1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Nkrumah: Visionär, Diktator, Nationalheld

Hilke Fischer24. Februar 2016

Er träumte von den Vereinigten Staaten von Afrika und wollte aus Ghana einen Industriestandort machen - aber sein Plan ging nicht auf. Vor 50 Jahren wurde Ghanas erster Präsident, Kwame Nkrumah, aus dem Amt geputscht.

Ghana Kwame Nkrumah
Bild: Getty Images/Express/T. Fincher

"Circle, Circle, Circle!", ruft ein junger Mann aus einem Minibus den Passanten zu. Eilig steigen vier Leute zu, dann reiht sich das Fahrzeug wieder in den Strom der Busse, Taxis und Privat-PKW ein, die sich auf der vierspurigen Hauptstraße Richtung "Circle" drängen. Der "Kwame Nkrumah Circle", der größte Kreisverkehr in Ghanas Hauptstadt Accra, ist nach dem ersten Präsidenten des Landes benannt. 50 Jahre ist es her, dass Nkrumah aus dem Amt geputscht wurde - heute ist er so beliebt wie eh und je.

"Wir profitieren noch immer von dem, was Nkrumah bauen ließ. Der Akosombo-Staudamm liefert uns bis heute Strom", erzählt die junge Ghanaerin Asabea Akonor. "Nkrumah hatte einen langfristigen Plan. Würden unsere jetzigen Politiker nach einem solchen Plan handeln, dann wäre unser Land viel weiter entwickelt."

Akademiker aus einfachen Verhältnissen

Kwame Nkrumah kommt am 21. September 1909 als Kind eines Goldschmieds und einer Bäuerin in der damaligen britischen Kronkolonie "Goldküste" zur Welt. Er besucht eine katholische Missionsschule und arbeitet anschließend einige Jahre als Lehrer. Der wissbegierige junge Mann aus einfachen Verhältnissen träumt davon, in den USA zu studieren. Als blinder Passagier auf einem Überseedampfer gelingt ihm die Überfahrt; zehn Jahre lang lebt, studiert und arbeitet Nkrumah in Amerika.

Der Akosombo-Staudamm liefert Ghana bis heute StromBild: Imago/United Archives International

Mitte der 1940er-Jahre geht Nkrumah nach England, um Jura zu studieren. Dort entwickelt er sich zu einem glühenden Verfechter des Panafrikanismus, also der Idee eines geeinten, starken Afrikas. 1947 kehrt er an die Goldküste zurück, organisiert Streiks und Boykotte und gründet die "Convention People's Party" (CPP). Der Slogan der Partei: "Unabhängigkeit jetzt!"

Vision eines geeinten Afrikas

1950 wird Nkrumah von den Briten inhaftiert. Die Wahlen im Jahr darauf gewinnt die CPP mit überwältigender Mehrheit. Nkrumah wird freigelassen und umgehend in die Regierung aufgenommen. 1952 wird er Premierminister - letzte Entscheidungsgewalt behält aber weiterhin der britische Gouverneur.

Das ändert sich 1957, als das Land in einem unblutigen Übergang die Unabhängigkeit erlangt. 1960 wird Ghana zur Republik und Nkrumah zum ersten Präsidenten gewählt. Das Land ist zu dem Zeitpunkt der weltgrößte Exporteur von Kakao, hat aber keine einzige Industrieanlage, um Rohmaterialien weiterzuverarbeiten. Nkrumah gründet zahlreiche Staatsbetriebe, beginnt ein großes Staudammprojekt, lässt Schulen und Universitäten bauen und unterstützt Befreiungsbewegungen in noch bestehenden afrikanischen Kolonien. Auf zahlreichen Reisen wirbt Nkrumah, der sich selbst als marxistischen Sozialisten bezeichnet, unermüdlich für seine Idee eines geeinten Afrikas mit einem gemeinsamen Parlament. "Im Gegensatz zu vielen anderen afrikanischen Staatschefs ging es Nkrumah tatsächlich um das Wohl der Nation", sagt der deutsche Politikwissenschaftler Christian Kohrs, der zu Nkrumah geforscht hat.

Nkrumah während seiner Vereidigung zum Präsidenten am 01.07.1960Bild: picture-alliance/dpa/DB

Stets unter Menschen und dennoch allein

Vor allem arme Ghanaer verehren Nkrumah wie einen Messias, sie schreiben ihm Hymen und Gebete. Nkrumahs Leben ist dominiert von der Politik, er trinkt nicht, raucht nicht. Auf die Frage, was er zur Entspannung mache, antwortet er in einem Interview: "Arbeiten." Er arrangiert eine Ehe mit einer Ägypterin, die er vor dem Hochzeitstag nie gesehen hat und die nur Arabisch und Französisch spricht, was Nkrumah beides nicht versteht. Das Paar bekommt drei Kinder.

