1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Löst ein weitverbreitetes Herpesvirus Alzheimer aus?

7. Januar 2025

Forschende entdecken einen Zusammenhang zwischen Alzheimer und einem Virus im Darm, das fast jeder hat. Der Erreger gehört zu den Herpesviren, die schon länger mit Alzheimer in Verbindung gebracht werden.

Gehirn mit Alzheimer-Krankheit: Die Illustration zeigt wie sich Amyloid-Plaques (orange) bilden und sich in "Nestern" um Nervenzellen (blau) legen
Gehirn mit Alzheimer-Krankheit: Die Illustration zeigt wie sich Amyloid-Plaques (orange) bilden und sich in "Nestern" um Nervenzellen (blau) legen Bild: xanimaxx3dx/Depositphotos/IMAGO

Neun von zehn Menschen, die das Alter von 80 Jahren erreicht haben, tragen es in sich: das Cytomegalievirus. Das CMV gehört zur Familie der Herpesviren und kann möglicherweise einen bestimmten Typus der Alzheimer-Krankheit auslösen. Es verbreitet sich über Körperflüssigkeiten wie Muttermilch, Speichel, Blut und Sperma. Wer sich mit dem Erreger angesteckt hat, trägt ihn - wie alle Herpesviren - ein Leben lang in verschiedenen Zellen mit sich herum. 

Nach der ersten Infektion ruht das Virus normalerweise. Doch unter bestimmten Umständen, etwa bei einem geschwächtem Immunsystem, können Herpes-Erreger – also auch das CMV – wieder aktiv werden und sich vermehren.

Eine CMV-Infektion verläuft bei Menschen mit einem gesunden Immunsystem normalerweise ohne oder mit nur leichten Symptomen. Dazu zählen Erkältungsbeschwerden wie Abgeschlagenheit, Fieber und Husten. Schwere gesundheitliche Folgen kann eine Infektion allerdings für ungeborene Kinder im Mutterleib, für frühgeborene Säuglinge und Personen mit geschwächtem Immunsystem haben. 

Wie ein Darm-Virus das Gehirn beeinträchtigt

Bei manchen Menschen scheint das Virus möglicherweise lange aktiv zu bleiben und sich auf die "Superautobahn" zwischen Darm und Gehirn zu begeben, die wissenschaftlich als Vagusnerv bezeichnet wird. Dieser Nerv ist ein wichtiger Vermittler zwischen unserem Magen-Darm-Trakt und dem Gehirn. Durch ihn stehen beide Organe in ständigem Austausch, so wird über den Vagusnerv beispielsweise beim Essen unser Sättigungsgefühl und der Blutzuckerspiegel angepasst.

Einmal im Vagusnerv angedockt, kann das aktive CM-Virus das Immunsystem des Hirns beeinträchtigen und zur Entwicklung der Alzheimer-Krankheit beitragen, so eine Studie der Arizona State University in den USA.

KI entdeckt Alzheimer-Risiko

02:54

This browser does not support the video element.

Neuer Alzheimer-Subtyp entdeckt?

"Wir glauben, dass wir einen biologisch einzigartigen Subtyp der Alzheimer-Krankheit gefunden haben, der möglicherweise 25 bis 45 Prozent der Erkrankten betrifft", so Ben Readhead, Biomediziner an der Arizona State University und Hauptautor der Studie.

Bei Patienten, die unter einer bestimmten Form von Alzheimer litten, fand das Wissenschaftsteam Antikörper gegen das Cytomegalievirus im Darm, in der Rückenmarksflüssigkeit und im Gehirn. In den Zellen des Vagusnervs fanden sie sogar das Virus selbst.

Im Gehirn stimuliert das Virus offenbar die hirneigene Immunabwehr. Um diese kümmern sich die sogenannten Mikroglia-Zellen. Sie suchen nach Ablagerungen und nach überzähligen oder kaputten Neuronen und Synapsen, die sie verschlingen. Gerät eine Infektion oder Schädigung außer Kontrolle, schlagen sie Alarm und rufen bestimmte Zellen der Körper-Immunabwehr zu Hilfe. Im Gehirn beginnt eine Entzündungsreaktion, wissenschaftlich: Neuroinflammation.

Verklebte Nervenbahnen führen zum Zelltod im Gehirn

Bei Alzheimer-Patienten sind die Mikroglia ständig überaktiv. Und so wird das, was eigentlich heilen soll, zur Gefahr fürs Gehirn. Eine beständige Neuroinflammation führt zu einer Erkrankung des zentralen Nervengewebes. Bei der Alzheimer-Krankheit entstehen dabei in der Großhirnrinde viele abnormale Proteine namens Amyloid-Plaques und Tau-Tangles. Diese Ablagerungen beeinträchtigen die Kommunikation zwischen den Nervenzellen und führen schließlich zum Absterben von Zellen, was die kognitiven Fähigkeiten der Betroffenen stark einschränkt.

Genau diese charakteristischen Amyloid-Plaques und Tau-Tangles zeigten sich bei dem Subtyp der Alzheimer-Krankheit, den die Forschenden ausgemacht haben.

Sie untersuchten für die Studie gespendetes Organgewebe von mehr als 100 Personen – Alzheimer-Erkrankte und nicht erkrankte Spender. Das Gewebe stammte aus Dickdarm, Vagusnerv, Gehirn und Rückenmarksflüssigkeit. Als das Team die Untersuchungen bei Organproben anderer Spender wiederholte, fand es dieselben Hinweise: einen Einfluss des Cytomegalievirus auf die Immunantwort von Mikroglia-Zellen.

Auch bei künstlich erzeugten Zellkulturen führte das Virus zu einer erhöhten Produktion von Amyloid- und Tau-Proteinen und in der Folge zum Tod von Nervenzellen.

Diese Illustration zeigt braune "Plaques" zwischen blauen Nervenzellen des GehirnsBild: National Institute on Aging, NIH/AP/picture alliance

Nicht jede CMV-Infektion begünstigt eine Alzheimer-Erkrankung

Zwar kommt fast jeder Mensch im Laufe seines Lebens mit dem CM-Virus in Kontakt. Doch das ist nicht automatisch ein Grund zur Sorge. Denn einen deutlichen Zusammenhang zwischen CMV und der Alzheimer-Krankheit fanden die Forschenden nur bei Menschen, die eine chronische CMV-Infektion im Darm haben – und das sind nur wenige.

 "Wir arbeiten intensiv daran, zu verstehen, warum manche Menschen eine chronische CMV-Infektion in ihrem Darm entwickeln, während dies bei den meisten Menschen nicht der Fall ist", sagt Ben Readhead im Interview mit der DW.

Readhead und sein Team arbeiten nun an der Entwicklung eines Bluttests, mit dem sich eine CMV-Infektion des Darms nachweisen lässt. Dann könnten Patientinnen und Patienten mit antiviralen Medikamenten behandelt werden – und so möglicherweise vor der Entwicklung dieser Art der Alzheimer-Krankheit bewahrt werden.

Bis die Forschungsergebnisse aber tatsächlich in die klinische Versorgung einfließen könnten, erklärt Readhead, brauche es eigene Studien, die zeigten, ob und wann eine solche Behandlung sinnvoll sein könnte.

 

Quellen:

 https://alz-journals.onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/alz.14401 

https://gesund.bund.de/cytomegalievirus-infektion

https://www.dasgehirn.info/grundlagen/glia/mikroglia-gesundheitswaechter-im-gehirn

Jeannette Cwienk Autorin und Redakteurin, Fokus unter anderem: Klima- und Umweltthemen