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PolitikBulgarien

Land im Dauerwahlmodus: Bulgarien wählt erneut

6. Juni 2024

In Bulgarien findet am Sonntag zugleich mit der Europawahl eine vorgezogene Parlamentswahl statt - die sechste nationale Wahl in drei Jahren. Alte und umstrittene Politiker könnten an die Macht zurückkehren.

Zwei Männer in Anzug (Bojko Borissow und Deljan Peewski) an einem Tisch
Bulgariens Ex-Premier Bojko Borissow und der Geschäftsmann Deljan PeewskiBild: BGNES

Die EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen besuchte in der vergangen Woche Bulgarien, um die GERB-Partei, ein Mitglied der europäischen EVP-Familie, vor der Wahl zu unterstützen. Sie besuchte ein Land, das innerhalb der Europäischen Union vielerlei Einzigartigkeiten aufweisen kann. Eine davon: In Bulgarien findet am Sonntag - zeitgleich mit der Europawahl - die sechste Parlamentswahl in nur drei Jahren statt.

Das ist nicht alles. Rumen Radew, der Präsident des NATO- und EU-Landes, wiederholt oft Kreml-Positionen zum Krieg gegen die Ukraine und behauptet unter anderem, Russland könne nicht besiegt werden. Der nächsten Regierung des Landes könnten auch Politiker angehören, die im Westen als korrupt gelten, darunter sogar einige, die im Rahmen des Magnitsky-Gesetzes der USA sanktioniert sind.

Bulgariens Staatspräsident Rumen RadewBild: BGNES

Schließlich und nicht zuletzt: Einer der Rekordhalter für die längste Regierungszeit in der EU, der Ex-Premier Bojko Borissow, kehrt nach einer Abwesenheit von etwa drei Jahren in die bulgarische Politik zurück. Viele Wahlbeobachter und Kritiker in Bulgarien sehen Borissow als Symbol für die Verflechtung von Politik und organisierter Kriminalität.

Niedrige Wahlbeteiligung

Um ihn und den mit US-amerikanischen Sanktionen belegten ehemaligen Medienmagnaten und Oligarchen Deljan Peewski dreht sich derzeit die gesamte Wahldiskussion. Es wird erwartet, dass Borissow und seine Partei GERB (Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens) bei den gleichzeitig stattfindenden Parlaments- und Europawahlen 24 bis 25 Prozent der Stimmen erreichen werden. Das rechtsliberal-konservativ ausgerichtete Bündnis Wir führen den Wandel fort - Demokratisches Bulgarien (PP-DB) kommt demgegenüber auf 15 bis 16 Prozent. An dritter Stelle liegt die Partei der Muslime Bulgariens, die Bewegung für Rechte und Freiheiten (DPS). Zu ihrem Ko-Vorsitzenden wurde kürzlich eben jener Deljan Peewski gewählt - und das obwohl er selbst kein Muslim ist.

Die Wahlbeteiligung in Bulgarien lag in den letzten drei Jahren überwiegend bei rund 40 Prozent. Wahlbeobachter gehen auch diesmal von einem ähnlichen Wert aus, wobei die jüngsten Umfragen jedoch eine Beteiligung von rund 48 Prozent erwarten. Fest steht: GERB und DPS würden von einer niedrigen Wahlbeteiligung profitieren.

Schwierige Regierungsbildung

Die GERB-Partei von Bojko Borissow regierte zehn Monate lang zusammen mit dem liberal-konservativen Bündnis PP-DB. Ihre gemeinsame Regierung konsolidierte sich auf euro-atlantische Werte und die bedingungslose Unterstützung der Ukraine im Kampf gegen den russischen Aggressor. Nach dem Zusammenbruch dieser Koalition im April dieses Jahres ist es zwar nicht unmöglich, aber unwahrscheinlich, dass sich dieses Regierungsbündnis nach den Wahlen noch einmal wiederholt. Die meisten Beobachter rechnen mit einer Koalition zwischen GERB und der Partei der Muslime DPS.

Die Führung des Bündnisses Wir führen den Wandel fort - Demokratisches Bulgarien (PP-DB) gibt ihr Regierungsmandat am 27.03.2024 an Präsident Rumen Radew zurückBild: BGNES

Allerdings könnte es auch zu anderen Konstellationen kommen, wie der Meinungsforscher Georgi Ganew von der Agentur Trend sagt: "Selbst wenn GERB und DPS über eine Mehrheit im Parlament verfügen, wird diese knapp ausfallen, und es ist unwahrscheinlich, dass sich die beiden Parteien dazu entschließen, mit einer so schwachen Unterstützung zu regieren, wenn nicht noch ein oder zwei andere Parteien hinzukommen. Gleichzeitig dürfte die PP-DB-Wählerschaft nicht besonders glücklich sein, wenn es zu einer Wiederholung der letzten Regierungsformation kommt."

Viele Baustellen

Im künftigen bulgarischen Parlament werden auch die Populisten von Wazraschdane (Wiedergeburt) vertreten sein - einer prorussischen und antieuropäischen Partei, deren Vorsitzender Kostadin Kostadinow angekündigt hat, dass er nach den Europawahlen zusammen mit der AfD eine neue Parteienfamilie in Straßburg gründen will. Kostadinow schreibt, die EU sei "schädlich". Eine Reihe bulgarischer Beobachter glaubt, dass die künftigen Vertreterinnen und Vertreter von Wazraschdane im Europäischen Parlament die Arbeit der gesamten EU sabotieren werden. Bulgarischen Experten zufolge unterstützt Präsident Radew die Wazraschdane-Partei insgeheim, da er ähnliche prorussische Ansichten hat wie sie.

Das Gebäude der Nationalversammlung des bulgarischen Parlaments in SofiaBild: Bildagentur-online/Joko/picture alliance

Nach den Wahlen muss sich Bulgarien mit einer Reihe wichtiger Themen befassen, darunter mit den hohen Energie- und Strompreisen, der Unterstützung für die Ukraine und für die ukrainischen Flüchtlinge in Bulgarien, dem Beitritt zum Euro und vor allem mit der noch nicht abgeschlossenen Justizreform und den Reformen der Geheimdienste. Diese Reformen waren es, die den Zusammenbruch der vorherigen Regierung verursachten.

Bulgarien hat sich entwickelt

Heute sagt Deljan Peewski, er werde nicht zulassen, dass die Geheimdienste "zerschlagen" werden. Und Bojko Borissow wehrt sich gegen die Andeutung, er wolle einfach die Mafia-Kultur übernehmen: "Ich bin ein europäischer Politiker, ich will keine Rückkehr zu den Mafia-Jahren", sagte er laut einem von Mediapool zitierten Kommentar.

Der politische Analyst Daniel Smilov glaubt, dass Bulgarien sich weiterentwickeln kann. Er erinnert an die großen Erfolge der letzten Regierung und resümiert: "Trotz allem hat Bulgarien in Bezug auf die Ukraine und die Abhängigkeit von russischem Gas vernünftig und verantwortungsbewusst gehandelt, hat bedeutende Fortschritte in Richtung Schengen gemacht und steht an der Schwelle zur Eurozone. Die Einkommen im Land steigen, die Aufholjagd gegenüber Mitteleuropa gewinnt an Fahrt."