Ende des Zweiten Weltkriegs. "Es ist geradezu unmöglich, da keine Position zu beziehen. Mit Kurt Weill als unserem Namensgeber ist es doppelt und dreifach klar, dass wir uns beteiligen an Menschenketten und mit musikalischen Beiträgen", sagt Intendant Michael Kaufmann. An einer jüdischen Gedenkstätte bauen Mitwirkende des Festivals eine kleine Bühne auf und singen Lieder des Widerstands gegen das Naziregime. Künstler und Komponisten lesen Gedichte und sprechen sich gegen Verfolgung und Ausgrenzung aus.

Das Kurt Weil Fest in Dessau ist noch relativ jung. Es entstand erst nach der Wiedervereinigung 1992. Die Idee kam aus den USA, wo es zu der Zeit bereits eine Kurt Weill Stiftung für den großen Broadway-Komponisten gab. In Deutschland selbst war Kurt Weill nicht nur bei den Nazis in Ungnade gefallen. Auch im geteilten Deutschland nach dem zweiten Weltkrieg wurde er nicht in der Weise geschätzt wie in den Vereinigten Staaten. "Die großen modernen Komponisten im Westen mochten ihn nicht, weil er mit unterhaltender Musik am Broadway Erfolg hatte - und auch das Regime im Osten störte wahrscheinlich sein kommerzieller Erfolg in den USA", meint Michael Kaufmann.

Festivalintendant Michael Kaufmann setzt nationalsozialistischen Parolen Musik entgegenBild: Kurt Weill Gesellschaft

Der vergessene Sohn der Stadt

Kurt Weill und Ernst Krenek durchlebten jedoch verschiedene Schaffensphasen. Darauf spielt das Stichwort "Rückbesinnung" an. Beide näherten sich der atonalen Musik eines Arnold Schönberg ebenso wie dem Jazz und der Unterhaltungsmusik. Daneben schrieben sie auch klassisch anmutende Sinfonien und Violinkonzerte für große Orchester.

Ernst Kovacic eröffnete das Kurt Weill FestBild: Kurt Weill Fest Dessau GmbH/L. Rajchert

Beim Eröffnungskonzert in Dessau war etwa Kurt Weills "Berliner Sinfonie" und das Violinkonzert von Ernst Krenek zu hören, mit einem überragenden Sologeiger Ernst Kovacic und der Deutschen Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz unter der französischen Dirigentin Ariane Matiakh. Weil es sich mit Komponisten befasst, die in Vergessenheit geraten sind, wurde das Orchester erst 2015 mit dem Echo Klassik als "Orchester des Jahres" ausgezeichnet.

Freikarten für Flüchtlinge

Für die Aufbruchsstimmung in der Musik der 20er Jahre stehen diverse Jazz- und Chansonabende auf dem Programm, zudem Opern und Lieder von Weill und Krenek. Neue Musik spielt das "Ensemble Modern" - und auch Punk-Ikone Nina Hagen, die in Bertold Brecht einen ihrer Lehrmeister sieht, ist mit einem Liederabend in Dessau dabei.

Ein besonderes Ereignis ist die "Zaubernacht", eine Kinderpantomime mit Musik von Kurt Weill, aufgeführt vom Ballett des Anhaltinischen Theaters Dessau. "Zu dieser Zaubernacht und zum Abschlusskonzert haben wir auch Flüchtlinge eingeladen", erklärt Pressesprecher Robert Unger: "Sie kommen umsonst in die Konzerte". Etliche hätten ihre Karten bereits abgeholt. Auch hier will das Kurt Weill Fest einen Beitrag zur Integration leisten.

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