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Laserscans beweisen Siedlungen im Amazonas-Regenwald

8. Juni 2022

Die rund 1500 Jahre alten Siedlungen im Amazonasbecken widerlegen den Mythos, dass die Ureinwohner vor Ankunft der spanischen Eroberer als Jäger und Sammler in einer unberührten Wildnis lebten.

Lidar Scan der gefundenen Großsiedlungen
Die Größe der Anlage spricht für urbanen Zentren mit sehr komplexen GesellschaftsstrukturenBild: H. Prümers/DAI

Manchmal muss die Geschichte neu geschrieben werden: Bis vor ein paar Jahren ging die Forschung davon aus, dass die Bewohner des Amazonasbeckens in vorspanischer Zeit in kleinen Gruppen als Jäger und Sammler durch das dichte Grün streiften, ohne großartig Einfluss auf ihre Umwelt zu nehmen.

Das war ein Irrglaube: Forschende aus Deutschland und England haben jetzt dank der neuen Lidar (Light Detection and Ranging) Technologie nachweisen können, dass sich im südwestlichen Amazonasbecken bereits vor Ankunft der spanischen Eroberer große Siedlungen aus der weiten Ebene erhoben.

Im Zentrum einer der Siedlungen stand auf einer 22 Hektar großen, künstlich errichteten Terrasse von knapp 4 Metern Höhe sogar eine circa 22 Meter hohe Erdpyramide. Umgeben waren die Ortschaften im bolivischen Tiefland Llanos de Mojos von massiven Defensivanlagen, und miteinander verbunden waren sie durch kilometerlange, überschwemmungssichere Dammwege.

Gebiet galt lange Zeit als unbewohnt

Entdeckt wurden die "unglaublich komplexen Siedlungen" von einem Archäologenteam um Heiko Prümers vom Deutschen Archäologischen Institut. Veröffentlicht wurden die Ergebnisse jüngst im Fachmagazin "Nature".

Für die Wissenschaft sei entscheidend, so Prümers, wo genau diese Großsiedlungen gefunden wurden, weil sie die gängige Lehrmeinung widerlegen: "Wir sind hier in einem Randgebiet Amazoniens, in einer Zone, die zumindest in den letzten 50 Jahren von der Wissenschaft für relativ unbewohnt gehalten worden ist. Und wenn man dann plötzlich große Siedlungen von mehr als 100 Hektar Ausdehnung findet, dann ist das natürlich eine kleine Sensation", begeistert sich Archäologe Prümers im DW-Interview.

Beweise für umfangreiche Siedlungen

Das gesamte Amazonasbecken hat etwa die Ausmaße Europas: von Portugal bis an den Ural. Dort leben seit mehr als 10.000 Jahren nachweislich Menschen. Die jetzigen Forschungsergebnisse beweisen nun zweifelsfrei, dass die Amazonasbewohner nicht nur einfach in und von der unberührten Wildnis lebten, sondern ihre Umwelt bereits durch Siedlungsstrukturen grundlegend veränderten.

Dr. Heiko Prümers vom Deutschen Archäologischen InstitutBild: Carla Jaimes Betancourt

Zwar gab es Schilderungen von den ersten europäischen Reisenden, die von versunkenen Städten im Urwald berichteten, aber die entscheidenden Beweise fehlten lange Zeit.

Erst vor ein paar Jahren stieß man bei Rodungen und Expeditionen auf große Hügel im Regenwald, die vermuten ließen, dass Menschen dort über längere Zeit gelebt hatten.

Heiko Prümers erforscht bereits seit 1999 einige der rund 150 bislang bekannten Siedlungen, die sich dort finden, wo die Auswirkungen wiederkehrender Überschwemmungen während der Regenzeit am geringsten sind. "Die Menschen haben sich Regionen gesucht, wo es nicht regelmäßig Probleme mit großen Überschwemmungen gab und dort haben sie über lange Zeit gesiedelt", erklärt Prümers.

Besiedlung lange vor Ankunft der Spanier

Lange bevor die spanischen Eroberer also Südamerika im 16. Jahrhundert für sich entdeckten, erbauten bereits zwischen 500 und 1400 n. Chr. Menschen der Casarabe-Kultur Siedlungen, darunter ungewöhnlich große, wie die von Cotoca. 

Vom Helikopter aus machte die Lidar-Technik insgesamt 26 Siedlungen sichtbar, von denen 11 noch nicht entdeckt worden waren.Bild: H. Prümers/DAI

Das ganze Ausmaß der Großsiedlungen aber ließ sich unter der dichten Vegetation bislang nur erahnen. Den Durchbruch brachte die Lidar-Technik, bei der ein an einem Hubschrauber oder Flugzeug hängender Laser das überwucherte Gebiet scannt.

