Lage in Kirgisistan spitzt sich weiter zu
14. Juni 2010Zwei Monate nach der Machtübernahme gerät die neue Regierung in Kirgisistan stärker unter Druck. Trotz einer Teil-Mobilmachung des Militärs und eines Schießbefehls hielten die blutigen Unruhen am Wochenende an. Seit Beginn der jüngsten Straßenschlachten wurden weit mehr als 100 Menschen getötet und über 1400 verletzt. Brandstifter legten weite Teile der zweitgrößten Stadt Osch in Schutt und Asche. Die Gewalt griff auch auf die benachbarte Region Dschalalabad über.
Zehntausende auf der Flucht
Wegen der Unruhen zwischen Kirgisen und der usbekischen Minderheit im Land sind zahlreiche Menschen auf der Flucht. Zehntausende Angehörige der Minderheit seien über die Grenze ins benachbarte Usbekistan geflohen, hieß es. Das usbekische Notfallministerium bezifferte ihre Zahl am Sonntag (13.06.2010) auf 32.000 bis 75.000. Viele der Flüchtlinge hätten bei den Ausschreitungen im Süden Kirgisistans Schussverletzungen erlitten.
Vertreter von Rotem Kreuz und der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch zweifelten die Zahl der Flüchtlinge jedoch an. Sie sprachen lediglich von "mehreren tausend". Nach Angaben des stellvertretenden Kommandeurs der kirgisischen Grenzposten haben die usbekischen Behörden die Grenze mittlerweile geschlossen.
Internationale Besorgnis über Eskalation der Lage
UN-Generalsekretär Ban Ki Moon zeigte sich alarmiert über die Gewalt zwischen den beiden größten Bevölkerungsgruppen, Kirgisen und Usbeken. In einer Erklärung kündigte Ban am Sonntag zugleich Hilfe für Flüchtlinge der usbekischen Minderheit in Kirgisistan an.
Auch Bundesaußenminister Guido Westerwelle äußerte sich besorgt und appellierte an alle Seiten, die Gewalt zu beenden. Deutschland werde sich für eine Ausreise der deutschen und übrigen EU-Bürger aus der Konfliktregion einsetzen. In der Stadt Osch sitzen den Angaben zufolge mindestens zwei Bundesbürger fest. Deutschland ist das einzige EU-Land, das in Kirgisistan eine Botschaft unterhält.
Russland verstärkt Militär
Angesichts der seit Tagen andauernden Unruhen verstärkte Russland seine Truppen in Kirgisistan. Drei Maschinen der Luftwaffe hätten am Sonntag eine Einheit Fallschirmjäger zum russischen Stützpunkt im Norden des Landes entsandt, erklärte das Moskauer Verteidigungsministerium. Ziel sei es, den russischen Stützpunkt zu schützen. Die kirgisische Führung hatte Russland zuvor um militärischen Beistand gebeten, um die Lage im Süden des Landes unter Kontrolle zu bringen. Dies hatte Moskau aber abgelehnt.
Die kirgisische Regierung sieht hinter der Eskalation einen Racheakt des im April gestürzten Präsidenten Kurmanbek Bakijew. In seinem weißrussischen Exil wies dieser jedoch jede Schuld an den Straßenschlachten in seiner Heimat zurück. Auch sein Familienclan, von dem viele Mitglieder wegen Massenmordes zur internationalen Fahndung ausgeschrieben sind, habe mit den Zusammenstößen nichts zu tun. Bakijew hält sich weiter für den rechtmäßigen Staatschef Kirgisistans.
Autor: Frank Wörner (rtr/dpa/apn/afp)
Redaktion: Rainer Esser