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Landtagswahlen: AfD-Erfolg verunsichert Wirtschaftsvertreter

Dirk Kaufmann mit Agenturen
2. September 2024

Es kam nicht überraschend. Dennoch sorgen sich Handelsexperten nach den Rekordergebnissen der rechtspopulistischen AfD in Sachsen und Thüringen um den Wirtschaftsstandort Ostdeutschland.

Drei Menschen in Warnwesten und Bauhelmen auf einer Großbaustelle in Dresden. Laster und Bauteile sind zu sehen
Wird eine erstarkte AfD Einfluss auf Sachsen und Thüringen als Wirtschaftsstandorte haben? (Archivbild)Bild: Oliver Killig/dpa/picture alliance

Am Wahlabend bestätigten sich die meisten Vorhersagen und viele Befürchtungen: Die in einigen Bundesländern im Osten Deutschlands als rechtsextrem eingestufte AfD (Alternative für Deutschland) ist die stärkste Kraft bei der Landtagswahl im Bundesland Thüringen und im Bundesland Sachsen ist sie fast gleichauf mit der CDU. Die Partei will jetzt mitregieren, ihre Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla fordern eine Regierungsbeteiligung. "Natürlich haben wir Regierungsanspruch", so Weidel im ZDF-Morgenmagazin. Die Wähler hätten sich für eine Mitte-Rechts-Koalition unter Beteiligung der AfD entschieden.

Bislang hatte sich die konservative CDU zu einer Brandmauer, also zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Rechtspartei, bekannt. Doch AfD-Chefin Weidel glaubt, dass diese Haltung keinen Bestand haben werde. Co-Chef Chrupalla bot der sächsischen CDU eine Zusammenarbeit an: "Mit wem will er denn seine Wahlversprechen umsetzen? Das würde mit uns eher klappen als, denke ich mal, zum Beispiel mit der SPD oder mit den Grünen", sagte er im Deutschlandfunk.

Vor und nach der Wahl: AfD-Politiker Björn Höcke ist für Viele der Gott-sei-bei-uns der deutschen PolitikBild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Gewerkschaften und Arbeitgeber einig

Schon vor den Wahlen hatten Gewerkschaften und Wirtschaftsvertreter vor den Folgen eines AfD-Erfolges gewarnt. Zum Beispiel davor, dass Investoren abgeschreckt werden könnten. Olaf Zachert etwa, der in Firmen investiert, um sie vor dem Bankrott zu bewahren, hatte der DW gesagt, dass das "Kapital ein scheues Reh" sei. Menschen würden nicht gern investieren, "wo sie sich nicht willkommen fühlten." Ein Erstarken der AfD würde viele Geldgeber verunsichern und sie würden zweimal nachdenken, bevor sie ein Angebot abgeben.                                   

Der Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Rainer Dulger, weist nach der Wahl darauf hin, wie wichtig eine prosperierende Wirtschaft für eine stabile Politik ist - und umgekehrt. Die aktuellen Wahlergebnisse zeigten "die starke Verunsicherung der Menschen und das fehlende Zutrauen, dass sich unser Land in die richtige Richtung entwickelt."

Er macht für das Erstarken der Extremisten auch die Berliner Regierungskoalition verantwortlich und ruft sie zum  Handeln auf. Der Deutschen Presseagentur zufolge sagte der Wirtschaftsfunktionär: "Die Ergebnisse sind ein deutliches Warnzeichen an die Ampel-Politik im Bund." Denn jede Regierung müsse "die Interessen für Arbeitsplätze und damit für den sozialen Zusammenhalt im Blick haben".

Gefahr für den Wirtschaftsstandort

Die deutsche Wirtschaftswissenschaftlerin Monika Schnitzer warnt vor FirmenaufgabenBild: Stefan Boness/Ipon/IMAGO

Aus Wirtschaftskreisen wurden nach Bekanntwerden der Wahlergebnisse Warnungen laut, der Fachkräftemangel werde sich verschärfen und ein Exodus von Unternehmen könnte einsetzen.

Für die sächsischen und thüringischen Unternehmen, die auch im globalen Wettbewerb stünden, könne sich der Arbeitskräftemangel weiter verschärfen, sagt etwa die Wirtschaftsweise Monika Schnitzer der Nachrichtenagentur Reuters. Außerdem würden "Unternehmensnachfolgen erschwert, gegebenenfalls könnte das zu Firmenaufgaben führen", so die Vorsitzende des Sachverständigenrates.

