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PolitikNahost

Viele offene Fragen in der Golfregion

2. Dezember 2020

Auf seiner Reise an den Golf dürfte der Nahostberater von Präsident Trump, Jared Kushner, eine Reihe von Konflikten angesprochen haben. Deren Entwicklung wird sich wohl erst mit dem Amtsantritt Joe Bidens abzeichnen.

Jured Kushner besucht saudischen Kronprinzen in Riad
Gespräche und Konflikte: Jared Kushner im Gesprtäch mit dem saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman, September 2020Bild: Balkis Press/abaca/picture alliance

Die Reise von Jared Kushner an den Golf steht unter dem Zeichen zahlreicher ungeklärter Fragen. Die staatliche katarische Nachrichtenagentur Qatar News Agency gab sich nach dem Besuch des Nahostberaters von US-Präsident Donald Trump zurückhaltend. Kushner und sein Gastgeber, der katarische Emir Sheikh Tamim bin Hamad Al-Thani, hätten sich über "Entwicklungen in der Region" unterhalten, teilte die Agentur mit.

Zu diesen Entwicklungen dürften auch die vergifteten Beziehungen zwischen Katar und Saudi-Arabien sowie dessen Partnern, den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), Bahrain und Ägypten, gezählt haben. Die drei Länder boykottieren Katar seit dem Sommer 2017. Katar, so der Vorwurf, pflege ein zu enges Verhältnis zu Iran. Außerdem decke es den internationalen Terrorismus - gemeint damit waren die Muslimbrüder. Katar gilt als einer ihrer Hauptfinanziers. Katar selbst hat diese Vorwürfe stets bestritten. Den durch den Boykott bedingten Importausfall - auch von Lebensmitteln - konnte das Emirat mit Hilfe vor allem des Iran und der Türkei kompensieren.

Ein - eher indirektes - versöhnliches Signal hatte Katar Mitte November in Richtung der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) und Bahrains gesendet. Sein Land habe keine Meinung zur Normalisierung ihrer Beziehungen zu Israel, erklärte der katarische Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al-Thani am 18. November in Doha. "Es ist die souveräne Entscheidung der Emirate und Bahrains, eine bilaterale Beziehung zu führen. Wir mischen uns da nicht ein." Allerdings, fügte er hinzu, sei eine "vereinte Front" arabischer Staaten gegenüber Israel für die Palästinenser die bessere Lösung.

Zu Gesprächen bereit? Sscheich Tamim bin Hamad al-Thani, Staatsoberhaupt des Emirats KatarBild: Qatar Emirate Council/dpa/picture-alliance

Was will Trump?

Das schwierige Verhältnis zwischen Katar und Saudi-Arabien sowie dessen Verbündeten dürfte auch vor dem Hintergrund des derzeit größten Konflikts in der Region, zwischen Iran auf der einen und Saudi-Arabien, den VAE, Israel und den USA auf der anderen Seite, erörtert worden sein. Die iranisch-arabischen Spannungen dürften auch bei Kushners Gesprächen in Saudi-Arabien, nach Katar der nächsten Station seiner Reise, auf der Agenda stehen.

Die künftige Rolle des Iran spielt für den derzeitigen wie den kommenden US-Präsidenten gleichermaßen eine große Rolle. Trump und Biden, heißt es in einer Analyse der Jerusalem Post, seien über das iranische Atomprogramm gleichermaßen besorgt. Anders als sein Vorgänger könnte Biden aber versuchen, dieses durch eine Neuauflage des von Trump 2018 aufgekündigten Atomabkommens anzugehen. Das jedoch wolle Trump womöglich verhindern. "Der scheidende Präsident unternimmt Schritte, seinem Nachfolger den Weg zu verstellen, in erster Linie durch ein verschärftes Sanktionsregime. Der wirksamste Weg, eine Rückkehr zu dem Abkommen zu verhindern, bestünde darin, einen Konflikt mit dem Iran vom Zaun zu brechen", so die Jerusalem Post.

Gefahr einer "verlorenen Generation"

Ein solcher Konflikt wäre aber in vielfacher Hinsicht problematisch. Ein Angriff auf den Iran würde das potenzielle Wachstum und die Erholung des Nahen Ostens von seiner langfristigen strukturellen wirtschaftlichen Krise zunichte machen, heißt es in einer Analyse des mit der Politik des Nahen Osten befassten online-Magazins Al-Monitor. "Ein solcher Krieg würde eine verlorene Generation hervorbringen, deren Chance auf eine demografische Dividende verspielt wäre; er würde eine junge, relativ gesunde und anständig ausgebildete Bevölkerung zu Armut, Immobilität und Schweigen verdammen."

