Hilfsorganisationen kritisieren italienische Pläne für Abschiebelager
20. März 2009Das Handy klingelt. Barbara Molinario vom Flüchtlingskommissariat der Vereinten Nationen (UNHCR) kann es nicht ausschalten. Dafür ist die Lage in den beiden Lagern auf Lampedusa zu angespannt. Dort leben zu viele Menschen auf engstem Raum, es gibt zu viel Unsicherheit und Angst, es gibt zu viel Langeweile. Das schürt die Aggression. Keines der beiden Lager ist dafür gebaut worden, dass dort mehrere hundert Menschen für mehrere Wochen und Monate festgehalten werden. Deswegen hat der UNHCR gemeinsam mit dem italienischen Roten Kreuz, mit der Internationen Organisation für Migration (IOM) und der Hilfsorganisation "Save the Children" eine scharfe Protestnote an Italiens Innenminister Roberto Maroni geschickt.
Aufkündigung eines EU-Projekts?
Früher blieben die Flüchtlinge nur ein paar Tage, zur Erstversorgung, dann ging es weiter in Unterkünfte auf Sizilien und dem italienischen Festland. Von dort konnten sie sich relativ leicht absetzen und untertauchen. Und genau das will die italienische Regierung unterbinden.
"Wir sagen ganz klar, dass jede Art einer dauerhaften Unterbringung auf Lampedusa extrem schwierig ist", sagt Barbara Molinario. "Als im Januar vorübergehend alle Transporte von der Insel gestoppt wurden, waren die Lebensbedingungen für die Migranten absolut unerträglich." Damals waren 1800 Menschen im zentralen Auffanglager der Insel eingepfercht, das nur für kurze Zeit 800 Menschen beherbergen kann. "Wir möchten deshalb ausdrücklich betonen, dass das alte Model vorbildlich war: Wir haben die Migranten aufgenommen und versorgt, wir haben sie über ihre Rechte informiert und sie dann in größere Zentren transferiert, in denen es angemessene Strukturen für sie gibt."
Weg vom "gemischten Fluss" der Migration
Das alte Modell hatte tatsächlich Modellcharakter. Es war mit Fördermitteln der Europäischen Union entstanden. Hilfsorganisationen und italienische Behörden sollten im so genannten "Präsidium-Projekt" gemeinsam testen, wie "der gemischte Fluss der Migration" Richtung Europa angemessen gehandhabt werden kann. Italien hat dieses Projekt durch seinen Politikwechsel in Frage gestellt.
Im vergangenen Jahr haben fast 32.000 Menschen aus Afrika und Asien die kleine Insel Lampedusa erreicht. Barbara Molinario vom UNHCR spricht von Migranten, die eine lebensgefährliche Reise riskieren. Die rechtskonservative Regierung in Rom spricht in der Regel von illegalen Einwanderern. "Das ist so falsch", sagt die 34-jährige Römerin. Die Statistik des vergangenen Jahres gibt ihr Recht: Danach waren nur die wenigsten Migranten, die auf Lampedusa landeten, Wirtschaftsflüchtlinge. 70 Prozent haben in Italien Asyl beantragt, und davon sind 50 Prozent als Asylbewerber oder Flüchtlinge anerkannt worden. Für Barbara Molinario sprechen diese Zahlen eine so deutliche Sprache, dass auch das Innenministerium in Rom sie nicht ignorieren könne. "Wir reden hier über Menschen, die keine andere Wahl haben."
Lager-Bauarbeiten auf der Insel
Im Moment werden über 700 Migranten auf Lampedusa festgehalten. Mehr geht nicht. In beiden Lagern auf der Insel laufen Bauarbeiten. Als am vergangenen Wochenende vier neue Boote mit über 500 Menschen ankamen, verfrachteten die zuständigen Behörden die meisten der erschöpften Menschen ohne Pause direkt auf die tägliche Fähre Richtung Sizilien. Auch dagegen hat der UNHCR inzwischen offiziell protestiert, sagt Barbara Molinario: "Es muss doch eine Balance geben können. Es kann nicht sein, dass die Menschen dann auf einmal so schnell weitertransportiert werden, dass wir sie überhaupt nicht mehr erreichen können. Auf der anderen Seite darf es aber auch kein Zentrum zur Abschiebung geben, das sofort überfüllt ist."
Hilflose Helfer
Federica Bertolin von der Hilfsorganisation "Save the Children" teilt die Kritik ihrer Kollegin. Sie kümmert sich um die besonderen Bedürfnisse der minderjährigen Flüchtlinge.
"Wir sind sehr besorgt, wenn wir die Kinder und Jugendlichen unter den Migranten nicht erreichen können. Das ist vor allem dann der Fall, wenn sie unmittelbar nach ihrer Rettung getrennt werden. Das ist tatsächlich passiert, und zwar auf der Basis ihrer Hautfarbe." Sie schildert einen konkreten Fall, der sie erstaunt hat. Die hellhäutigen Nordafrikaner seien in das Abschiebezentrum auf Lampepdusa gekommen. Die Schwarzafrikaner seien sofort und ohne Pause nach Sizilien gebracht worden. "Ich hatte nicht mal zehn Minuten um sie zu fragen, wie es ihnen geht", schildert Federica Bertolin und spricht von einer massiven Missachtung der Rechte der Bootsflüchtlinge.
Auch "Save the Children" hat heftig gegen die Einrichtung des so genannten "Zentrums zur Identifikation und Abschiebung" auf Lampedusa protestiert. Federica Bertolin nennt einen von vielen Kritikpunkten, der ausschließlich minderjährige Bootsflüchtlinge betrifft. "Das Röntgen des Handgelenks ist hier die einzige Möglichkeit, das Alter zu bestimmen. Aber der Test ist aus vielen Gründen nicht der beste Weg. Es passiert, dass aus Minderjährigen Erwachsene gemacht werden."
Wie jung ist zu jung?
Minderjährige dürfen nicht abgeschoben werden. Erwachsene schon. Die Fehlerspanne beim Handwurzel-Test liegt bei zwei Jahren. Im Augenblick müssen die Helfer genauso wie die betroffenen Migranten mit solchen Unsicherheiten leben. Die italienische Regierung will sich erst im April dazu äußern, wie es auf Lampedusa weitergehen soll.
Autorin: Sandra Petersmann
Redaktion: Sandra Voglreiter