Trotz seiner großen Beliebtheit ist Nkrumah ein einsamer, misstrauischer und zunehmend verbitterter Mensch. Seiner britischen Sekretärin Erica Powell schreibt er im Jahr 1965: "Ich leide unter so großer Einsamkeit, dass ich manchmal in Tränen ausbreche. (…) Habe ich Ihnen jemals gesagt, dass ich nicht für mich selbst, sondern für die Präsidentschaft geheiratet habe?"

Autoritärer Führungsstil

Sein Land regiert Nkrumah mit zunehmend harter Hand: Im Jahr nach der Unabhängigkeit erlässt er Gesetze, die der Regierung erlauben, Personen ohne Gerichtsverfahren bis zu fünf Jahre lang einzusperren. 1961 wird es strafbar, sich respektlos gegenüber dem Staatsoberhaupt zu äußern. Nkrumah kontrolliert die Medien, seine Partei hat Einfluss auf nahezu alle zivilgesellschaftlichen Organisationen. 1964 wandelt Nkrumah Ghana in einen Ein-Parteien-Staat um.

1965: Kwame Nkrumah trifft Che Guevara (l.)Bild: Public Domain

Wirtschaftlich gerät das Land derweil in immer größere Schwierigkeiten: Die meisten der rund 50 Staatsbetriebe sind schlecht gemanagt und machen Verluste. Viele von Nkrumahs Großprojekten sind Prestige-Bauten, die kaum genutzt werden. Nkrumah errichtet in Accra ein riesiges, luxuriöses Konferenzgebäude, das der Hauptsitz einer zukünftigen afrikanischen Einheitsregierung werden soll. Im Mai 1963 erteilt die frisch gegründete Organisation Afrikanischer Einheit, der Vorgänger der Afrikanischen Union, Nkrumahs panafrikanischen Visionen jedoch eine Absage. Ihr erstes Treffen findet auch nicht in Accra, sondern im äthiopischen Addis Abeba statt.

Zu Vieles, zu schnell

Der Weltmarktpreis für Kakao sinkt so stark, dass die Regierung die Steuern erhöhen muss. Die Lebenshaltungskosten steigen und treiben die Menschen auf die Straße, es kommt zu Streiks. "Wir mussten vor dem Stadion anstehen, um eine Ration Zucker zu bekommen", erinnert sich der ghanaische Politik-Professor Mike Ocquaye. "Die Fabriken, die Nkrumah gebaut hat, funktionierten nicht. Wir sollten rennen, bevor wir überhaupt laufen konnten."

Auch Politikwissenschaftler Kohrs glaubt, dass Nkrumah am Ende über seine eigenen Visionen gestolpert ist: "Wenn man Modernisierung will, muss man die Menschen mitnehmen. Das hat er aus den Augen verloren. Nkrumah wollte aus Ghana einen modernen Staat machen, aber er wollte es zu schnell."

Nkrumah-Mausoleum in Accra: Heute ist Ghana stolz auf seinen GründungsvaterBild: imago/blickwinkel

Am 24.02.1966 - Nkrumah ist gerade auf Staatsbesuch in Peking - übernimmt das Militär mit Unterstützung der USA die Macht in Ghana. Die Menschen auf den Straßen Accras jubeln den Soldaten zu. Der geschasste Präsident erhält Asyl im westafrikanischen Guinea und wird dort pro forma sogar zum Vize-Präsidenten ernannt. Am 27.04.1972 stirbt Nkrumah in der rumänischen Hauptstadt Bukarest, wo er sich wegen Darmkrebs behandeln ließ.

Späte Würdigung

Heute, 50 Jahre nach dem Putsch, stehen die Statuen Nkrumahs wieder überall in Ghana. In Accra wurde ihm ein Mausoleum gebaut, zahlreiche Straßen sind nach ihm benannt, sein Gesicht ziert Geldscheine und Briefmarken. "Die Menschen hatten Zeit, auf seine Amtsjahre zurückzublicken und neu zu bewerten, was er getan hat und was die verschiedenen Militär- und Zivilregierungen nach ihm erreicht, beziehungsweise nicht erreicht haben", sagt der US-amerikanische Historiker Harcourt Fuller, der ein Buch über Nkrumah geschrieben hat.

Seit einigen Jahren steht auch eine Nkrumah-Statue vor dem Hauptsitz der Afrikanischen Union in Addis Abeba - eine späte Würdigung eines frühen Vorkämpfers für ein geeintes Afrika.

Mitarbeit: Isaac Kaledzi (Accra)

Den nächsten Abschnitt Mehr zum Thema überspringen