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PolitikEuropa

Kyriakides: Beim Impfen weltweit mehr tun

6. September 2021

Die weltweite Impfkampagne gegen Corona war Thema der G20 in Rom. Das neue Ziel: Eine Impfquote von 40 Prozent global bis zum Jahresende. Das kann man schaffen, sagt die EU-Gesundheitskommissarin im DW-Interview.

BIONTECH Impfstoff
Bild: Laci Perenyi/imago images

Die EU-Kommissarin für Gesundheit nahm am Sonntag und an diesem Montag an einer Konferenz der G20-Staaten in Rom teil, die sich mit der Impfkampagne gegen COVID-19 beschäftigen. In der G20 sind die wichtigsten Industrie- und Schwellenländer vertreten, die rund 80 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung repräsentieren. In einer Sitzungspause haben wir mit Stella Kyriakides per Skype in ihrem Heim-Büro gesprochen.

Deutsche Welle: Die G20 haben versprochen, schneller mehr Impfstoffe in ärmere Länder zu bringen. Die Strategie, dies durch das UN-Impfprogramm COVAX zu bewerkstelligen, funktionierte bisher nicht schnell genug. Was lässt Sie denken, dass es jetzt klappen wird?

Stella Kyriakides: Ich denke, dass das G20-Treffen, das jetzt in Italien stattfindet, extrem wichtig ist, weil es zeigt, dass wir alle solidarisch zusammenarbeiten müssen, um diese Pandemie zu überwinden. Wir haben COVAX von Anfang an unterstützt. Als EU haben wir an der globalen Dimension gearbeitet, weil wir wissen, wie jeder weiß, dass wir diese Pandemie nicht beenden können, wenn wir nicht alle global zusammenarbeiten.

Wir haben eine Reihe von Herausforderungen gemeistert. Und wir alle werden unsere Bemühungen verstärken, um sicherzustellen, dass wir genügend Impfstoffe haben und so schnell wie möglich so viele Länder wie möglich auf der ganzen Welt erreichen. Die EU hat bisher Dosen in über 130 Länder gesendet. Wir haben uns verpflichtet, bis Ende dieses Jahres weitere 200 Millionen Dosen zu schicken. Aber es ist klar, dass wir alle mehr tun müssen.

Aber was ist eigentlich das Problem? Die Produktion läuft jetzt ja eigentlich. Wir haben reichlich Impfstoffe in Europa. Hapert es an der Verteilung?

Wir haben es mit einer beispiellosen Gesundheitskrise zu tun. Und Herausforderungen gab es bekanntlich von Anfang an bei der Fertigung, der Produktion und den Lieferungen. Bei der EU ging es nie zuerst um die EU. Und wir haben fast so viele Impfstoffe mit dem Rest der Welt geteilt, wie innerhalb der EU verwendet wurden. Die G20 wird jetzt prüfen, wie wir vorankommen können, damit wir so schnell wie möglich alle Länder der Welt erreichen. Es ist äußerst klar, dass wir diese Pandemie nicht beenden können, wenn wir nicht auf diese global koordiniert reagieren. Und: Jeder muss mehr tun!

Stella KyriakidesBild: Olivier Hoselt/Pool/AFP/Getty Images

Nehmen wir zum Beispiel Afrika. Viele Experten sagen, es wäre viel besser und einfacher, wenn wir die Impfstoffe dort produzieren würden, wo die Empfänger sind. Mehr in Afrika zu produzieren, wäre das eine Lösung?

Natürlich, natürlich. Wir haben in den letzten Monaten daran gearbeitet, die Produktionskapazitäten in Afrika zu erhöhen und auszubauen. Wir arbeiten sehr eng mit der afrikanischen Seuchenkontroll-Behörde (Africa CDC) zusammen, damit wir dort Impfstoffe herstellen lassen. Und so könnten wir alle Teile des Kontinents viel schneller erreichen. Die EU war also von Anfang an in diese Bemühungen eingebunden.

Erst letzte Woche stellte sich heraus, dass beispielsweise der Pharmakonzern Johnson&Johnson in Südafrika Impfstoffe für Europa herstellt und diese dann von Afrika nach Europa verschifft. Muss das aufhören?

Ich denke, es ist sehr wichtig, dass wir globale Lieferketten auf der ganzen Welt offen halten. Und das haben wir von Anfang an gesagt. Dies wurde heute in den G20 erneut bekräftigt. Es ist notwendig, die Lieferketten offen zu halten und jegliche Art von Exportbeschränkungen oder Exportverboten zu vermeiden, die Lieferungen am Ende noch schwieriger machen.

