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Kurz: "Für Deutschland habe ich wenig Hoffnung"

Andreas Noll28. Dezember 2013

Rund 8000 IT-Experten diskutierten in Hamburg über die Massenüberwachung durch Geheimdienste. Chaos-Computer-Club-Sprecherin Constanze Kurz über die Ziele des digitalen Widerstands.

Porträt von Constanze Kurz vom Chaos Computer Club (Foto: Schindler/DW)
Bild: picture alliance/dpa

Deutsche Welle: Frau Kurz, "Der Kampf über die Freiheit des Internets wird vor allem auf dem Schlachtfeld der Technologie geführt werden", sagte der Snowden-Vertraute Glenn Greenwald zur Eröffnung des Hacker-Kongresses. Müssen wir das Internet neu erfinden?

Größtes Hacker-Treffen der Republik: Beim CCC in Hamburg geht es um digitalen WiderstandBild: picture-alliance/dpa

Constanze Kurz: Ich glaube, Glenn Greenwald wollte vor allem darauf hinweisen, wie wichtig Technologie wird. Er hat betont, wie bedeutend Verschlüsselung zum Beispiel in seinem eigenen Leben als Berufsgeheimnisträger geworden ist. Und er wollte auch noch darauf hinweisen, dass Menschen, die sich mit Technik auskennen und die sie bauen und programmieren, eine besondere Verantwortung haben.

Welche Verantwortung meinen Sie?

Man muss den Blick von unserer westlichen Welt etwas weiten. Hier kann man auch Ärger mit den Behörden haben, aber es ist bei uns doch eher so, dass wir unsere Privatsphäre schützen wollen und nicht mit der Technologie unser Leben schützen müssen. Die Techniken zur Verschlüsselung und Anonymisierung sind in anderen Ländern deutlich wichtiger: für NGOs, Menschenrechtsgruppen oder Oppositionelle.

Welche Rolle können die Hacker beim Kampf um die Freiheit des Netzes spielen?

Da ist zuerst natürlich die technische Expertise, die Hacker einbringen. Außerdem gibt es in der Hacker-Community viele Projekte, um die Verschlüsselungstechnik zu betreiben, die Infrastruktur bereitzustellen - vor allem, die kryptographischen Standards in Programme einzubauen, die Computernutzer dann einfach bedienen können.

Was muss sich nach der NSA-Affäre technologisch am Netz ändern, damit die Freiheit zurückerobert werden kann?

Es ist grundsätzlich sehr sinnvoll, keine zu starken zentralen Infrastrukturen zu schaffen. Zentrale Infrastruktur heißt auch, dass es Stellen gibt, wo Spione mitlauschen können. Man muss langfristig für die Dezentralisierung werben.

Ist das ein Plädoyer für die Regionalisierung der Netze? Die Deutsche Telekom hat in diesem Jahr die Idee eines nationalen Email-Netzes lanciert. Dass also Mails zwischen Usern in Deutschland nicht mehr über ausländische Server geleitet werden.

Nein, das ist es nicht. Es ist natürlich keine schlechte Idee zu fragen, warum eine innerdeutsche Email über die USA geleitet wird. Aber mir schien die Debatte zu kurz gegriffen. Denn die Wahrheit ist doch, dass sehr viele wichtige IT-Dienstleistungen von amerikanischen Unternehmen stammen. Zu einer Regionalisierung der Netze würde ich nicht raten, weil es der Natur der Netze widerspricht. Und mein Vertrauen, dass alles gut wird, wenn wir die Daten nur in Europa halten, ist gleich null. Die Geheimdienste in Europa kooperieren ja auch sehr stark mit der NSA.

NSA-Enthüller Edward Snowden: Vorbild für viele HackerBild: picture alliance/AP Photo

Was meinen Sie dann mit der Dezentralisierung?

Es macht es einfacher für Spione und Lauscher, wenn die Infrastruktur häufig über zentrale Knoten läuft. Aber die Antworten darauf sind nicht einfach. Ich denke, die Strategien müssten langfristiger sein. Und zwar muss aus meiner Sicht eine andere Förderpraxis in Europa etabliert werden, so dass man langfristig zu einer stärkeren Unabhängigkeit kommt von den amerikanischen Anbietern.

Ein europäisches Facebook oder Google?

Nein, das eben nicht. Ich meine einen anderen Ansatz der Technikförderung. Dass man langfristig schon gegen diese Wissensmonopole wie Google Alternativen aufbaut. Die müssen dann anders funktionieren: zum Beispiel aus Prinzip offene Schnittstellen haben. Es wird aber nicht so einfach sein, dass man sagt: Machen wir halt ein europäisches Google! Denn warum ist Google bei den Nutzern so erfolgreich? Weil es eine tolle, nützliche und einladende Technologie bietet.

Welche Rolle spielt langfristig das bewusste Surfen - mit der "Schere im Kopf"?

Ich würde das nicht "Schere im Kopf" nennen, weil es sehr negativ klingt. Aber das Bewusstsein, dass verschiedene Geheimdienste mitlauschen und die Daten kommerziell ausgewertet werden, wird der Nutzer in Zukunft nicht mehr ignorieren können. Es wird aber ein Prozess sein - man wird nicht plötzlich alle Accounts amerikanischer Anbieter wegwerfen. Aber wenn sich die Nutzer etwas Neues suchen, dann werden sie dieses Bewusstsein in ihre Entscheidung mit einfließen lassen. Das gleiche gilt für Verschlüsselung: Seit Juni hat sich der Zahl der Email-Verschlüssungskeys vervielfacht und das Interesse an Krypto-Partys ist explodiert.

Das Feindbild auf dem Kongress: die Datensammler von der NSABild: picture-alliance/dpa

Bessere Technologie, vorsichtigeres Surfen - blenden Sie die Politik hier konkret aus, weil man ihr sowieso nicht trauen kann? Die Geheimdienste könnten ja auch die Massenüberwachung beenden…

In Deutschland habe ich bei der übergroßen Koalition wenig Hoffnung. Die haben ja noch nicht einmal eine Idee, wie sie gegen das geheimdienstliche Schnüffeln im Regierungsviertel vorgehen sollen. In Europa sieht das anders aus. Das EU-Parlament - übrigens auch selbst betroffen von Lauschangriffen - hat versucht, zur Aufklärung beizutragen. Ich bin nicht pessimistisch. Veränderungen können auch durch eine Politik von unten gelingen: dass sich in den nächsten Jahren immer mehr Leute entschließen, ihr Verhalten zu ändern und diese Überwachung mitdenken - und sich die Kauf- und Nutzungsentscheidung von Software langfristig ändert.

Constanze Kurz ist ehrenamtliche Sprecherin des Chaos Computer Clubs und arbeitet als wissenschaftliche Projektleiterin an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin. Als technische Sachverständige war Kurz Mitglied der Enquête-Kommission "Internet und digitale Gesellschaft" des Deutschen Bundestags.

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