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Politik

Neuer Erinnerungsort für NS-Opfer

Mikhail Bushuev
10. Juni 2020

Sollen polnische Opfer des NS-Terrors einen eigenen Erinnerungsort in der deutschen Hauptstadt erhalten? In der Politik gibt es dafür einflussreiche Fürsprecher. Und ein Alternativprojekt. Bald soll entschieden werden.

Deutschland | Gedenkstätte Plötzensee in Berlin
Bild: picture-alliance /dpa/U. Baumgarten

Wie soll Deutschland angemessen der Nazi-Verbrechen im Osten gedenken? Die Debatte über diese zentrale Frage der Erinnerungspolitik ist neu entflammt, weil bald über ein entsprechenden Gedenkort in Berlin entschieden werden soll. 
Im Kern gibt es zwei unterschiedliche Konzepte: Schon lange im Gespräch ist ein Mahnmal für die polnischen Opfer des Zweiten Weltkrieges. Ebenfalls in der Diskussion ist ein Dokumentationszentrum, das die Erinnerung an alle Opfer des NS-Regimes in Osteuropa sammeln und bewahren soll. 

Polen hat besonders gelitten 

In den vergangenen Jahren hat die Initiative für ein "Polen-Denkmal"in Berlin große Unterstützung erfahren. Sie wünscht sich in der Hauptstadt ein Mahnmal, das an die polnischen Opfer des deutschen Besatzungs- und Vernichtungsregimes erinnert. "Der Sinn dieser Initiative ist es, eine Leerstelle im deutschen Gedenken zu füllen", sagt der frühere Bundestagsprädient Wolfgang Thierse (SPD) im DW-Interview.


Zwar gebe es zahlreiche Orte, die an NS-Verbrechen erinnern, unter anderem das Holocaust-Mahnmal in Berlin, aber "dass Polen, das erste Opfer des Nazi-Überfalls, unser unmittelbarer Nachbar, fünf Jahre furchtbar unter der deutschen Besatzung gelitten hat, ist wenig bekannt und wenig in Erinnerung".

Das Holocaust-Mahnmal am Brandenburger Tor in BerlinBild: picture-alliance/dpa

Die Initiative für ein Polen-Denkmal hat namhafte Unterstützer: Die Liste verzeichnet 137 Namen aus Politik und Gesellschaft – neben Thierse auch seine Vorgängerin Rita Süssmuth (CDU). Einen ähnlichen Aufruf startete unabhängig davon eine Gruppe von Bundestagsabgeordneten, zu der auch Manuel Sarrazin (Bündnis 90/Grüne) und CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zählen.


Dokumentationszentrum: "Nationalisierung der Opfer vermeiden"

Als Alternative zum Polen-Denkmal habe sich die Idee eines Dokumentationszentrums etabliert, "das ganz Europa in den Blick nimmt", wie es der frühere Präsident des Volksbundes Deutsche Kriegsgräberfürsorge, Markus Meckel, im DW-Interview erklärt. Das Zentrum solle Gedenken und Information an die Verbrechen Nazi-Deutschlands insbesondere im Osten zusammenfügen. Meckel und die namhaften Historiker Martin Aust und Heinrich August Winkler sind heute die treibende Kraft hinter dieser Initiative.

SPD-Politiker Markus Meckel Bild: DW/A. M. Pedziwol

Das Polen-Denkmal nennt Meckel im DW-Interview einen "Irrweg", da man Opfer nach nationalen Kriterien gedenke. Das Dokumentationszentrum schaffe ein würdiges Gedenken an alle Opfer des NS-Vernichtungskrieges.
Wolfgang Thierse erkennt das Argument der "Nationalisierung" der Opfer als "gewichtigen Grund" zwar an, er fügt aber hinzu: "Die Alternative heißt, wir tun das, was die Nazis getan haben, nämlich sie sprachen von den slawischen Untermenschen, sie haben keinen Unterschied gemacht."

Als Alternative zum Polen-Denkmal hat sich die Idee eines Dokumentationszentrums etabliert, "das ganz Europa in den Blick nimmt", wie es der frühere Präsident des Volksbundes Deutsche 

Meckel: "Besatzungskrieg im Westen, Vernichtungskrieg im Osten"

In Berlin gibt es aus DDR-Zeiten bereits ein Denkmal "der deutsch-polnischen Waffenbrüderschaft". Ein verlogenes Denkmal, so Meckel und Thierse, der rhetorisch fragt: "Welche Waffenbrüderschaft hat es je gegeben?" 
Aus Sicht von Markus Meckel ist ein neues Polen-Mahnmal nicht nötig. Man könne stattdessen das bereits existierende neu gestalten, damit es nicht mehr geschichtsfälschend wirke.

Zwar unterscheiden sich beide Initiativen erheblich, aber sie haben auch mehrere Gemeinsamkeiten: Geht es doch beiden um das Aufrechterhalten der Erinnerung an die wenig im öffentlichen Gedächtnis präsenten 

Verbrechen der Nazis, hauptsächlich im Osten.Europas. "Jeder in Deutschland kennt das Massaker von Oradour in Südfrankreich. Doch in Weißrussland gibt es über 600 solcher Dörfer. Das ist etwas, was in Deutschland keiner weiß", so Meckel. Der SPD-Politiker war lange Jahre Vorsitzender der deutsch-polnischen Parlamentariergruppe und leitet heute die deutsch-belarussische Gesellschaft.

Er will die Verbrechen nicht gegeneinander ausspielen, aber indem man sie darstelle, werde auch der Unterschied deutlich - zwischen dem Besatzungskrieg in West- und dem Vernichtungskrieg in Osteuropa, so Meckel.

Einigung in Sicht?

In der Diskussion über einen neuen Erinnerungsort, der am Askanischen Platz unweit der Kriegsruine des Anhalter Bahnhofs in Berlin entstehen soll, gibt es nun Bewegung. Vertreter beider Aufrufe, zumal teilweise von denselben Leuten unterzeichnet, nähern sich in  jüngster Zeit an, was mindestens Manuel Sarrazin von den Grünen nicht wundert. "Die beiden Initiativen widersprechen sich nicht, sondern ergänzen sich.“  

Offenbar hat sich die große Koalition auf eine Kompromisslinie verständigt. So wollen laut Medienberichten die Koalitionsparteien noch vor der Sommerpause im Bundestag auf einen Beschluss zur Errichtung eines neuen NS-Erinnerungsortes in Berlin drängen. Dort solle an die Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungskriege in Europa, "im Besonderen im Osten Europas" erinnert werden. 

Von den beiden Initiativen liegt dem Kulturausschuss des Bundestags nach DW-Informationen bisher nur ein Antrag vor: der Antrag zur Gründung des gemeinsamen Dokumentationszentrums. Sollte es dabei bleiben, wären die Pläne für ein eigenes Polen-Denkmal vom Tisch.

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