Darüber dürften sich auch die politischen Eliten der Golfstaaten im Klaren sein und der Idee eines Kriegs oder auch nur einer bewaffneten Auseinandersetzung mit dem Iran darum entsprechend reserviert gegenüberstehen. Zugleich aber sind sie noch im Ungewissen darüber, welcher Art ihre Beziehungen zu den USA unter dem neuen Präsidenten Joe Biden sein werden.

Region unter Spannung: eine Übung der iranischen Revolutionsgarden im Persischen Golf, September 2020Bild: picture-alliance/AP Photo/Sepahnews

Die Sorgen des Kronprinzen

Für diese Frage dürfte sich insbesondere der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman (MbS) interessieren. Nach der Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi hatte der US-Kongress gefordert, MbS zur Rechenschaft zu ziehen. Das hatte US-Präsident Donald Trump abgelehnt. Der neue US-Präsident Joe Biden dürfte mit Blick auf Saudi-Arabien eine deutliche Position vertreten, sagte der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, Günter Meyer, Mitte November im DW-Interview. "Biden hatte im Vorfeld der Wahlen ja bereits angekündigt, die Beziehung zu Saudi-Arabien zu 'überdenken'. Eine solche Ankündigung zieht meist tiefgreifende Änderungen nach sich."

Die politische Führung der VAE hingegen dürfte sich um ihr persönliches Geschick weniger Sorgen machen. Allerdings sind sie mit ihrer weit in den Persischen Golf hineinragenden Landzunge im Falle einer kriegerischen Auseinandersetzung ganz besonders verwundbar. Der zäh sich hinziehende und vor allem weitgehend ergebnislose Krieg im Jemen, aus dem sich die VAE inzwischen weitgehend zurückgezogen haben, hat der politischen Führung außerdem gezeigt, wie wenig sie bereits gegen einen nicht-regulären Gegner wie die jemenitischen, vom Iran unterstützten Houthi-Milizen auszurichten vermag. Darum dürften die VAE weiterhin großen Wert auf gute Beziehungen zu ihrer bisherigen Schutzmacht USA legen.

Provokation zum Gegenschlag? Beisetzung des ermordeten Atomphysikers Mohsen FachrisadehBild: Iranian Defense Ministry/AP PHoto/picture alliance

Überlegungen in Jerusalem

Die Frage nach dem künftigen Umgang mit dem Iran stellt sich auch für Israel. Die Regierung in Teheran hatte vor wenigen Tagen erklärt, vieles spreche dafür, dass Israel hinter der Ermordung des iranischen Atomphysikers Mohsen Fachrisadeh stehe. Dazu hat sich die israelische Regierung bislang nicht geäußert. Bei dieser Unklarheit könnte es aus israelischer Sicht durchaus bleiben, denn der Mord hat der iranischen Regierung ihre grundsätzliche Verwundbarkeit demonstriert. Auch das israelische Schweigen lässt sich als Hinweis deuten, dass Israel sine nationale Sicherheit durch mögliche iranische Atomwaffen um keinen Preis gefährdet sehen will.

Letztlich dürfte die Regierung in Jerusalem an einem Waffengang aber nicht interessiert sein. Denn der dürfte auch die neuen Beziehungen zu den VAE, Bahrain und weiteren Golfstaaten auf eine schwierige Probe stellen. Insbesondere in Saudi-Arabien sind viele Bürger von den neuen Beziehungen ihrer politischen Führung zu Israel alles andere als begeistert. Ein Krieg gegen den Iran nicht allein, aber auch um der Sicherheit Israels willen: Das könnte bei vielen Bürgern des Königreichs für erheblichen politischen Unmut mit schwer kalkulierbaren Konsequenzen führen.

Zentrale Figur in den Planpielen am Golf: der künftige US-Präsident Joe BidenBild: Mark Makela/Getty Images

Zuletzt wäre Netanjahu, sollte er tatsächlich auf fortgesetzte Aktionen gegen den Iran setzen, auf den Beistand der USA angewiesen, und zwar auch unter Präsident Biden. Ohne amerikanische Unterstützung, deutet die Jerusalem Post an, könnte Israel sich schwerlich auf eine größere Auseinandersetzung mit dem Iran einlassen. Und das sei für den israelischen Premier das Problem, so die Zeitung: "Biden könnte wenig gewillt sein, Israel voll zu unterstützen, sollte Netanjahu einen Krieg provozieren wollen."

Die vielen offenen Fragen dürften sich erst dann klären, wenn Biden sich zu seinen Plänen in der und für die Region klar und deutlich äußert.

Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika