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Politik

Kurz macht kurzen Prozess mit Europa

Barbara Wesel
3. Juli 2018

Europa schützen, aber wovor? Zu Beginn der EU-Ratspräsidentschaft skizziert Österreichs Kanzler Sebastian Kurz sein politisches Programm. Die wichtigsten Themen: Europas Asylpolitik und Sicherung der EU-Außengrenzen.

Sebastian Kurz spricht vor dem EU-Parlament
Bild: Reuters/V. Kessler

Zuerst geht es auch im Europaparlament in Straßburg um die Tagespolitik, konkret: um die Reaktionen des Nachbarlandes Österreich auf die Einigung von CDU und CSU in der vergangenen Nacht. "Wenn Deutschland nationale Maßnahmen setzt, dann müssen wir und andere darauf reagieren", sagt Kanzler Sebastian Kurz lapidar. Er warte auf eine "klare Regierungslinie in Berlin".

Österreich hatte bereits am Morgen eigene Grenzschließungen als Reaktion auf die möglichen deutschen Maßnahmen angekündigt. Mehr zu dem Thema kündigt Kurz dann für später aus Wien an, wo er als nationaler Regierungschef sprechen könne. Schließlich ist er ins Europäische Parlament gekommen, um ganz offiziell die Themen seiner Ratspräsidentschaft vorzustellen.

EU Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker wiederum erklärt, er habe den juristischen Dienst mit der Prüfung der deutschen Maßnahmen beauftragt, aber "auf den ersten Blick" halte er die Einigung in Berlin für konform mit Europarecht. Und wenn Journalisten Bundeskanzlerin Angela Merkel deswegen einen Wortbruch unterstellten? So etwas kommentiere er nie, "da wäre ich zu sehr beschäftigt".

"Ein Europa, das schützt" 

Aber zurück zum Programm von Kurz' Ratspräsidentschaft. Er ist derzeit der jüngste Regierungschef in der EU und versucht in seiner ersten Rede, nicht geschichts-vergessen zu wirken. "Österreich war immer pro-europäisch", so Kurz, was für ihn nicht ganz leicht zu verkaufen ist, weil sein Koalitionspartner FPÖ den Schulterschluss vor allem mit den Anti-Europäern in Italien und Frankreich sucht.

Mehr Polizisten an den EU Außengrenzen: Kurz will mehr Geld für die Grenzschutzagentur Frontex Bild: picture-alliance/dpa/C. Charisius

Ein paar große Worte über das europäische Projekt, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie gehören zu Beginn jeder nationalen Ratspräsidentschaft zum Handwerk. Entscheidend aber ist, was ein Land am Ende geleistet hat, und da spricht Sebastian Kurz immer wieder vom Brücken bauen. Er muss in den nächsten sechs Monaten zeigen, inwieweit das mehr ist als eine Floskel.

Im Mittelpunkt die Migration

Der Kanzler meint mit dem Motto "Ein Europa, das schützt" zunächst das Ziel, weitere illegale Migration zu verhindern. Es gehe um "den Schutz der Bevölkerung", einen Paradigmenwechsel in der Flüchtlingspolitik. Das letzte Gipfeltreffen habe eine wichtige Trendwende gebracht.

Die Einigung über "Anlandeplattformen" und Richtlinien für NGO's seien Schritte in die richtige Richtung. Darüber hinaus betont Sebastian Kurz den besseren Schutz der Außengrenzen, weil er die offenen Grenzen nach innen erhalten wolle. Und er beschwört einmal mehr die stärkere Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern, was die EU seit dem Afrika-Gipfel auf Malta vor drei Jahren versucht, wo es aber bisher wenig Erfolge gibt.

Darüber hinaus will der Österreicher auch die großen Themen Digitalisierung und Automatisierung aufnehmen, die Wettbewerbsfähigkeit stärken und an der Stabilisierung der unmittelbaren Nachbarschaft arbeiten. Österreich begrüßt ausdrücklich die Aufnahme der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Mazedonien und plädiert für die baldige Aufnahme aller Westbalkanländer in die EU. Da steht er im krassen Gegensatz etwa zum französischen Präsidenten, der keine Neigung zu einer schnellen Erweiterung zeigt. An dem Punkt dürfte es mit den Brücken schon schwierig werden.

Mehr als Wiener Schnitzel

EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker erinnert daran, dass Pläne zum europäischen Schutz der Außengrenzen schon vor Jahren in Brüssel vorgelegt wurden, und damals "von einigen deutsch-sprachigen Ländern", abgelehnt wurden. Tatsächlich wurden solche Vorschläge lange blockiert, weil auch Deutschland einen nationalen Souveränitätsverlust befürchtete. Da haben sich die Meinungen umgekehrt.

Die Angst vor Armut ist größer als die Angst vor FlüchtlingenBild: Reuters/A. Bianchi

Abgesehen davon erinnert Juncker den Österreicher Kurz auch daran, dass man über mehr als Migration reden müsse, er müsse auch an Kompromissen für den nächsten EU-Haushalt arbeiten, den man noch 2019 verabschieden sollte: "Auf dem Teller kann nicht nur Wiener Schnitzel liegen". Eine Mahnung, als kulinarischer Scherz verpackt.

Der Vorsitzende der Liberalen im Europaparlament, Guy Verhofstadt, ist gar nicht zum Scherzen aufgelegt. "Es gibt gar keine Migrationskrise, es ist eine politische Krise auf dem Rücken der Migranten". Verhofstadt verwies auf den "dramatischen Rückgang" von Flüchtlingen, die in der EU Asyl suchen. "Guckt euch die Zahlen an, bevor ihr bei den Bürgern die Angst schürt", fordert er.

"Orbanisierung Europas"

Die sogenannte Krise gehe nur zurück auf die einseitige Entscheidung des italienischen Innenministers Matteo Salvini, die Häfen für Schiffe zu schließen. Er wolle die Flüchtlinge in die Nachbarländer weiterschieben, nach Ungarn, Deutschland, Österreich, und dort passiere dann das gleiche. Jeder handele nur noch national, und der einzige Konsens sei, keine Flüchtlinge "in meinem Hinterhof". Da sei der wirkliche Skandal. Auch die Regierung in Berlin könnte sich hier von Verhofstadt angesprochen fühlen.

Auch Philippe Lambertz, stellvertretender Chef der Grünen im Europaparlament, hält die Ausrichtung auf Migration in der EU-Politik im nächsten Halbjahr für einseitig. In einer unsicheren Welt wollten die Bürger tatsächlich Schutz, aber wovor? Es gehe um Schutz gegen Terroranschläge, Verlust des Arbeitsplatzes, Armut und sozialen Abstieg.

Erst an vierter Stelle folge in den Umfragen die Migration. "Statt den Bürgern zu dienen, werden Ängste geschürt und Flüchtlinge zu Sündenböcken gemacht". Und alle Rechtsextremen lobten jetzt den Ungarn Viktor Orban als großes Vorbild, aber auf diese Weise würden deren Sprache und Ziele legitimiert und das Herz der Demokratie gefährdet.

Während vom rechten und konservativem Spektrum des Europaparlaments Ermunterung für Sebastian Kurz und die Forderung nach noch schnellerem Handeln und noch schärferen Maßnahmen in Sachen Migration kommen, sehen Liberale, Sozialdemokraten und Linke die Zukunft der EU gefährdet: "Erleben wir eine Orbanisierung Europas?" fragt der SPD-Abgeordnete Udo Bullmann und merkt wohl mit Blick auf die Vorgänge in Berlin an, das Ganze habe "mit Verstand nichts mehr zu tun". 

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