Auch staatliche Institutionen und Bildungseinrichtungen litten bereits unter Fachkräftemangel und müssten deshalb ihre Leistungen verringern. Einige Landkreise in beiden Bundesländern dürften in den kommenden Jahren noch einmal 20 bis 30 Prozent der Erwerbsbevölkerung verlieren. "Der jetzt schon bestehende Fachkräftemangel wird sich also noch weiter verschärfen", sagte die Top-Ökonomin und fügte mit Blick auf die AfD hinzu: "Die Ablehnung von qualifizierter Zuwanderung ist an der Stelle das falsche Signal, denn sie wird Fachkräfte davon abhalten, diese Bundesländer als Option in Erwägung zu ziehen."

"Vorsorgender Investitionsstaat"

Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sagt einen Verlust von Arbeitsplätzen und fremden Kapital voraus. Die AfD sei für Protektionismus und eine Abwendung von Europa, für weniger Zuwanderung von Fachkräften und eine geringere Offenheit und Vielfalt.

Thüringen vor der Wahl: Standortnachteil Fremdenfeindlichkeit?

04:01

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Das führe sehr wahrscheinlich zu einer Abwanderung von Unternehmen und Fachkräften: "Vor allem junge, qualifizierte und motivierte Bürgerinnen und Bürger werden die beiden Bundesländer verlassen und dorthin gehen, wo sie mehr Offenheit und Wertschätzung erfahren", sagte Fratzscher Reuters zufolge und fügte hinzu: "Dies dürfte einen Anstieg der Insolvenzen und einen Exodus von Unternehmen zur Folge haben."

Auch das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft ist besorgt. "Für die Wirtschaft kann das nichts Gutes verheißen, denn es braucht politische Berechenbarkeit, institutionelle Stabilität und verlässliche Rahmenbedingungen", sagte IW-Direktor Michael Hüther zu Reuters.

"Eins ist klar: Mehr Sozialpolitik hält Menschen nicht von der Wahl populistischer Parteien ab", sagte Hüther. "Da Abstiegsängste und Entwertungserfahrungen einen großen Einfluss haben, braucht es vielmehr den vorsorgenden Investitionsstaat statt des nachsorgenden Sozialstaates."

Gefahr für Halbleiterproduktion

"Für die Digitalwirtschaft sind die Wahlergebnisse aus Sachsen und Thüringen ein Warnsignal", hält der Präsident des Digitalverbandes Bitkom, Ralf Wintergerst fest. "Deutschland muss ein Land bleiben, das für Weltoffenheit und Innovationsfreude steht." Diese Werte würde die AfD nicht vertreten.

Der Bitkom-Funktionär weist auch auf ein konkretes Beispiel hin. Ohne qualifizierte Zuwanderung könne Deutschland seinen Fachkräftebedarf nicht decken. "Die geplanten Halbleiterfabriken in Sachsen werden wir ohne Fachkräfte aus dem Ausland nicht betreiben können", sagte Wintergerst. "Solche Spitzenkräfte können ihren Arbeitsort frei wählen."

Bitkom-Präsident Ralf Wintergerst: "Für die Digitalwirtschaft sind die Wahlergebnisse ein Warnsignal"Bild: Martin Schutt/dpa/picture alliance

Im Bund ticken die Uhren anders

Auch im Ausland werden die Wahlergebnisse kommentiert. Capital Economics (CE) etwa will die Landtagswahlergebnisse nicht "eins-zu-eins" auf den Bund übertragen. Allerdings würden einige Forderungen und Vorstellungen der AfD sicher in den Wahlprogrammen der etablierten Parteien Niederschlag finden. Doch, so schreibt Franziska Palmers, Senior Europe Economist bei CE, werde Deutschland auch weiterhin "wenig gegen seine De-Industrialisierung unternehmen und an seiner strikten Sparpolitik in Deutschland und in Europa festhalten".

Für Deutsche Bank Research (DBR) sind die gestrigen Wahlergebnisse ebenfalls keine "Vorschau auf die Bundestagswahl" im kommenden Jahr. Die Voraussetzungen in Thüringen und Sachsen seien zu speziell, um sie auf das ganze Land übertragen zu können.

Beim Blick in die Zukunft zeigt sich Deutsche Bank Research relativ entspannt. Aktuelle Daten würden zeigen, dass "Unternehmen nur zeitlich begrenzte ökonomische Risiken" befürchteten und diese vor allem die Suche nach Fachkräften betreffen würden.

Davon abgesehen erwarten auch die Ökonomen von DBR nicht, dass sich die deutsche Wirtschaftspolitik grundlegend ändern werde. Keine auf Bundesebene denkbare Regierungskoalition "werde eine generell ausgabenfreundlichere Politik betreiben", denn vor allem die konservativen Kräfte hätten in der Sparpolitik ein ausgesprochenes "Falken-Profil".

Wie stark ist die rechtspopulistische AfD in Ostdeutschland?

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