Bei ihrer Tagung in Rom hat die G20 als Ziel festgelegt, bis Ende des Jahres 40 Prozent der Weltbevölkerung zu impfen. Glauben Sie, dass das wirklich machbar ist, wenn man bedenkt, dass wir Länder haben, die derzeit nur ein oder zwei Prozent haben?

Ich denke, wir müssen darauf hinarbeiten. Ich denke, das müssen wir anstreben. Ich glaube, dass die G20 die notwendige Entschlossenheit  in allen Diskussionen, die ich heute gehört habe, gezeigt hat. Wir sehen das Engagement und die globalen Anstrengungen und die Solidarität, die wir brauchen, um auf dieses Ziel hinzuarbeiten. Durch diese Zusammenarbeit bei der G20 ist diese das Forum, in dem wir Veränderungen bewirken können.

G20: Gesundheitsminister aus aller Welt versprechen mehr Impfungen in RomBild: Roberto Monaldo/LaPresse via AP/picture alliance

Auch die Impfkampagnen in Europa verlangsamen sich. Sie haben jetzt europaweit eine Durchimpfungsrate von 70 Prozent. Die Raten sind beispielsweise in Malta und in Belgien sehr hoch, in den östlichen Mitgliedsländern jedoch sehr niedrig. Was werden Sie tun, um die Kampagnen in Bulgarien und Rumänien voranzutreiben?

Daran habe ich die letzten Monate beständig gearbeitet. Wir haben das 70-Prozent-Ziel erreicht, das wir uns gesetzt hatten. Aber das heißt nicht, dass wir selbstgefällig sein dürfen. Wir haben die sich entwickelnde Situation mit den Varianten. Wir sehen die Delta-Variante. Und es ist klar, dass wir impfen, impfen, impfen müssen!

Ich habe persönlich Bulgarien besucht. Ich habe Rumänien besucht. Wir müssen die Herausforderungen verstehen, denen sich die verschiedenen Mitgliedstaaten gegenübersehen. Es sind nicht immer die gleichen Schwierigkeiten, mit denen sie konfrontiert sind. Und wenn wir die verschiedenen Herausforderungen nicht erfassen, können wir keine unterstützenden Lösungen vorschlagen, die helfen können. Ich arbeite also mit allen Gesundheitsministern zusammen, und wir werden ihre Bemühungen zur Erhöhung der Impfungen weiterhin unterstützen.

Aber was ist das konkrete Problem zum Beispiel in Bulgarien?

Ich würde sagen, dass es in keinem Mitgliedstaat nur ein Problem, eine Schwierigkeit gibt. Wir sehen verschiedene Arten von Impf-Skeptikern und Verzögerungen aus unterschiedlichen Gründen. Und genau aus diesem Grund können wir nicht alle Mitgliedsstaaten über einen Kamm scheren. Wir arbeiten mit den Mitgliedstaaten zusammen. Wir haben eine Strategie gemeinsam mit der Europäischen Seuchenkontroll-Behörde (ECDC) vorgelegt, um ihre Impfrate zu erhöhen.

In der G20 spricht man nicht nur über die aktuelle Pandemie, sondern auch von der Vorbeugung bei zukünftigen Pandemien. Welche Probleme müssen wir angehen, um eine weitere Pandemie zu verhindern?

Ich glaube, dass sich aus jeder Krise eine Chance ergibt und wir nach dieser Pandemie vorankommen und sicherstellen müssen, dass wir besser vorbereitet sind, dass wir über stärkere Gesundheitssysteme verfügen und im Falle zukünftiger Pandemien schneller handeln können. Und genau aus diesem Grund haben wir als EU die Vorschläge der Europäischen Gesundheits-Union vorgelegt. Dies wird es uns ermöglichen, einen europäischen Notfall-Plan zu entwickeln.

Wir haben unsere neue Behörde, HERA, auf den Weg gebracht, die sich mit der Notfallreaktion und -vorsorge befasst. Wir müssen in Krisenzeiten proaktiv und nicht nur reaktiv sein. Ich glaube, dass es uns in dieser aktuellen Situation gelungen ist, eine Vielzahl von Ad-hoc-Lösungen für diese beispiellose Gesundheitskrise zu finden. Aber das müssen jetzt strukturelle Lösungen werden.

Stella Kyriakides (65) ist seit 2019 EU-Kommissarin für Gesundheit. Die Politikern und ausgebildete Psychologin war zuvor Parlamentsabgeordnete und Gesundheitsministerin in Zypern.

Warum Bulgaren sich nicht impfen lassen

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Bernd Riegert Korrespondent in Brüssel mit Blick auf Menschen, Geschichten und Politik in der Europäischen Union
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