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PolitikEuropa

Löst der Krieg gegen die Ukraine den Transnistrien-Konflikt?

Vitalie Călugăreanu | Keno Verseck
11. Januar 2023

Russlands Präsident hat sich mit dem Krieg gegen die Ukraine in vielerlei Hinsicht verkalkuliert. Die russische Aggression könnte auch zum Ende des separatistischen Transnistrien-Konfliktes in der Republik Moldau führen.

Republik Moldau Separatistengebiet Transnistrien
Panzerfahrzeug in Tiraspol, der "Hauptstadt" des Separatisten-Gebiets Transnistrien in der Republik Moldau Bild: DW/Cristian Stefanescu

Russlands Präsident Wladimir Putin hat sich mit dem Krieg gegen die Ukraine in vielerlei Hinsicht verkalkuliert. Er konnte das Nachbarland bisher nicht besiegen - und wird es vermutlich auch nicht. Er konnte die Europäische Union und die NATO nicht lähmen und spalten - ganz im Gegenteil. Und: Entgegen seiner Absicht hat er erreicht, dass neben der Ukraine auch Georgien und die Republik Moldau einer europäischen Integration weitaus näher gekommen sind, als sie bisher jemals zu hoffen gewagt hätten.

Bald könnten weitere Fehlkalkulationen hinzukommen. Eine der wichtigsten wäre die Lösung des so genannten Transnistrien-Konfliktes in der Republik Moldau. In Transnistrien, jenem schmalen Landesteil der Moldau am linken Ufer des Flusses Dnjestr, exerzierte Russland 1991/92 erstmals nach dem Zerfall der Sowjetunion vor, wie man eine unabhängig gewordene Unionsrepublik destabilisiert und spaltet, kremltreue Separatisten bewaffnet, einen Krieg entfesselt, Pseudostaatsgebilde schafft und den Konflikt später für lange Zeit einfriert.

In Transnistrien, rund 200 Kilometer lang und maximal 30 Kilometer breit, sind bis heute knapp 2000 russische Soldaten stationiert. Im Norden liegt nahe des Dorfes Cobasna eines der größten Waffenlager Europas - hier lagern rund 20.000 Tonnen Munition und Gerät aus alten russischen Beständen. Russland hat sich zwar 1999 offiziell verpflichtet, Truppen und Waffen binnen weniger Jahre abzuziehen, dieses Versprechen jedoch nie eingehalten.

Illegale Geschäfte

Seit über 30 Jahren ist Transnistrien ein "schwarzes Loch" in Europa, so ein Bericht des Europäischen Parlaments von 2002. Wirtschaftlich über Wasser hielt sich der Landstrich mit Geldtransfers aus Moskau sowie mit Schmuggel, Menschenhandel und Geldwäsche. Auch die Ukraine leistete ihren Beitrag dazu: Die ukrainischen Führungseliten schufen nach 1992 zusammen mit russischen Wirtschaftsfunktionären eine Schmuggelkette um Transnistrien, die den Landstrich wirtschaftlich stärkte und es der Republik Moldau unmöglich machte, die separatistische Region wirtschaftlich zu kontrollieren. Nach und nach wurden allerdings auch die korrupten Eliten der Republik Moldau in die schmutzigen Machenschaften mit einbezogen.

Straßenszene im transnistrischen TiraspolBild: Goran Stanzl/Pixsell/imago images

Die transnistrische Wirtschaft war vom illegalen Warenverkehr von und nach Odessa und anderen Schwarzmeerhäfen abhängig. Die Programme liefen über drei Jahrzehnte lang. Der Grundstein wurde bereits in den 1990er Jahren gelegt, als der erste "Präsident" der selbsternannten Separatistenrepublik Transnistrien, Igor Smirnow, vom damaligen ukrainischen Präsidenten mit großem Pomp empfangen wurde. Wohl aus gutem Grund: Der Schwiegersohn des damaligen ukrainischen Präsidenten Leonid Kutschma soll Eigentümer eines der größten Stahlunternehmen in Transnistrien gewesen sein. Auch andere Politiker in Kiew ließen sich im Laufe der Jahre von der Möglichkeit verleiten, hinter dem Rücken Chisinaus "Geschäfte" mit den Separatisten aus Tiraspol zu machen.

