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Politik

Kurz hält sich alle Optionen offen

30. September 2019

Nach dem Wahlsieg hat der Chef der Konservativen zwei realistische Optionen für eine Koalition. Schwenkt der flexible Sebastian Kurz vielleicht nach links? Oder bleibt er auf der rechten Spur? Bernd Riegert aus Wien.

Österreich Wahlen TV Debatte Kogler Kurz
Beide haben gesiegt, können sie gemeinsam regieren? Grünen-Chef Kogler (li.), ÖVP-Chef KurzBild: Reuters/L. Foeger

Nach der Wahl ist vor der Regierungsbildung. Am Tag nach dem Wahlsieg der konservativen ÖVP (38,4 Prozent) und der Grünen (12,4 Prozent - jeweils ohne Briefwahlstimmen) beraten in Wien die Parteigremien. Bundespräsident Alexander van der Bellen verschickt Einladungen an die Parteivorsitzenden. Bis Ende der Woche will er mit allen sprechen und dann dem offensichtlichen Wahlsieger, Ex-Kanzler Sebastian Kurz, den Auftrag zur Regierungsbildung förmlich erteilen. Es kann lange dauern, bis eine neue Koalitionsregierung steht, vielleicht bis Weihnachten, vermutet die amtierende Übergangskanzlerin Brigitte Bierlein.

Eine lange Verhandlungsphase ist aber halb so wild, meint die Politikwissenschaftlerin Sieglinde Rosenberger im Gespräch mit der DW, denn die Übergangsregierung sei stabil und arbeite effizient. Es eilt also nicht mit der Regierungsbildung. Zwei Optionen hält Sieglinde Rosenberger, die an der Universität Wien lehrt, für möglich: "Es steht 50 zu 50, also entweder ÖVP und FPÖ oder ÖVP und Grüne. Das ist derzeit wirklich nicht zu sagen. Für eine Koalition mit den Freiheitlichen spricht, dass damit die FPÖ stärker domestiziert werden kann, auch in die Zukunft hinein. Das Risiko ist, dass sich die Partei möglicherweise demnächst spalten wird, insbesondere wenn es eine Regierungsbeteiligung gibt."

Übergangskanzlerin Bierlein (li.) unterschrieb bei Präsident Van der Bellen nur einen "Zeitvertrag" und möchte im Dezember abtretenBild: Reuters/L. Foeger

Grüne fordern Wandel von Kurz

Mit den Grünen werde es viel schwerer, ein gemeinsames Regierungsprogramm zu finden, meint Sieglinde Rosenberger. Der grüne Parteichef Werner Kogler hält sich sehr bedeckt. Erst einmal müsse seine Partei, die zwei Jahre nicht im Parlament vertreten war, sich selbst organisieren. Die inhaltlichen Differenzen zur ÖVP sind groß. Kogler hält den erst 33 Jahre alten Sebastian Kurz für einen "Kanzler-Darsteller" ohne wirkliche Überzeugungen. "Es muss sich etwas radikal ändern gegenüber dem türkis-blauen Kurs sowohl im Klima- und Umweltschutz als auch bei der Korruptionsbekämpfung und der Armutsbekämpfung. Wir brauchen ein Zeichen der Umkehr", sagte Werner Kogler.

Für den alten und wahrscheinlich auch neuen Bundeskanzler Kurz ist vor allem wichtig, dass er wieder sein Amt zurückbekommt. Die Zeitung "Der Standard" schrieb heute ironisch, die "Leiden des Heiligen Sebastian sind vorbei". Aus dem Amt wurde er nach einem Skandal des ehemaligen Koalitionspartners FPÖ im Mai herauskatapultiert, und zwar durch ein Misstrauensvotum, welches es so in der österreichischen Geschichte noch nicht gegeben hatte. "Das waren ganz schlimme Momente, die ich nicht noch einmal erleben will", sinnierte Kurz noch am Wahlabend. "Wir sind im Mai als Bundesregierung abgewählt worden. Es waren vier schwere Monate. Heute hat uns die Bevölkerung zurückgewählt. Vielen, vielen Dank!", strahlte Sebastian Kurz vor seinen Anhängern. Jetzt will er mit allen Parteien sprechen. Eine Präferenz lässt er bislang nicht erkennen.

