Ländliche Vertraulichkeiten
4. Dezember 2002Deutsch-französische Gespräche haben Tradition. Im elsässischen Blaesheim fing es an: Bundeskanzler Gerhard Schröder und der französische Staatspräsident Jaques Chirac trafen sich am 31. Januar 2001 zu einem ersten informellen Gespräch. Zusätzlich zu den halbjährlichen offiziellen deutsch-französischen Konsultationen, die der Elysée-Vertrag von 1963 festlegt, verabredeten beide Regierungschefs, zukünftig auch in vertraulicher Atmosphäre über europäische und bilaterale Fragen zu beraten. Wenn seitdem vom Verhältnis Deutschlands und Frankreichs die Rede ist, geht es nicht mehr ohne den Namen "Blaesheim".
Neues Kräfteverhältnis
Den Grundstein der deutsch-französischen Freundschaft legten Konrad Adenauer und Charles de Gaulle mit dem Elysée-Vertrag von 1963. Gepflegt und gefördert wurde das Verhältnis später durch die guten persönlichen Beziehungen von Valery Giscard d’Estaing und Helmut Schmidt. François Mitterand und Helmut Kohl waren enge Freunde, die die Europapolitik ihrer Vorgänger weiter voranbrachten.
Deutschland und Frankreich galten immer als Motor der europäischen Integration. Doch nach dem Amtsantritt Gerhard Schröders geriet der Motor ins Stocken. Das deutsch-französische Verhältnis kühlte ab im Vergleich zu früheren Jahren, die durch besondere Zweierbeziehungen der Männer an der Spitze des jeweiligen Staates gekennzeichnet waren.
Chirac und Schröder haben sich die Freundschaft zwar nicht aufgekündigt, aber deren Natur verändert. Aus der Freundschaft ist eine Partnerschaft geworden, und es geht längst nicht mehr um die deutsch-französische Versöhnung. Vielmehr steht Gerhard Schröder - ein Kind der Nachkriegsgeneration - dem 70-jährigen Jaques Chirac als Kanzler eines erwachsenen Deutschlands gegenüber, das eine internationale Rolle spielen will. Das zeigt zum Beispiel die deutsche Position in der Irak-Frage: Während sich Frankreich militärische Gewalt gegen den Irak vorbehält, wenn Saddam Hussein die UN-Resolution nicht einhalten sollte, lehnt Deutschland einen Militärschlag kategorisch ab.
Erfolgsrezept Vertraulichkeit
Zankapfel zwischen Chirac und Schröder waren und sind die europäischen Agrarsubventionen, die fast die Hälfte des europäischen Etats verschlingen. Um die Erweiterung der EU zu finanzieren, sind Einsparungen auch im Bereich der Agrarsubventionen notwendig. Schon auf dem EU-Gipfel 1999 wagte Schröder einen Vorstoß in dieser Frage, da Deutschland als größter Nettozahler auch höchsten Belastungen ausgesetzt ist. Damals kam es zu einem heftigen Streit zwischen ihm und Jaques Chirac. Der Staatspräsident und ehemalige Landwirtschaftsminister Frankreichs kämpfte für den Erhalt der Subventionen.
Eine Einigung schien unmöglich geworden, bis der EU-Gipfel im Oktober 2002 die Überraschung brachte: Bereits im Vorfeld des Gipfeltreffens in Brüssel hatten sich Schröder und Chirac bei einem ihrer inoffiziellen Gespräche auf einen Kompromiss verständigt. Daraufhin konnten die EU-Mitglieder beschließen, dass die Subventionen ab 2006 nur noch um ein Prozent jährlich steigen dürfen.
Die Feste feiern, wie sie fallen
Diese Begrenzung statt einer Kürzung ist ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, der ohne ein vorheriges Treffen von Schröder und Chirac in der Tradition von Blaesheim mit großer Sicherheit nicht möglich gewesen wäre. Die nächste Tagung des Europäischen Rates - am 12. und 13. Dezember 2002 will der Rat die Verhandlungen über die EU-Erweiterung um 10 Mitgliedsstaaten abschließen - dürfte also ein Thema auf dem informellen Treffen von Schröder und Chirac in Storkow sein.
Wesentlich wichtiger für die deutsch-französischen Beziehungen ist ein Termin im Januar 2003: In Deutschland und Frankreich stehen die Feierlichkeiten zum 40. Jahrestag des Elysée-Vertrags an. Alle deutschen Parlamentarier werden am 22. Januar 2003 auf Einladung Frankreichs ins Königsschloss von Versailles reisen. Auf einer symbolischen gemeinsamen Sitzung im Schlachtensaal können sich die Abgeordneten der Pariser Nationalversammlung und des Bundestages näher kommen. (akm)