Land der Skeptiker
13. Juni 2003Wenn es so etwas gäbe, dann müsste man den Nobelpreis für Skepsis an die Tschechen verleihen. Das sagte EU Erweiterungskommissar Günther Verheugen bei seinem letzten Besuch in diesem Land vor dem EU-Referendum. Die Tschechen - so die Erfahrung des Brüsseler Kommissars - seien eben besonders skeptisch, was ihre Zukunft in der erweiterten EU betrifft.
Wieviel EU-Regulierung schwappt nach Tschechien?
Noch zwei Tage vor dem EU-Volksentscheid warf Präsident Vaclav Klaus der EU "gefährlichen Zentralismus" und "Druck zur Superregulierung" vor. Auch der Chef-Außenpolitiker der bürgerlichen Oppositionspartei ODS, Jan Zahradil, ist der EU gegenüber äußerst zurückhaltend. Als Mitglied des Europäischen Konvents ist er mit kritischer Stimme auch an den Beratungen über die künftige Struktur der EU beteiligt.
Trotz oder gerade wegen all dieser Vorbehalte will der ODS-Politiker Zahradil beim Referendum für den EU-Beitritt Tschechiens stimmen. "Nur wenn wir dabei sind, können wir etwas beeinflussen", gibt er die Marschrichtung vor. Der EU-Zentralismus werde mit der Schaffung des Konvents noch verstärkt, warnte auch Staatspräsident Klaus. Den Euro-Ländern warf der Konservative vor, mit der Einführung einer einheitlichen Währung die momentane Wirtschaftskrise in Europa mitverschuldet zu haben. Damit trifft er einen sensiblen Nerv bei seinen Bürgern.
Gefährdet die EU den mühsamen Aufschwung?
Das geographisch mitten in Europa liegende Land, eingebettet zwischen Deutschland und Polen, der Slowakei und Österreich, wird seit der politischen Wende im Jahr 1989 demokratisch regiert und erlebte den Umbruch vom Kommunismus zur Marktwirtschaft. Nach mehreren Jahren Rezession Ende der 1990-er Jahre geht es nun wirtschaftlich wieder bergauf.
Tschechien knüpft an frühere Zeiten an: Vor dem Zweiten Weltkrieg zählte das Land zu den zehn wirtschaftlich am meisten entwickelten Nationen der Welt. Von der Aufnahme in die Europäische Union erhoffen sich die zehn Millionen Tschechen auch wirtschaftliche Vorteile. Aber selbst die EU-begeisterten jungen Tschechen haben Bedenken. Sie gehen davon aus, dass es noch Jahre oder gar Jahrzehnte dauert, bis ihr Land als gleichberechtigtes EU-Mitglied anerkannt wird.
Informationsdefizite und Europamüdigkeit
Als Ironie der Geschichte mutet es an, dass der im Februar zum tschechischen Präsidenten gewählte Europa-Gegner Vaclav Klaus von der oppositionellen ODS das Land in die EU führen soll. Der Politiker gilt als politischer Erzrivale seines Vorgängers Vaclav Havel. Landesweite Informationskampagnen sollten diesen Schritt der Bevölkerung schmackhaft machen. Dennoch bezweifelt jeder dritte Tscheche, persönlich von einem Beitritt zu profitieren.
Wie wird sich die Bevölkerung entscheiden?
Trotz aller Skepsis: Die bisherigen Referenden – in Malta, Slowenien, Ungarn, Litauen und der Slowakei – sind positiv ausgefallen. Das "Ja" zur EU-Mitgliedschaft ab dem 1. Mai 2004 gilt nach den letzten vor dem Referendum veröffentlichten Umfragen auch in Tschechien als wahrscheinlich. Bis zu 76 Prozent der Befragten gaben an, für den Beitritt stimmen zu wollen.
Für die Gültigkeit des ersten Volksentscheids in der tschechischen Geschichte ist keine Mindestbeteiligung notwendig. Bei einer sehr schwachen Teilnahme würde die sozialliberale Koalition allerdings unter Druck geraten. Der Wahlkampf zu Gunsten der EU-Mitgliedschaft wurde in den vergangenen Wochen von zahlreichen europäischen Spitzenpolitikern durch Besuche in Tschechien unterstützt. Sollte die Mehrheit denoch gegen den Beitritt stimmen, könnte ein ähnliches Referendum laut Gesetz erst wieder in zwei Jahren stattfinden. (üing/arn)