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"Bankrotterklärung westlicher Syrien-Politik"

Andreas Noll31. Oktober 2015

In Wien haben erstmals seit Ausbruch des Bürgerkrieges in Syrien alle Schlüsselakteure über eine politische Lösung gesprochen. Bemerkenswert ist vor allem der Kurswechsel der USA, sagt Nahost-Experte Michael Lüders.

Vor der Syrien-Konferenz in Wien: Gruppenbild mit Lawrow und Kerry (Foto: Getty)
Bild: Getty Images/AFP/B. Smialowski

Deutsche Welle: Herr Lüders, die Teilnehmer des Friedensgipfels für Syrien haben sich auf Eckpunkte verständigt. Diese sehen unter anderem die Bildung einer Übergangsregierung vor - sowie Wahlen unter UN-Aufsicht. Ist eine politische Lösung des Konfliktes damit realistischer geworden?

Michael Lüders: Es ist auf jeden Fall gut, dass sich alle beteiligten Kriegsparteien - mit Ausnahme der Syrer selbst - in Wien getroffen haben. Aber das ist natürlich nur ein erster Schritt in die richtige Richtung. Die Konferenz soll ja daher auch in zwei Wochen fortgesetzt werden.

Allen Beteiligten ist klar, dass sehr viel auf dem Spiel steht. Aber es gibt noch einen Grund-Dissens der externen Mächte, die auf den Krieg in Syrien Einfluss nehmen. Die westlichen Staaten (die USA, die Europäer und die Türkei) und die Golfstaaten wollen den Sturz von Baschar al-Assad und seinem Regime sehen. Russland, Iran und China wollen aber genau diesen Sturz verhindern.

Wie könnte hier eine Lösung aussehen, die für alle Beteiligten akzeptabel wäre?

Die Russen, die Iraner und die Chinesen werden auf jeden Fall am Regime von Baschar al-Assad festhalten - aber nicht unbedingt an seiner Person. Man kann sich vorstellen, dass er kurz- oder mittelfristig ins Exil geht - zum Beispiel nach Russland. Das aber setzt voraus, dass sich seine Gegner im Gegenzug bereit erklären, dieses Regime am Leben zu erhalten.

Es ist ja auch nicht so, dass alle Syrer gegen dieses Regime eingestellt wären. Was wiederum nicht mit Zuneigung oder Sympathie für dieses von der religiösen Minderheit der Alawiten getragene Regime zu erklären ist, sondern mit der Angst vor dem, was danach kommen würde. Es würden nach dem Sturz ja nicht Demokratie, Freiheit und Menschenrechte um sich greifen, sondern es würden dann wahrscheinlich die Truppen des sogenannten Islamischen Staates in Damaskus einmarschieren. Und davor haben viele Syrer - vor allem Angehörige der religiösen Minderheiten - noch größere Angst als vor Assad.

Zu den Kernpunkten in Wien zählt die Forderung, dass Syriens staatliche Integrität und sein säkularer Charakter erhalten bleiben müssten. Ist dies angesichts der weit fortgeschrittenen Zersplitterung des Landes überhaupt noch möglich?

Nein. Da spiegelt sich ein gewisses Wunschdenken wider. Das Regime von Baschar al Assad kontrolliert noch etwa 30 Prozent des syrischen Territoriums - entlang der Linie Damaskus-Homs im Zentrum Syriens und dann westlich in Richtung Mittelmeerküste. Die übrigen Landesteile werden überwiegend vom IS oder der Nusra-Front, dem syrischen Ableger von Al Kaida, oder anderen islamistischen oder sonstigen Gruppierungen kontrolliert. Hier spricht wenig dafür, dass das Regime diese verlorenen Landesteile zurückerobern könnte.

Die externen Mächte verfolgen hier also eine zweigeteilte Strategie: Zum einen versuchen sich Russland und die USA darüber zu verständigen, wie es mit dem Regime weitergeht. Die nächste Frage ist dann, wie kann man den "Islamischen Staat" bekämpfen, ihn möglicherweise ganz aus Syrien verdrängen.

Nahost-Experte Michael Lüders

Hier deutet sich ein Kurswechsel der USA an, die jetzt erstmals bereit sind, mit Bodentruppen in Syrien militärisch zu intervenieren. Aber die Entsendung weniger Spezialkräfte ist wahrscheinlich nur der erste Schritt für noch größere Offensiven der USA im Windschatten der Russen. Die Amerikaner wollen den Russen nicht das Feld überlassen.

Zeugt diese Entscheidung der USA zum Einsatz von Bodentruppen, die parallel zum Wiener Gipfel verkündet wurde, von einer weiteren Militarisierung des Konfliktes?

Es ist natürlich eine weitere Militarisierung des Konfliktes, und es ist natürlich auch kein sehr durchdachtes Konzept. Diese wenigen Elitesoldaten werden natürlich keine militärische Entscheidung herbeiführen können. Es handelt sich eher um Symbolpolitik, die den Russen signalisieren soll: Auch wir erheben unsere Ansprüche auf Syrien. Wir werden euch nicht das Feld überlassen. Die Russen sind ja massiv mit etwa 3000 Militärberatern in Syrien präsent und unterstützen das Regime.

Es ist - wenn man so will - ein Stellvertreterkrieg zwischen den USA und Russland, der sich hier immer stärker offenbart. Aber die Obama-Administration hat erkannt, dass sie keine wirkliche Alternative zum russischen Vorgehen hat. Sie muss sich mit der russischen Präsenz Russlands in Syrien arrangieren.

Wenn man es ganz offen und ehrlich betrachtet, ist es eine Bankrotterklärung der Syrien-Politik westlicher Staaten in den vergangenen vier Jahren. Man hat nichts erreicht mit dem eigenen Versuch das Regime zu stürzen. Und jetzt haben Russen und Iraner einen großen Einfluss. Diese Entwicklung war abzusehen.

Der promovierte Islamwissenschaftler und Politologe Michael Lüders ist Publizist, Politik- und Wirtschaftsberater, Roman- und Sachbuchautor sowie stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Orient-Stiftung und Präsident der Deutsch-Arabischen Gesellschaft.

Das Gespräch führte Andreas Noll.

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