Politik-Professorin Rosenberger: Kein fundamentaler Wandel in ÖsterreichBild: DW/B. Riegert

"Kurz ist wandelbar"

Das sei auch nicht verwunderlich, meint Politikexpertin Sieglinde Rosenberger von der Universität Wien. "Kurz hat in seiner kurzen politischen Karriere gezeigt, dass er sehr wandelbar und auch thematisch sehr wandlungsfähig ist." Mit anderen Worten: Der alte und neue Bundeskanzler kann sich blitzschnell anpassen und Themen aufgreifen. 2017 gewann er mit einer restriktiven Flüchtlingspolitik und umarmte die rechte FPÖ. Jetzt könnte er sich auf den Klimaschutz stürzen und die Grünen umgarnen.

Grundsätzlich habe die vorgezogene Parlamentswahl die politische Landschaft Österreichs nicht verändert, meint Politologin Sieglinde Rosenberger. Verschiebungen gab es nur innerhalb der großen politischen Lager. Von der FPÖ zur ÖVP auf der rechten Seite. Und von den Sozialdemokraten zu den Grünen auf der linken Seite. "Die politische Konfiguration ist gleich geblieben - und das seit den 1990er Jahren. Die rechten Parteien haben eine deutliche Mehrheit von 55 Prozent gegenüber den Mitte-Links-Parteien. Daran hat sich nichts geändert."

Muss er die Partei verlassen? Die Skandale von Ex-Chef Strache kosteten die FPÖ einige ProzentpunkteBild: Reuters/Facebook

Die FPÖ verliert, ist aber nicht geschlagen

Die rechtspopulistische FPÖ will wohl in die Opposition, deutete ihr Spitzenkandidat Norbert Hofer an. Die Parteigranden zeigten sich am Montagmorgen noch ziemlich geschockt über ihre Verluste. Die Partei sank von 26 Punkten auf knapp 17 ab. "Dieses Vertrauen holen wir uns zurück. Wir wollen noch besser sein als es normal wäre in dieser Situation", meinte FPÖ-Generalsekretär Harald Vilimsky fast trotzig. Am Dienstag will die FPÖ entscheiden, ob sie ihren Ex-Vorsitzenden Heinz-Christian Strache und seine Skandale für die Wahlschlappe verantwortlich macht und Strache aus der Partei wirft. Grundsätzlich bleibt die FPÖ aber eine wichtige Kraft in Österreich, so Rosenberger: "Der Rechtspopulismus ist mittlerweile tief in der österreichischen politischen Kultur verankert. Er ist dort angekommen. Ich würde nicht davon sprechen, dass das eine tiefgreifende Niederlage der FPÖ ist."

Einige Zeitungskommentatoren in Österreich gehen davon aus, dass sich die FPÖ zunächst selbst neu organisiert und sich Heinz-Christian Strache sogar mit einer eigenen Partei abspaltet. Ähnliches hatte die Partei bereits 2002 erlebt und letztlich überlebt. Nach dieser Selbstreinigung wäre sie dann vielleicht im November für Koalitionsverhandlungen mit der ÖVP von Sebastian Kurz bereit.

Aufnahme der Balkanstaaten unumstritten

In der Außen- und Europapolitik wird Österreich mehr oder weniger Kurs halten, meint Rosenberger. Selbst die Grünen würden als mögliche Regierungspartei die Flüchtlings- und Migrationspolitik nur symbolisch beeinflussen, aber nicht wirklich ändern. Eine Mitgliedschaft der westlichen Balkanstaaten wird befürwortet, ein EU-Beitritt der Türkei wird abgelehnt, egal welche Farbkombination die Regierung stellen wird. "Insgesamt wird, wenn die Grünen dabei sein sollten, wieder eine stärkere pro-europäische Haltung herrschen. Was die Türkei betrifft, sehe ich keine Unterschiede zwischen den Grünen und der ÖVP. Also, keine volle Mitgliedschaft in der EU, aber das ist ja eh Konsens auf der europäischen Ebene. Was den Balkan angeht, da stehen Beitritte ja nicht unmittelbar an. Es mag Beitrittsverhandlungen geben, aber da sehe ich keine großen Probleme."

Am unwahrscheinlichsten ist im Moment eine Koalition mit den Sozialdemokraten, die mit 21,5 Prozent das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte eingefahren haben. Unklar ist, ob die Parteivorsitzende Pamela Rendi-Wagner die Sitzungen ihrer Parteigremien politisch überleben wird. Eine Zusammenarbeit mit der ÖVP hatte sie abgelehnt. Und auch Sebastian Kurz kann mit der SPÖ von Rendi-Wagner nur wenig anfangen.

DW-Umfrage unter Österreichs Wählern

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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