Mit Panzern abgeriegelt

Inzwischen räumt Kiew ein, dass es der Republik Moldau moralisch etwas schulde, weil es das "schwarze Loch" Transnistrien jahrzehntelang duldete und von ihm sogar profitierte. Die regierungsnahe Presse in Kiew widmet der Analyse dieses Themas viel Raum und suggeriert, dass eine mögliche russische Niederlage im Krieg gegen die Ukraine auch die Liquidierung des prorussischen Transnistriens bedeuten solle. Nachdem ukrainische und moldauische Behörden viele Jahre lang bei illegalen Praktiken Transnistriens ein Auge zugedrückt und Vertreter beider Staaten profitiert hätten, schreibt der ukrainische Journalist Sergej Sidorenko in der Zeitung Evropejskaja Pravda, habe der russische Krieg gegen die Ukraine alles verändert. In der Ukraine habe man erkannt, dass Transnistrien eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle. Die Frage sei, wie dieses Problem jetzt gelöst werden könne.

Straßenszene in Tiraspol: Transnistrien gilt als letztes Relikt der SowjetunionBild: AFP/Getty Images

Der Kriegsbeginn am 24. Februar 2022 veranlasste die ukrainischen Behörden, den transnistrischen Abschnitt der moldauisch-ukrainischen Grenze mit Panzern abzuriegeln. Damit hat der Schmuggel aufgehört, und das separatistische Regime in Tiraspol beschwert sich geradezu hysterisch über die "Wirtschaftsblockade" und fordert Russland auf, Transnistrien zu retten. Bislang erfolglos - das Ziel des Separatistenregimes, die schnelle Besetzung der Ukraine durch die Russen und der Anschluss Transnistriens, scheiterte am Widerstand der ukrainischen Armee.

Konfliktlösung nur mit friedlichen Mitteln

Die Republik Moldau steht in diesem Krieg solidarisch an der Seite der Ukraine, hilft ukrainischen Flüchtlingen und ist der festen Überzeugung, dass sie sich damit auf die richtige Seite der Geschichte gestellt hat. Die Staatsführung in Chisinau ist allerdings der Ansicht, dass der Transnistrien-Konflikt ausschließlich mit friedlichen Mitteln gelöst werden sollte und so, dass dies den europäischen Kurs der Republik Moldau nicht beeinflusst. Die moldauische Staatspräsidentin Maia Sandu hat erklärt, dass die Republik Moldau bis zum Ende dieses Jahrzehnts Mitglied der EU werden muss.

Die moldauische Staatspräsidentin Maia SanduBild: Dursun Aydemir/AA/picture alliance

"Die blutige Aggression der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat die Moldauer in ihrem Wunsch bestärkt, einen Krieg um jeden Preis zu vermeiden. Dies ist die einfachste Antwort auf die in der Ukraine verbreitete Idee, dass die ukrainischen Streitkräfte der Republik Moldau helfen sollten, den Separatismus und die Russen in Transnistrien loszuwerden. Es gibt keine Umstände, unter denen Chisinau den Aktionen der ukrainischen Streitkräfte auf seinem Territorium zustimmen würde", schreibt Sidorenko und fügt hinzu, dass Kiew dies inzwischen auch verstanden habe.

Deutsche Panzerfahrzeuge für die Republik Moldau

Zwar hat die Regierung in Chisinau für das Jahr 2023 ein Rekordbudget für die Verteidigung festgelegt. Dabei wird umfangreich in die Sicherung des Luftraums investiert. Zudem erhält die Republik Moldau gepanzerte Fahrzeuge vom Typ Piranha aus Deutschland. Dennoch möchte die moldauische Staatsführung nicht nur eine militärische Konfrontation mit Transnistrien vermeiden, sondern geht derzeit selbst einem Szenario des wirtschaftlichen Drucks auf das separatistische Regime in Tiraspol aus dem Weg. "Wir sitzen alle im selben Boot. Wir sollten es nicht aus dem Gleichgewicht bringen", sagte der stellvertretende moldauische Ministerpräsident für Wiedereingliederung Oleg Serebrian kürzlich.

Lenin-Denkmal in TiraspolBild: 3BoxMedia

Der Hintergrund: Noch ist die Republik Moldau von Stromlieferungen aus dem Kraftwerk Cuciurgan abhängig, das in Transnistrien steht. Das wiederum wird mit russischem Gas betrieben, das von Chisinau an Tiraspol geliefert wird. Was nach einer absurden Realität aussieht, nämlich so, als würde die Republik Moldau den Separatismus stützen und finanzieren, ist noch Notwendigkeit - denn ohne den Strom aus Cuciurgan würde im Land Dunkelheit herrschen.

Doch das könnte sich bald ändern. In der Republik Moldau wird mit Hochdruck an Plänen gearbeitet, das Land unabhängig vom Strom aus Transnistrien und vom Gas aus Russland zu machen. Wenn das der Fall sein wird, könnte Transnistrien der Republik Moldau einfach in den Schoß fallen - als bankrottes Gebilde. Denn ohne die Schmuggelrouten durch die Ukraine und die Gaslieferungen aus Chisinau wäre es nicht überlebensfähig.