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Wahl-Ausgang in Sachsen und Thüringen ist ein "Warnzeichen"

2. September 2024

Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland feiern zwei Parteien an den politischen Rändern große Erfolge: AfD und BSW. Vor allem Vertreter der Wirtschaft und des Judentums zeigen sich erschüttert.

Straßenschild mit dem Schriftzug "Landtag" in Erfurt
Im Landtag von Thüringen, wohin dieser Wegweiser in Erfurt zeigt, ist die AfD künftig stärkste politische KraftBild: Hannes P. Albert/dpa/picture alliance

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, hat die Bundesregierung nach dem Landtagswahl-Debakel der Ampelparteien SPD, Grüne und FDP zum Handeln aufgefordert. Die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen seien "ein deutliches Warnzeichen an die Ampel-Politik im Bund", erklärte Dulger in Berlin. "Besonders der Zulauf zu den politischen Rändern zeigt die starke Verunsicherung der Menschen und das fehlende Zutrauen, dass sich unser Land in die richtige Richtung entwickelt. (...) Die Antwort auf Populismus und rückwärtsgewandte Konzepte muss eine pragmatische Politik sein, die sich an den Problemen der Betriebe und ihrer Beschäftigten orientiert", betonte der BDA-Chef.

Ähnlich äußerte sich das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IW). "Es braucht politische Berechenbarkeit, institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen", sagte IW-Direktor Michael Hüther. Da die Bundesebene ihren Einfluss auf die Wahlergebnisse gehabt haben dürfte, müssten auch dort die Herausforderungen entschlossen angegangen werden. "Eins ist klar: Mehr Sozialpolitik hält Menschen nicht von der Wahl populistischer Parteien ab", stellte Hüther fest.

Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen WirtschaftBild: Frank Hoermann/SVEN SIMON/picture alliance

Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, meinte: "Vor allem die AfD stehe für Protektionismus und eine Abschottung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt." Er halte es für sehr wahrscheinlich, dass die Wahlergebnisse zu einer Abwanderung von Unternehmen und auch Fachkräften führen würden. "Vor allem junge, gut qualifizierte und hoch motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren", so der Ökonom. "Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben."

"Sie stellen unsere Zukunft hier infrage"

Die Türkische Gemeinde in Deutschland ist nach eigenen Worten entsetzt über die Wahlerfolge der AfD in Sachsen und Thüringen. "Für uns, die 'neuen' Deutschen mit Migrationsgeschichte, sind diese Ergebnisse erschütternd und beängstigend, denn sie stellen unsere Heimat und unsere Zukunft hier infrage", erklärte die Bundesvorsitzende des Dachverbands TGD, Aslihan Yesilkaya-Yurtbay (37). Viele Menschen ihrer Generation planten bereits, Deutschland zu verlassen. An Politikerinnen und Politiker aller Parteien appellierte sie, "hören Sie auf damit, gesellschaftliche Probleme zu migrantisieren und arbeiten Sie endlich gemeinsam an Lösungen".

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Große Sorge prägen ebenso die Reaktionen aus der jüdischen Welt. "Unsere freie Gesellschaft darf nicht fallen, gerade im Angesicht des islamistischen Terrors", forderte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster: "Ungeschminkte Wahrheiten - Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit - sind gefragt, keine populistischen Scheinantworten radikaler Parteien", schrieb er in einem Gastkommentar für das Online-Portal der "Bild"-Zeitung. Immer mehr Menschen wählten die AfD aus politischer Überzeugung, aus "durch Protest manifestierter rechtsextremer Ideologie", fügte er hinzu. Und ein populistisches BSW (Bündnis Sahra Wagenknecht) lasse noch vieles unbekannt, "aber das, was wir von dieser neuen Partei und ihrem Spitzenpersonal wissen, lässt nichts Gutes erahnen".

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in DeutschlandBild: RALF HIRSCHBERGER/AFP

Als "zutiefst deprimierend" bewerteten Holocaust-Überlebende die Wahlergebnisse. Die Entwicklung erschwere das Vertrauen, "das sie Deutschland mittlerweile wieder entgegenbringen", sagte der Vizepräsident des Internationalen Auschwitz Komitees, Christoph Heubner. Bislang sei es unvorstellbar gewesen, dass gerade hierzulande "so viele Menschen einer Partei vertrauen, die mehr als braun gesprenkelt ist und sogar von anderen rechtsextremen Parteien in Europa als zu vergangenheitsbelastet ausgegrenzt wird". Heubner rief die Mehrheit auf, die Demokratie zu verteidigen.

Mehrheiten jenseits der AfD nutzen

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Irme Stetter-Karp, rief zur Bildung von Mehrheiten jenseits der AfD auf. "Die AfD will keine Kompromisse, nicht das Aushandeln des Möglichen", unterstrich sie. Es handele sich in Sachsen und Thüringen um gesichert rechtsextreme Landesverbände, "die das Ende der Demokratie, wie wir sie kennen, zum Ziel haben", so die Präsidentin der Laien-Organisation. Auch das BSW müsse "dringend sein Demokratieverständnis klären: Handelt es sich um eine Partei im Sinne des Grundgesetzes oder um das Projekt einer Einzelpersönlichkeit, die auf Bundes- und Landesebene gleichermaßen das Zepter in der Hand behalten will?" Stetter-Karp hält nach eigenen Angaben insbesondere die Haltung des BSW zum völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine für fragwürdig.

Irme Stetter-Karp, Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen KatholikenBild: Bernd von Jutrczenka/picture alliance/dpa

Die Diakonie Sachsen, der Wohlfahrtsverband der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche, blickt nach den Worten ihres Chefs Dietrich Bauer dennoch "mit leiser Zuversicht" auf die Wahlergebnisse in seinem Bundesland. Ein Großteil der Wählerinnen und Wähler habe dazu beigetragen, dass der Freistaat von einer Koalition demokratischer Parteien regiert werden könne, erklärte Bauer. Es brauche eine starke Zivilgesellschaft, "die den Nächsten im Blick hat und sich stark macht gegen Ausgrenzung, Menschenfeindlichkeit und Rassismus".

Und der für Thüringen zuständige evangelische Landesbischof Friedrich Kramer erklärte: "Wir haben uns in den letzten Monaten mit vielen Partnern zusammen für ein weltoffenes Thüringen engagiert. Das werden wir fortsetzen. Wir werden weiterhin viel miteinander im Gespräch sein müssen. Dafür werden Kirche und Diakonie Verständigungsorte anbieten."

wa/se (dpa, afp, rtr, kna, epd)

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