Weil das Lidar-System so viele Laserpunkte auch durch die dichteste Vegetation hindurch zur Erdoberfläche sendet, können die Forschenden später am Computer die gesamte Vegetation herausrechnen und erhalten so eine erstaunlich detaillierte Darstellung der Topografie in dem gescannten Bereich.

Lidar macht Strukturen sichtbar

Als Prümers mit seinem Team 2019 die Umgebung von sechs bekannten Casarabe-Stätten überflog, machte die Lidar-Technik insgesamt 26 Siedlungen sichtbar, von denen 11 noch gar nicht entdeckt worden waren.

"Wenn man dort langläuft, merkt man natürlich die Höhenunterschiede, man muss auf diese Pyramiden regelrecht hinaufklettern, denn ihre Böschungen sind steil. Aber selbst wenn man oben auf der über 20 Meter hohen Pyramide steht, kann man von dort aufgrund des dichten Bewuchses nicht wirklich weit sehen", schildert Prümers die beschwerliche Arbeit im Regenwald.

Das ganze Ausmaß der Großsiedlungen ließ sich unter der dichten Vegetation bislang nur erahnen. Bild: H. Prümers/DAI

"Man wird nie wirklich einen Eindruck des Fundortes in seiner Gesamtheit oder auch in Teilbereichen gewinnen können. Insofern sind diese Lidar-Bilder für uns natürlich das optimale Werkzeug! Auch um anderen Menschen zeigen zu können, was dort gewesen ist, was wir vermutet haben und was wir jetzt wissen", erklärt Prümers. "Jetzt haben wir diese unglaublich aussagekräftigen Lidar-Bilder und auf einmal ist alles offensichtlich."

Strukturen sprechen für eine komplexe Gesellschaft

Dank Lidar-Technik sind die großen Siedlungsstrukturen von jeweils mehr als 100 Hektar Umfang sichtbar. Lidar zeigt auch die Dammwege und ein ausgeklügeltes Bewässerungssystem aus Kanälen und Reservoirs. 

Vermutlich verbanden die weit verzweigten Dammwege die Siedlungen auch bei Überschwemmungen während der Regenzeit, und das ausgeklügelte Bewässerungssystem ermöglichte mutmaßlich eine dauerhafte Landwirtschaft auch in Trockenzeiten.

Im Zentrum einer der Siedlungen stand eine ca. 22 Meter hohe Erdpyramide.Bild: H. Prümers/DAI

Aber ob diese Wasserinfrastruktur der Trinkwasserversorgung oder einer Bewässerung in den extrem trockenen Wochen im August diente bzw. ob dort Fische oder Schildkröten gezüchtet wurden, muss weiter untersucht werden. Unklar ist auch, welche Funktion die monumentale Pyramide hatte.

Kein Stein weit und breit

Erschwerend kommt hinzu, dass die Archäologen an den Fundorten nicht auf irgendwelche Steingebäude stoßen werden, weil in dem "Schwemmland nur Ton und Sand, aber kein einziger Stein weit und breit zu finden ist", erläutert Prümers. Die Plattformen der repräsentativen Gebäude waren alle aus Erde, darauf befanden sich Holzbauten, von denen nur Pfostenlöcher erhalten sind. 

"Bei unseren Grabungen haben wir ein paar Steine gefunden, aber die waren alle importiert. Das waren Schmuckgegenstände, manchmal eine Axt, aber nichts, was irgendwie aus der Region stammt. Insofern wird man keine Architektur in unserem Sinne, keine Ziegelbauten, keine Steinbauten finden, dafür aber beeindruckende Bauten aus Erde und hin und wieder Spuren der vergänglichen Holzarchitektur."

Entsprechend sei der Kenntnisstand über die Casarabe-Kultur noch sehr rudimentär, räumt Archäologe Prümers ein. Anhand der über 100 gefundenen Gräber könne man aber bereits einiges etwa über die Ernährungsgewohnheiten sagen, dass sie etwa Mais gegessen haben und darüber, was sie gejagt haben.

Was führte zum Niedergang der Casarabe-Kultur?

Warum die Siedlungen nach etwa 900 Jahren Nutzung aufgegeben wurden und die Casarabe-Kultur um 1400 nach Christus, also noch vor Eintreffen der spanischen Eroberer verschwand, ist noch unklar. Dass möglicherweise Klimaveränderungen den Ausschlag gaben, kann sich Archäologe Prümers "sehr gut vorstellen. Das Problem ist, dass man es schwer beweisen wird können".

Was auch immer den Niedergang der Casarabe-Kultur bewirkt hat, die Größe und Komplexität der jetzt belegten Siedlungen sprechen für urbane Zentren mit sehr komplexen gesellschaftlichen Organisationstrukturen schon in vorspanischer Zeit. Die Geschichte des Amazonasbeckens muss also neu geschrieben werden.

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