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Politik

Lügenpresse auf Koreanisch

Fabian Kretschmer
21. April 2017

Am 9. Mai wählt Südkorea einen neuen Präsidenten. Dabei ist "Fake News" ein massives Problem im Wahlkampf. Bei den letzten Wahlen war sogar der Geheimdienst massiv involviert. Aus Seoul Fabian Kretschmer.

Südkorea Presse zu Nordkorea Raketentest
Bild: AP

Ein kurzes Online-Video hat den Verlauf der südkoreanischen Präsidentschaftswahl möglicherweise nachhaltig beeinflusst: Auf den wackeligen Bewegtbildern ist Ban Ki-moon beim Grabbesuch seiner Familienahnen zu sehen. Im konfuzianischen Korea ist dies eine wichtige symbolische Geste - zumal für den scheidenden UN-Generalsekretär, der noch im Januar als einziger Hoffnungsträger des konservativen Lagers bereits als nächster Präsident gehandelt wurde. In den meisten Umfragen lag Ban zu jenem Zeitpunkt mit weitem Abstand vorne.

Dann jedoch beging in besagtem Video einen gravierenden Tabubruch. Während des Grabrituals trank er ein Glas Reisschnaps, das eigentlich als Gabe für die Verstorbenen angedacht war. Die Internetgemeinde empörte sich zu Zehntausenden. Der Grundkonsens des Aufschreis: Der Karrierepolitiker aus New York hätte längst den Draht zu seinem Heimatland verloren und sei als Politiker nicht tragbar.

Hoffnungsträger Ban Ki-moon kandidiert nicht, wegen eines manipulierten VideosBild: Reuters/Kim Hong-Ji

Video manipuliert

Was die meisten Nutzer nicht wussten: Das Video wurde in einer Falschmontage bewusst manipuliert. Nur wenige Tage nach dem "Shitstorm" kündigte Ban Ki-Moon an, nicht für das südkoreanische Präsidentenamt zu kandidieren. "Mein purer Patriotismus wurde durch Verleumdungen und fake news demontiert", sagte der 72-Jährige in einer Pressekonferenz.

Fake News ist ein relativ junger Begriff, der im politischen Kurs dennoch auf weiten Teilen des Globus für Furore gesorgt hat. Das Hightech-Land Südkorea ist besonders stark von der Verbreitung digitaler Falschmeldungen betroffen. Kaum eine Nation der Welt ist stärker vernetzt, hat schnelleres Internet und höhere Smartphone-Anteile als Südkorea.

Seit der Amtsenthebung von Ex-Präsidentin Park Geun-hye und den vorgezogenen Neuwahlen am 9. Mai wird die Debatte um die Falschmeldungen außerordentlich hitzig geführt. Die traditionellen Medien greifen bei diesem sozialen Problem zu mitunter extrem drastischen Metaphern.

Die linksgerichtete Tageszeitung "Hankyeoreh" schrieb etwa: "Das Erstellen und Verbreiten von Fake News unterscheidet sich nicht wesentlich von der Propaganda der Nazis, die Lügen benutzt haben, um die deutsche Öffentlichkeit in die Schrecken des Krieges zu stürzen. Eine Demokratie kann nicht aufrechterhalten werden, wenn der Staat es zulässt, dass sich Goebbels-mäßige Lügen frei verbreiten können." 

Artikel über Nordkorea haben oft wenig WahrheitsgehaltBild: picture-alliance/AP

Vertrauensverlust gegenüber Medien

Dabei ist das Problem der Fake News vor allem in ein Vakuum getreten, dass die herkömmlichen Medienhäuser Südkoreas hinterlassen haben. Seit mehreren Jahren gibt es ein Äquivalent zum "Lügenpresse"-Vorwurf in Deutschland. "Giraegi" werden die Journalisten von vielen Aktivisten auf beiden Seiten des politischen Spektrums genannt, eine Mischung aus den Wörtern Gi-ja (Journalist) und Se-rae-gi (Abfall).

Der drastische Vorwurf fußt auf den moralisch verwegenen Standards der koreanischen Presse. Wer beispielsweise die Wirtschaftsseiten der Tageszeitungen aufschlägt, wird mit bezahlten, jedoch nicht als solche gekennzeichneten Schleichwerbungen von Samsung und Co. überhäuft. Politische Gerüchte werden oftmals trotz fragwürdiger Quellenlage aufgegriffen, solange es der ideologischen Agenda der jeweiligen Zeitung dient. Und bei den meisten Artikeln über Nordkorea gleicht die Frage nach dem Wahrheitsgehalt einem Münzwurf.

