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Löfflers Lektüren

21. Januar 2011

In ihrem neuesten Theaterstück greift Elfriede Jelinek wieder ihre gewohnten Themen auf - die "alte Leier", wie sie ihre Hauptfigur sagen lässt. Allerdings ist "Winterreise" ein ungewohnt düsterer und depressiver Text.

Buchcover Elfriede Jelinek: Winterreise (Rowohlt)

Die österreichische Autorin, Dramatikerin und Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek schreibt ihre Bühnenstücke zugleich für und gegen das Theater. Ihre Theatertexte ignorieren seit langem alle dramatischen Bühnen-Erfordernisse, sprechen ihnen sogar hohn, sind aber zugleich auf die szenischen Einfälle eines Regisseurs angewiesen. Gleichwohl kann man sie durchaus als reine Lesetexte rezipieren, eine Lektüre "im Jenseits des Dramas" ist möglich und oft erhellend – auch ohne performative Unterstützung und abseits einer Inszenierung auf dem Theater.

Das gilt auch für Jelineks jüngsten Text "Winterreise. Ein Theaterstück" – eine handlungs- und figurenlose Serie von acht Prosa-Litaneien nach Motiven des gleichnamigen Liederzyklus von Franz Schubert und Wilhelm Müller. "Winterreise" ist ein Auftragswerk der Münchner Kammerspiele und wird am 3. Februar unter der Regie von Johan Simons in München uraufgeführt.

Finanz-Skandale und andere Desaster

Elfriede JelinekBild: AP

Das Ich, das sich in den meisten der acht Monolog-Teile dieses Prosa-Sermons zu Wort meldet, präsentiert sich als weiblicher Wanderer "aus einer andren Zeitlichkeit, nicht aus dieser", spricht aber von Anfang an medienbekannte aktuelle Ereignisse, Missstände und Desaster an. Wie schon im Vorgänger-Stück "Die Kontrakte des Kaufmanns" geht es auch diesmal wieder um Banken-Skandale, namentlich um die kriminellen Machenschaften rund um die Bank Hypo-Alpe-Adria, ein österreichischer Konzern, der international tätig ist. Jelinek spitzt diesen Finanz-Skandal metaphorisch zu – im Bild der "Hyper-Braut", die reich geschmückt wird, mit Steueroasen und einer Privatstiftung, um den Bräutigam zu täuschen. Der Brautschleier dient der Verschleierung dieser Machenschaften: "Man sieht sie erst, wenn sie geheiratet worden ist. Dann wird der Schleier zurückgeschlagen, doch alles, was drunter war, ist längst weg."

Abrechnung mit sich selbst

In allen acht Monologen wird immer wieder auf Leitmotive des Zyklus "Winterreise" angespielt – auf die Themen Wandern, Entfremdung, Unstetheit, Einsamkeit, Trauer und Tod. Schlüsselsätze daraus werden immer wieder zitiert. Zugleich werden bekannte Jelinek’sche Themen ein weiteres Mal rekapituliert: der Sport-Chauvinismus, der gehässige Voyeurismus, der lebendig begrabene Entführungsopfer wie Natascha Kampusch mit Neid und Häme überzieht. Auch setzt sich Jelinek aufs Neue mit der Gestalt ihrer dominanten Mutter auseinander sowie mit den Schuldgefühlen gegenüber dem Vater, der von Frau und Tochter in die Psychiatrie eingewiesen wurde und im Irrenhaus starb. Dem achten und letzten Monolog wird das Schlusslied "Der Leiermann" unterlegt, indem Jelinek sich selbst als Leierfrau anklagt, als "wunderliche Alte". Niemand wolle mehr ihre "alte Leier" hören, ihr "endloses Geseire und Geleiere". Wie gewohnt entpuppt sich auch "Winterreise" als strapaziöser und sperriger Text, dessen Düsterkeit Jelineks grimmigen Humor von einst zunehmend vermissen lässt.


Autorin: Sigrid Löffler
Redaktion: Gabriela Schaaf


Elfriede Jelinek: Winterreise. Ein Theaterstück, Rowohlt Verlag, Reinbek 2011, 128 Seiten, 14,95 Euro.