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Lars von Trier und die "Sache von Cannes"

19. Mai 2011

"Das war total schwachsinnig", sagte Regisseur von Trier über seine Äußerungen über Hitler und die Nazis beim Filmfestival in Cannes. Nach dem Rauswurf kam seine Entschuldigung. DW-Filmexperte Jochen Kürten kommentiert.

(Foto: DW)
Bild: DW

Das hat es in der Geschichte der Filmfestspiele von Cannes noch nicht gegeben. Ein am Wettbewerb um die Goldene Palme teilnehmender Regisseur wird zur unerwünschten Person erklärt und des Festivals verwiesen. Das ist keine Petitesse, vor allem auch, wenn man bedenkt, dass es sich bei dem Abgestraften um eine anerkannte Regiegröße handelt.

Als Künstler umstritten

Der Däne Lars von Trier gehört spätestens seit Mitte der 90er Jahre, seit seinem Film "Element of Crime", zu den ganz Großen des Europäischen Kinos. Wie nur wenige andere Regisseure weltweit hat er sich seitdem mit Filmen wie "Dancer in the Dark", "Dogville" und zuletzt "Antichrist" einen Namen bei der internationalen Kritik und auch beim Publikum gemacht. Lars von Triers Rang als Künstler ist unumstritten, auch wenn man nicht allen seinen Filmen folgen mag. Doch der experimentierfreudige Däne hat mit seinen Werken und Auftritten immer wieder für Furore gesorgt, die internationale Filmwelt oft genug bereichert.

DW-Filmexperte Jochen KürtenBild: DW

Stets auf zu neuen Ufern

Vor allem die von ihm maßgeblich ins Leben gerufene Dogma-Bewegung, die einen puristischen, von allen Schlacken befreiten Filmstil propagierte und dass auch öffentlichkeitswirksam in zehn Thesen goss, hat von Trier 1995 viel Aufmerksamkeit beschert. Viele andere Regisseure - nicht nur in Skandinavien - eiferten dem Filmemacher später mit eigenen Arbeiten nach. Dass sich von Trier nur kurze Zeit später selbst nicht mehr an die eigenen Vorgaben hielt und in seinen nächsten Filmen zu neuen künstlerischen Ufern aufbrach, passt freilich zu diesem Regisseur und liefert möglicherweise auch die Erklärung für seinen höchst merkwürdigen Auftritt beim Festival in Cannes am Mittwoch.

Aus, der Traum von der Palme für Lars von Triers "Melancholia"Bild: Cannes Filmfestival 2011

Die Einlassungen zum Nationalsozialismus, seine Bemerkungen über Hitler, Israel und die Juden sind natürlich abstoßend und nicht nachzuvollziehen. Doch es zeigt einmal mehr, dass Lars von Trier einen ungezügelten Hang zur Provokation besitzt. Schon öfters hat er mit seltsamen Stellungnahmen die Öffentlichkeit irritiert. Auch in seinen Filmen hat von Trier immer wieder lustvoll mit Tabus gespielt - meist clever und subversiv, manchmal - wie vor zwei Jahren bei "Antichrist" - auch platt und durchsichtig. Doch die Kunst Lars von Triers hat immer darin bestanden, sich mit den folgenden Arbeiten von künstlerischen Fesseln zu befreien, etwas ganz Neues zu schaffen und nach dem Prinzip "Was stört mich mein Geschwätz von Gestern" Altes hinter sich zu lassen.

Doch damit dürfte der streitwillige Regisseur nun Schwierigkeiten bekommen. Anders als bei früheren Provokationen könnte ihm die "Sache von Cannes" noch lange nachhängen. Auch wenn Kenner des Dänen und seiner Filme nicht wirklich glauben, dass er mit nationalsozialistischem Gedankengut sympathisiert - von Trier dürfte einige Freunde verloren und möglicherweise Finanziers aus der Filmbranche ordentlich vergrätzt haben.

Schwierige Selbstfindung

Vielleicht sollte man sich einmal ernsthaft damit befassen, was Lars von Trier seit Jahren über sich erzählt, was in der Öffentlichkeit aber meist als Koketterie eines überspannten Künstlers aufgefasst wird: dass er nämlich seit langem unter schweren Depressionen leidet. Lars von Trier hat sein Leben offenbar nicht immer im Griff. Ein Blick auf die Biografie könnte eine weitere Erklärung für den verstörenden Cannes-Auftritt liefern. Kurz vor dem Tod der Mutter 1989 erfuhr Lars von Trier, dass er das Kind eines Deutschstämmigen ist. Zuvor war er davon ausgegangen Sohn eines dänischen Juden zu sein. Dies soll damals eine Identitätskrise bei Lars von Trier ausgelöst haben. Ein paar Jahre später trat er zum Katholizismus über. Auch andere Hinweise auf Kindheit und Jugend des Lars von Trier und nicht zuletzt die in seinen Filmen aufgegriffenen Themen zeugen von einer überaus schwierigen Selbstfindung des Menschen Lars von Trier.

Die Reaktion der Festivalleitung in Cannes nach den Tiraden des Regisseurs war richtig und notwendig. Doch sollte man auch Nachsicht üben. Lars von Trier ist kein Politiker und kein Demagoge. Zu uns, den Zuschauern, spricht er in erster Linie über seine Kunst und seine oft meisterhaften Filme. Dass in Künstlern manchmal mehrere, sich widersprechende Seelen existieren, das hat es in der Geschichte der Kunst, der Literatur und des Kinos schon häufig gegeben. Für die Öffentlichkeit ist das manchmal schwer auszuhalten.

Autor: Jochen Kürten

Redaktion: Conny Paul

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