Laut einer aktuellen Umfrage des US-Marktforschungsinstituts "Edelman" trauen nur 42 Prozent aller koreanischen Internetnutzer den traditionellen Medien wie Zeitung, Radio und TV. Vor fünf Jahren waren es immerhin noch 58 Prozent.

Seit letztem Sommer trat die ideologische Spaltung des Landes so offen zu Tage wie kaum. Während die Staatsanwaltschaft die Rolle der damaligen Präsidentin Park Geun-hye im Korruptionsskandal untersuchte, demonstrierten sowohl ihre Anhänger als auch Gegner jede Woche im Seouler Stadtzentrum. Bei beiden Lagern kam es zu Übergriffen gegenüber Fernsehjournalisten. Der Vorwurf war von beiden Seiten derselbe: Die Reporter würden die Wahrheit bewusst manipulieren.

Kakao Talk Bild: kakao.com

Verschwörungstheorien auf Chat-Apps

Besonders die konservative Seniorengeneration, die zu großen Teilen mit patriotischer Loyalität an der damaligen Präsidentin hing, hat sich komplett von den herkömmlichen Verlagen abgewandt. Stattdessen teilten sie untereinander zu zehntausenden in Chatgruppen des koreanischen Nachrichtendienstes KakaoTalk die Nachrichten dubioser Internetseiten.

Viele davon waren frei erfunden wie zum Beispiel: US-Präsident Donald Trump hätte sich gegen die Amtsenthebung von Park Geun-hye ausgesprochen, oder die kommunistische Regierung in Peking hätte bei den Protesten gegen die Präsidentin ihre Hände im Spiel und 60.000chinesische Studenten in Korea mobilisiert. Oder nordkoreanische Spione würden hinter den oppositionellen Demonstranten stecken. 

"Solche Gerüchte schwächen das Vertrauen in die Medien und staatliche Institutionen", sagt Kim Su-yeon von der Nationalen Wahlkommission. Kim leitet eine 185-köpfige Gruppe. Sie konzentriert sich ausschließlich darauf, Falschinformationen während des laufenden Wahlkampfes zu regulieren, die die Wahlentscheidung beeinflussen könnten.

Oft werden die Familienmitglieder der Kandidaten als Protagonisten der Fake News dargestellt. Es kursieren zum Beispiel Gerüchte, dass der linksgerichtete Politiker Moon Jae-in seinem Sohn illegal einen Job bei einer staatlichen Behörde verschafft haben soll. Die Tochter des liberalen Konkurrenten Ahn Cheol-soo hätte die US-Staatsbürgerschaft angenommen, um Steuern zu sparen, hieß es in einer anderen Falschmeldung.

Unterstützer der Ex-Präsidentin Park Geun-hyeBild: picture-alliance/AP Photo/Lee Jin-Man

Schmaler Grat zwischen Kritik und Rufschädigung

Kims Cyber-Untersuchungskommission versucht in einem ersten Schritt, der Sachlage auf den Grund zu gehen. Manchmal könne man sich an einem Gerichtsurteil orientieren, in anderen Fällen müssen eigene Recherchen angestellt werden. Werden Falschinformationen klar als solche identifiziert, werden die Internetprovider zum Löschen der Inhalte aufgefordert. "Handelt es sich um Einzelfälle, bleibt es beim Löschen. Ist jedoch eine gewisse Systematik oder Professionalität bei der Verbreitung von Falschmeldungen zu erkennen, leiten wir rechtliche Schritte ein", sagt Kim. Bislang wurden 17.000 Inhalte gelöscht und gegen elf Personen Ermittlungen eingeleitet.

"Im Gegensatz zur Situation in Amerika, wo die Redefreiheit im Grunde gar nicht beschnitten wird, gibt es in Südkorea die Auffassung, dass einige Bereiche reguliert werden müssen", sagt Kim Su-yeon. Sie macht dabei auf ein grundsätzliches Dilemma der kroeanischen Gesetzgebung aufmerksam. In vielen Fällen wird berechtigte Kritik an Politikern als "Rufschädigung" und damit als Straftat gewertet. Kritiker befürchten, dass unter dem Vorwand der "fake news" auch Opposition mundtot gemacht wird.

Ein Grund gegen die Skepsis staatlicher Institutionen wurzelt in der letzten Präsidentschaftswahl. Damals wurde nämlich der Staat zum systematischen Verbreiter von fake news. Mitarbeiter des südkoreanischen Geheimdienstes haben auf sozialen Netzwerken Tausende von frei erfundenen Profilen erstellt, um Wahlwerbung für die konservative Politikerin und  spätere Präsidentin Park Geun-hye zu machen.