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Politik

"Wir werden die Welt verändern"

Birgit Maaß Brighton
27. September 2017

Während die SPD in Deutschland eine historische Schlappe einstecken muss, sonnt sich der britische Labour-Chef Jeremy Corbyn in der Bewunderung seiner Anhänger. Das Thema Brexit lässt er unter den Tisch fallen.

UK Jährlicher Parteitag von Labour - Momentum Aktivistin
Bild: picture-alliance/empics/G. Fuller

Lange Schlangen, graffiti-besprühte Wände, Veranstaltungen wie "Feminist Jukebox": Momentum, die Bewegung, die Jeremy Corbyn unterstützt, lädt auf dem Labour-Parteitag zur Party ein. "The World Transformed" heißt das Spektakel, das zeitgleich zum Parteitag in Brighton stattfindet. Während im Konferenzzentrum über die Tagesordnung abgestimmt wird, lädt Momentum zur "Horse Meat Disco" ein; bei "Acid Corbyn" ist auch nachts um eins noch was los.

Wenn linke Stars wie Naomi Klein über "Visionen für eine neue Welt" reden, sind die Plätze heißbegehrt. "Make Wealth History", Schafft den Reichtum ab, heisst eine der vielen Kunst-Installationen auf dem Festival. Millennials und Kreative unterstützen den 68-jährigen Parteichef, der als Vegetarier, Fahrradfahrer und Schrebergärtner nicht wirklich in die hippe Szene passt, aber von vielen wegen seiner Prinzipientreue verehrt wird.

Schafft den Reichtum ab: Performance zum Labour-ParteitagBild: DW/B. Maass

Deborah Waters verteilt Corbyn-Buttons auf dem Momentum-Stand. Sie ist eine Frau der ersten Stunde, war jahrzehntelang Parteimitglied, aber ohne großen Enthusiasmus. Dann schaffte es Corbyn an die Parteispitze, und alles war wie neu: "Jeremy weiß, worum es bei Labour wirklich geht": um das Gesundheitssystem, um die Belange der kleinen Leute. Corbyn spräche die Sprache der ganz normalen Wähler, er nähme sich selbst nicht sehr wichtig, das imponiert ihr. Mit ein paar Freunden tat sie sich zusammen, man traf sich anfangs einem winzigen Büro ohne Heizung, und Momentum war geboren. Bei den letzten Parlamentswahlen hatte Corbyn völlig überraschend einen historischen Zuwachs an Stimmen erkämpft. Nun, da ist sich Deborah Waters sicher, ist die Downing Street zum Greifen nah.

Substanzieller Neuanfang

Nicht nur visuell, sondern vor allem in der Substanz wollen Corbyn und seine Unterstützer die Partei erneuern: "We will do politics differently", verspricht Corbyn in seiner vom Parteivolk bejubelten Abschlussrede. Es geht um ein völlig neues Profil. So sollen zum Beispiel die Eisenbahnen und die Wasserversorgung wieder verstaatlicht werden, die Studiengebühren abgeschafft, die Steuern für Besserverdienende angehoben werden. Ein neuer "National Education Service" soll garantieren, dass Arbeitnehmer sich ein Leben lang umsonst weiterbilden können, um den technologischen Herausforderungen der Zukunft gewachsen zu sein.

Jeremy Corbyn: Verstaatlichung und SteuererhöhungenBild: picture-alliance/Photoshot/H. Yan

"Es wird nicht einfach, aber wir werden die Welt verändern", verspricht der Publizist Paul Mason auf einer Momentum-Veranstaltung, in der es darum geht, wie sich eine linke Regierung zukünftig verhalten werde. In der gleichen Veranstaltung fällt der Schatten-Finanzminister John McDonnell dadurch auf, dass er zugibt, dass eine Labour-Regierung unter Corbyn die Anleger soweit verunsichern könnte, dass sie ihr Geld aus dem Pfund abziehen. Später rudert er zurück: Das seien nur "Szenarien" gewesen, man müsse jeden Fall durchspielen.

Brexit? Kein Thema

Mit dem neuen Profil will Labour auch der Gefahr von rechts begegnen: "Die Leute wollen Veränderung", da ist sich der Unterhausabgeordnete Clive Lewis sicher, einer der Unterstützer Jeremy Corbyns. "Wenn wir keine neuen Ideen anbieten, dann bekommen die Rechten Zulauf." Lewis träumt davon, mit anderen europäischen Linken eine Allianz zu bilden. Dass dabei der Brexit eher störend ist, gibt er zu, und spricht sich im nächsten Satz für den Verbleib im gemeinsamen Markt und der Zollunion aus.

Der Brexit - nur etwas für Reiche?Bild: picture-alliance/AA/I. Infantes

Ansonsten aber drückt sich Labour um das wichtigste Thema herum: Der Brexit wird zwar bei vielen sogenannten Fringe-Veranstaltungen diskutiert, aber taucht nur am Rand im Hauptprogramm auf. Die Parteispitze schaut lieber den Tories dabei zu, wie sie sich in Sachen EU zerfleischen, statt eigene Positionen zu entwickeln.

Denn was Europa angeht, befindet Labour sich in einem Dilemma: Zwar ist die Mehrheit neu hinzugewonnenen Labour-Wähler, vor allem in den Städten, für den Verbleib in der EU. Aber bei den Arbeitern, und damit Labours Stammwählern, wollten viele raus - und sie will man nicht verprellen. Dazu kommt, das Corbyn noch nie überzeugter Europäer war. So machte er zum Beispiel noch in diesem Sommer die vielen EU-Einwanderer für schlechtere Bedingungen auf dem britischen Arbeitsmarkt verantwortlich.

Momentum liegt falsch, wenn sie glauben, die nächsten Wahlen schon in der Tasche zu haben, meint die Abgeordnete Helen Goodman, deren Wahlkreis im industrialisierten Norden und damit mitten im Brexit-Gebiet liegt. Denn ewig kann Labour in Sachen Brexit nicht so weitermachen - spätestens vor den nächsten Wahlen muss es klare Positionen geben. Die Frage ist, ob der Corbyn-Enthusiasmus bis dahin anhält.

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