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Politik

Große verlieren, Grüne gewinnen

28. Oktober 2018

Rhythmisches Klatschen für die Grünen, gezwungenes Lächeln bei der SPD. Am Abend der Hessenwahl gibt es bei den kleinen Parteien Sekt - bei den alten Volksparteien eher Selters. Aus Wiesbaden berichtet Peter Hille.

Deutschland Landtagswahl Hessen - Die Grünen - Tarek Al-Wazir
Er hat gut lachen: der Grünen-Spitzenkandidat Tarek Al-WazirBild: Reuters/R. Orlowski

Im Sitzungssaal der Grünen im hessischen Landtag ist kein Platz mehr. Auf etwa 40 Quadratmetern drängen sich Kamerateams, Fotografen und grüne Parteimitglieder. Zum Jubeln bleibt weder Raum noch Luft. Und trotzdem zieht es zahlreiche Arme nach oben, als der grüne Balken auf den Bildschirmen wächst und wächst. Bei mehr als 19 Prozent steht die Hochrechnung. Der Saal verfällt in rhythmisches Klatschen. Später am Abend kommt das vorläufige amtliche Endergebnis: 19,8 Prozent. Ein Rekordergebnis für die hessischen Grünen, fast doppelt so viel wie bei der vorherigen Hessen-Wahl 2013. Und noch einmal etwas mehr als bei der Bayern-Wahl vor zwei Wochen.

"So grün war Hessen noch nie" - mit diesem Satz bringt Spitzenkandidat Tarek Al-Wazir seine Anhänger erneut zum Jubeln. Der Bedeutungsgewinn der Grünen werde nun auch zu größeren Fraktionsräumen im Wiesbadener Landtag führen, sagt Omid Nouripour, außenpolitischer Sprecher seiner Partei im Bundestag, im Gespräch mit der DW. Und: "Es gibt viele Gründe für diesen Erfolg. Natürlich auch die abgewirtschaftete Art und Weise der Politik der Großen Koalition."

Halbleere Gläser bei der CDU

Berlin, rund 450 Kilometer Luftlinie entfernt von Wiesbaden, hat diese Wahl bestimmt. Das sagt auch Volker Bouffier, Hessens derzeitiger und vielleicht auch zukünftiger Ministerpräsident. "Die bundespolitische Kulisse hat durchgeschlagen", so Bouffier. Damit erklärt Bouffier, dass seine Partei mehr als zehn Prozentpunkte verloren hat und nur noch auf 27,0 Prozent der Stimmen kommt. Im Fraktionssaal der CDU will denn auch nicht wirklich Stimmung aufkommen an diesem Abend, die Gläser stehen halb leer auf den Tischen. Zu viele der Anwesenden werden sich einen neuen Job suchen müssen. Schnell leeren sich die Reihen.

Könnte Ministerpräsident bleiben: Volker Bouffier von der CDUBild: Getty Images/AFP/T. Kienzle

Bouffier darf trotzdem zufrieden sein - und damit auch seine Parteichefin Angela Merkel. Gelingt ihm die Regierungsbildung, so kann er Ministerpräsident bleiben. Das schwarz-grüne Regierungsbündnis hält auch im neuen Landtag eine knappe Mehrheit, wenn sich auch die Proportionen zugunsten der Grünen verschoben haben. Für den unwahrscheinlichen Fall, dass Bouffier für eine deutlichere Mehrheit einen dritten Partner ins Boot holen will, hat sich die FDP bereits in Stellung gebracht.  

"Das war eine Bundestagswahl"

"Das ist eine ambivalente Gefühlslage", sagt der hessische Finanzminister Thomas Schäfer im Gespräch mit der DW. Wenn man am Ende des Tages mit den Grünen weiterregieren könne, dann mache ihn das zufrieden, trotz der herben Verluste für seine Partei. “Das war eher eine Bundestagswahl, so Schäfer. "Mit landespolitischen Themen ist niemand durchgedrungen. Man ist im Wesentlichen auf die bundespolitische Performance der Großen Koalition angesprochen worden."

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Auch Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat der SPD, macht "Sturmböen aus Berlin" am Wahlabend für die "bittere Niederlage" seiner Partei verantwortlich. Mehr als nur Gegenwind also durch den Dauerstreit zwischen CSU, CDU und SPD in der Regierung Merkel. Auf 19,8 Prozent rutscht die ehemalige Volkspartei SPD laut vorläufigem amtlichen Endergebnis in Hessen. In einem Restaurant namens Lumen (lateinisch für Licht) versammeln sich die Genossen am Wahlabend. Aber hier strahlt niemand, die SPD scheint ihre Leuchtkraft verloren zu haben. Die Genossen müssen sich zum Lächeln zwingen, als Schäfer-Gümbel bei Dämmerlicht durch die Gänge schreitet.

Es wird laut, es wird chaotisch

Ganz anders bei FDP und Linken, die beide hinzugewinnen auf 7,5 beziehungsweise 6,3 Prozent. Und die AfD ist nun endgültig angekommen in den deutschen Parlamenten. Mit 13,1 Prozent der Stimmen zieht sie in das Landtagsgebäude im Stadtzentrum von Wiesbaden und damit in das letzte der 16 deutschen Landesparlamente. In dessen architektonischem Gewirr aus historischem Schloss, Neubauten und Baucontainern dürfte der politische Stil in Zukunft also rauer werden. Das zumindest ist die Erfahrung, die man im Rest der Republik mit der AfD gemacht hat.

Gute Miene trotz schlechter Zahlen: Thorsten Schäfer-Gümbel von der SPDBild: picture-alliance/dpa/A. Dedert

Die Großen werden kleiner, die Kleinen größer. Das hat die Bayernwahl gezeigt und das ist auch das Ergebnis von Hessen. Umfragen zeigen, dass dieser Trend für Gesamtdeutschland gilt. Auf dem Marktplatz der deutschen Parteien ist es bunter geworden, lauter, chaotischer. Die AfD sorgt dabei für ungewohnten Lärm mit rechtspopulistischen Parolen.

Und die Grünen? Stehen nicht mehr hinten links an einem selbst gezimmerten Ständchen und schreien gegen Atomkraft. Sie sind mitten auf dem Marktplatz angekommen. Dabei haben sie der SPD den Rang abgelaufen. Sie muss fürchten, den Status als Volkspartei langfristig zu verlieren. Für Angela Merkel ist wohl entscheidend, dass Volker Bouffier voraussichtlich Ministerpräsident bleibt. Das dürfte der Kanzlerin etwas Zeit verschaffen im Abwehrkampf gegen ihre parteiinternen Kritiker.

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